Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer
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Als ich den Klassenraum betrat, stand meine Mathelehrerin Frau Holzmann bereits hinter dem Lehrerpult und holte ihre Sachen aus ihrer Tasche. Ich warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu und ließ mich neben Hannah auf meinen Stuhl fallen. Sämtliche Versuche, ihr die Sache mit Gabriel zu erklären, schlugen fehl. Sie drehte sich demonstrativ weg und hörte mir nicht zu. Außerdem warf mir Frau Holzmann, die leider viel zu gute Ohren hatte, einen warnenden Blick zu. Also gab ich es auf. Meine Erklärungen mussten wohl bis zur ersten Pause warten. Mitten im Unterricht schob Hannah mir allerdings einen Zettel zu, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich faltete den Zettel unter dem Tisch auseinander.
»Was zum Geier sollte das?«, stand dort.
»Die Sache ist kompliziert, ich erklär's dir nachher. Es hat aber rein gar nichts zu bedeuten«, schrieb ich zurück und schob Hannah den Zettel zu.
Sie schnaubte, als sie meine Zeilen las, und krakelte etwas hinzu. »Tatsächlich? Danach sah's aber nicht aus«, stand da.
Ich warf Hannah einen flehenden Blick zu. Dieses Mal wich sie meinem Blick nicht aus, auch wenn ich fast wünschte, sie hätte es getan. Noch nie hatte sie mich so böse angefunkelt wie in diesem Moment.
Wir hörten ein Räuspern und sahen beide auf. Frau Holzmann stand vor unserem Tisch und streckte ihre Hand aus. Widerwillig gab ich ihr den Zettel. Ich befürchtete das Schlimmste, beispielsweise, dass sie den Inhalt vor der ganzen Klasse laut vorlas, doch das tat sie netterweise nicht. »Ich verstehe ja, dass es spannendere Themen gibt als die Kurvendiskussion, aber würdet ihr das bitte auf nach dem Unterricht verlegen?«, meinte sie. Dann steckte sie den Zettel in ihre Hosentasche und ging zurück zur Tafel.
Seufzend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und versuchte, Frau Holzmanns Erklärungen zu folgen, aber ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Als es endlich zur ersten Pause klingelte, witterte ich meine Chance. Fünf Minuten würden zwar nicht ansatzweise reichen, um Hannah einzuweihen, aber eine Kurzfassung konnte ich ihr zumindest geben. Hannah sah das jedoch anders. Fluchtartig verließ sie den Raum und war nirgends aufzuspüren. Sie kam erst zurück, als es wieder zum Unterricht läutete. So langsam wurde auch ich sauer. Als ob das alles meine Schuld wäre. Ich hätte liebend gerne auf die Begegnung am Samstagabend verzichtet, und Gabriel konnte mir sowieso gestohlen bleiben. Aber ich musste eine weitere langweilige Mathestunde über mich ergehen lassen, ehe ich es Hannah sagen konnte. Kaum klingelte es zur Frühstückspause, sprang sie von ihrem Stuhl auf und wollte verschwinden, doch ich war schneller. Ich stellte mich ihr in den Weg und hielt sie am Arm fest.
»Das ist nicht fair ...«, begann ich, doch Hannah schnaubte nur.
»Du willst mir was von fair erzählen?«
»Du könntest mir wenigstens die Gelegenheit geben, dir alles zu erklären, bevor du mich als unfair abstempelst.«
Hannah riss sich los und verschränkte die Arme vor der Brust. Neugierige Blicke trafen uns, als sich die anderen an uns vorbeidrängelten. Schließlich blieben nur noch wir beide und Frau Holzmann im Raum zurück.
Frau Holzmann räusperte sich. »Wollt ihr nicht in die Pause gehen? Eigentlich sollte ich den Raum abschließen.«
»Würden Sie vielleicht eine Ausnahme machen?«, bat ich sie. »Hannah und ich müssen noch etwas klären, und es wäre schön, wenn wir dabei ungestört wären.«
Frau Holzmann zögerte.
»Wir haben nach der Pause ohnehin Deutschunterricht bei Herrn Oertel in diesem Raum«, fügte ich hinzu.
Frau Holzmann überlegte einen Moment. Schließlich nickte sie. »Na schön, ausnahmsweise. Aber hängt es nicht an die große Glocke, und stellt keinen Mist an.«
Ich warf ihr ein dankbares Lächeln zu. Als Frau Holzmann die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte ich tief Luft. Gerade, als ich ansetzen wollte, kam Hannah mir zuvor:
»Weißt du, ich versteh's einfach nicht«, meinte sie und lehnte sich gegen einen Tisch. »Du hast doch schon Tim, und ich dachte, du wärst glücklich mit ihm. Warum musst du mir Gabriel wegnehmen?«
Am liebsten hätte ich erwidert, dass man einem nichts wegnehmen kann, was einem gar nicht gehört, aber das wäre gemein gewesen. Außerdem war das nicht der Punkt, also schluckte ich meinen Ärger hinunter. »Hör mir bitte erstmal zu, bevor du was Falsches denkst. Samstagabend ist nämlich so einiges passiert, von dem ich dir noch nicht erzählt hab.« Hannah sah mich böse an, und ich konnte mir schon denken, was sie sich zusammenreimte, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. »Nein, ich hab nicht mit ihm geknutscht, und jetzt hör mir bitte zu, danach kannst du immer noch sauer sein, wenn du willst.«
Sie schnaubte, sagte aber tatsächlich nichts. Es war nicht einfach, Hannah die ganze Sache zu erklären. Sie sah mich ungläubig an und meinte immer wieder, dass ich mir das Ganze doch nur ausgedacht hätte. Schließlich konnte ich sie jedoch von der Wahrheit überzeugen.
»Und, was sagst du dazu?«, fragte ich und traute mich nun endlich, mein Brot aus der Tasche zu holen. Ich hatte riesigen Hunger, und bald würde die Pause zu Ende sein.
Hannah setzte sich auf den Tisch und sah mich mit großen Augen an. »Also ich find das Ganze ungemein spannend«, meinte sie.
Ich seufzte. Das war ja so klar. »Mir würden einige Wörter einfallen, um die Sache zu beschreiben, hirnverbrannt zum Beispiel. Verrückt, wahnsinnig, irre, bescheuert. Aber spannend?«
Doch Hannah winkte ab. »Du gehst das von einem völlig falschen Standpunkt an. Lass uns das Ganze doch mal nüchtern betrachten. Gabriel und sein Bruder haben etwas zu verbergen, aber wir sind uns beide ziemlich sicher, dass das nichts mit Satanismus zu tun hat. Es könnte doch sein, dass er absichtlich den Freak mimt, um von seinem tatsächlichen Geheimnis abzulenken.«
»Warum sollte er das tun?«, warf ich ein. »Das wär ja bekloppt, denn so lenkt er erst recht die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Wenn er wirklich was zu verbergen hat, wär's doch sinnvoller, sich ruhig und unauffällig zu verhalten.«
»Das denk ich nicht. Irgendwas kommt immer raus, und dann hätte er ein Problem. So liefert er schon vorneweg eine Erklärung, und die Leute stellen keine Fragen.«
Ich dachte einen Moment darüber nach, während ich mein Brot aß. »Hm, du könntest recht haben«, gab ich schließlich zu.
»Natürlich hab ich recht. Gemeinsam werden wir schon rausfinden, was das alles zu bedeuten hat. Am besten, wir fangen gleich nach der Schule mit der Recherche an.«
»Und wie sollen wir das anstellen? Wir haben doch keinen Anhaltspunkt, außer die lateinischen Wörter.«
»Erst einmal müssen wir herausfinden, was die bedeuten, und dann sehen wir weiter. Aber eins versteh ich immer noch nicht. Was sollte Gabriels Auftritt vorhin?« Sie warf mir einen skeptischen Blick zu.