Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga. Sandra Grauer
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Custos umbrarum
Ich sah auf und erkannte Gabriel. Neben ihm stand ein zweiter Junge. War das sein Bruder? »Gabriel? Aber ...«
Weiter kam ich nicht, denn plötzlich war da ein vierter Mann und stürzte sich auf Gabriel. Er war immer noch irritiert, mich hier zu sehen. Nur mit Mühe wich er aus. Daraufhin ging der Mann auf den zweiten Jungen los, der nicht darauf vorbereitet war. Er versuchte, den Mann mit seinem Schwert abzuwehren, war aber nicht schnell genug. Der Mann traf den Jungen am Bein. Ich konnte nicht erkennen womit, denn er hatte mir den Rücken zugedreht. Das Schwert landete klirrend auf dem Boden. Der Junge schrie und stürzte. Mit beiden Händen umklammerte er sein Bein. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
»Joshua, verdammt«, rief Gabriel und versetzte dem Mann einen Tritt, sodass dieser zurücktaumelte. Nun konnte ich ihn sehen. Das war kein Mann. Das war nur der Schatten eines Mannes, ohne Konturen.
»Nein, bitte nicht«, stammelte ich und versuchte, mich von dem Mann auf meinen Beinen zu befreien.
Mit aller Kraft konnte ich ihn schließlich wegschieben. Gabriel schlug wie besessen mit seinem Schwert auf den Schattenmann ein. Wieder und wieder traf er ihn. Alles, was ich hörte, war Gabriels schwerer Atem, ansonsten war es still. Zu still. Der Schattenmann musste jeden Moment blutüberströmt zusammenbrechen. Ich wollte wegsehen, konnte es aber nicht. Und da sah ich, dass der Schattenmann zwar wankte, aber nicht blutete. Wie konnte das sein?
Gabriel holte etwas aus seiner Tasche und richtete es auf seinen Gegner. Eine Stichflamme schoss hervor und setzte den Schattenmann in Brand. Gabriel warf sein Schwert beiseite und stürzte zu seinem Bruder. Ich sah entgeistert zu, wie das seltsame Wesen von oben nach unten abbrannte und schließlich nur noch ein Häufchen Asche zurückblieb. Meine Ohren rauschten. Nur wie aus weiter Ferne hörte ich, dass Gabriel und sein Bruder sich unterhielten.
»Emmalyn.« Gabriel musste mehrmals meinen Namen gerufen haben, doch erst jetzt hörte ich ihn.
Ich sah ihn an. »Was war das?«, fragte ich leise.
»Hast du 'nen Gürtel?«, wollte Gabriel wissen. »Joshua ist verletzt, ich muss sein Bein abbinden.«
Ein Gürtel. Ich fasste an meine Taille und spürte etwas aus Leder. Ich wollte aufstehen, aber meine Beine gaben gleich nach, also kroch ich hinüber zu Gabriel. Etwas umständlich zog ich den Gürtel aus meiner Hose und reichte ihn Gabriel. Er legte ihn um Joshuas Bein.
»Gib mir bitte das Schwert«, bat er und deutete neben mich.
Ich fühlte mich immer noch wie in Trance und fragte nicht, was Gabriel damit vorhatte. Stattdessen griff ich nach Joshuas Schwert, das neben mir auf dem Boden lag, und warf einen kurzen Blick darauf. Es war relativ klein und hatte eine schwarze Klinge. Der Griff war dunkelgrün und mit kleinen Steinen in einem helleren Grünton verziert. Außerdem waren die Worte Custos umbrarum eingraviert. Ich reichte Gabriel das Schwert. Er stach damit eine weitere Öffnung in den Gürtel und schloss ihn. Ich hätte protestieren können, dass er dabei war, meinen Lieblingsgürtel zu ruinieren, aber das war im Moment mein kleinstes Problem. »Geht's so?«, fragte Gabriel seinen Bruder. Joshua nickte. Er sah ziemlich blass aus. »Ich denk schon.« Nun sah Gabriel wieder mich an. »Hast du vielleicht was zu trinken dabei?« Ich nickte und zeigte hinter ihn, wo der komplette Inhalt meiner Tasche immer noch auf dem Boden verstreut lag. Gabriel stand auf, holte meine Wasserflasche und reichte sie Joshua. Der trank einen Schluck und sah gleich ein wenig besser aus. Ich hingegen fühlte mich kein bisschen besser. Die Tränen, die während des Schocks getrocknet waren, kamen nun mit aller Macht wieder. Ich wollte nicht weinen, schon gar nicht vor Gabriel, doch ich musste schluchzen. »Bitte nicht weinen. Auf weinende Mädchen reagier ich immer irgendwie allergisch«, meinte Gabriel nun. Bisher war er ja ganz umgänglich gewesen, doch jetzt schien er zu seiner üblichen Form zurückzufinden. Meine Stimmung schlug um. Ich wurde wütend auf Gabriel, und die Tränen versiegten. Am liebsten hätte ich ihm sämtliche Schimpfwörter, die mir in diesem Moment einfielen, an den Kopf geworfen, doch ich ließ es. »Was machst du hier?« »Was ich hier mache? Was machst du hier?« »Ich wohne hier und geh nicht mit Schwertern auf andere Menschen los. Was soll das Ganze?« Gabriel sammelte die beiden Schwerter ein und sah mich an. Mir fiel auf, dass er nicht wie sonst grinste. »Wir waren auf einer verspäteten Faschingsparty.« »Und das soll ich dir glauben?« »Seh ich etwa nicht glaubwürdig aus?«, meinte er und baute sich in voller Größe auf. »Ist ja auch egal, ich muss mich jetzt um Joshua kümmern. Er braucht dringend einen Arzt.« Das sah ich ein, aber so leicht wollte ich es ihm trotzdem nicht machen. »Erst will ich wissen, was hier läuft.« Nun grinste er doch wieder. »Hier läuft gar nichts, aber das können wir gern ändern, wenn du willst.« »Gabriel, ich mein's ernst.« »Ich auch.« Einen Moment war ich sprachlos. In genau diesem Moment waren Polizeisirenen zu hören. »Shit. Hast du die gerufen?«, fragte Gabriel und sah mich fast ein wenig böse an. Ich nickte. »Ich wusste nicht, was ich sonst machen sollte.« Gabriel bückte sich und half seinem Bruder hoch. »Was machst du da?«, wollte ich wissen. »Ich sagte doch, Joshua braucht einen Arzt. Wir haben jetzt keine Zeit, auf die Polizei zu warten.« »Aber ihr könnt doch nicht einfach abhauen, nach allem, was ihr hier angerichtet habt.« »Was haben wir denn bitte angerichtet?« Ich sah zu dem Mann, der am Boden lag. Gabriel folgte meinem Blick und musste lachen. »Der da? Der ist bloß bewusstlos. Du musst mir vertrauen, Emmalyn. Wir tun keinem was, aber wir müssen jetzt hier weg.« Ich zögerte. Der bewusstlose Mann schien nicht verletzt zu sein, aber das änderte nichts daran, dass Gabriel ihn niedergeschlagen hatte. »Komm schon, Emmalyn, du bist mir ohnehin noch was schuldig.« Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er auf die Sache mit den Referatsmaterialien anspielte. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass es richtig war, sie gehen zu lassen. Also nickte ich schließlich. Gabriel warf mir ein flüchtiges Lächeln zu, dann verschwanden er und sein Bruder. Ich hatte kaum Zeit, meine Gedanken zu sortieren, als zwei Polizisten angerannt kamen. Der eine stürzte sich gleich auf den ohnmächtigen Mann, der andere hockte sich neben mich. »Sind Sie verletzt?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Nein.« »Haben Sie die Polizei gerufen?« Ich nickte. »Was ist denn passiert?« »Ich ... Ich weiß auch nicht so genau. Da waren drei Männer, die miteinander gekämpft haben.« Ich zeigte auf den bewusstlosen Mann. »Der Mann dort ging zu Boden. Ich weiß nicht, ob er verletzt ist.« »Und die anderen beiden Männer?« »Die sind weggerannt, als sie mich gesehen haben.« »Da haben Sie aber Glück gehabt. Können Sie die Männer beschreiben?« »Sie waren maskiert«, log ich nach kurzem Zögern. Auch wenn ich selbst nicht so genau wusste, warum ich Gabriel und seinen Bruder eigentlich in Schutz nehmen sollte. »Mit dem hier ist alles in Ordnung, er ist nur bewusstlos«, sagte der zweite Polizist und kam auf uns zu. »Was ist denn passiert?« Ich erzählte meine Geschichte noch einmal. Währenddessen sah sich der erste Polizist etwas genauer um. Er inspizierte vor allem das Häufchen Asche genauer, stellte aber keine Fragen. Dann begutachtete er meine Sachen, die auf dem Boden verstreut lagen. »Sind das Ihre Sachen?«, fragte er. Ich nickte. »Ja, das sind meine. Mir ist die Tasche heruntergefallen, als ich nach meinem Handy gesucht hab.« Er begann, alles einzusammeln und in die Tasche zu stopfen. Ich stand auf, um ihm dabei zu helfen. In diesem Moment entdeckte der andere Polizist die Wasserflasche und den Blutfleck. »Was ist denn hier passiert?«, wollte er wissen. Mein Herz begann wieder, schneller zu schlagen. »Ich weiß nicht. Vielleicht hat sich einer der beiden anderen Männer verletzt?« »Waren sie bewaffnet?« Ich überlegte einen Moment fieberhaft, was ich sagen sollte, doch dann entschied ich mich für die Wahrheit. »Sie hatten zwei Schwerter.« Die beiden Polizisten warfen sich einen komischen Blick zu. Dann griff der eine Polizist nach der Wasserflasche. »Ich darf doch?« Ich wusste zwar nicht, was er damit wollte, doch ich nickte trotzdem. Der Polizist ging daraufhin zu dem bewusstlosen Mann, schüttete ihm etwas Wasser ins Gesicht und tätschelte ihm die Wange. »Hallo, können Sie mich hören?« Der Mann schien langsam zu Bewusstsein zu kommen. Währenddessen hatten der andere Polizist und ich all meine Sachen aufgesammelt. »Wo wohnst du?«, fragte er. Anscheinend war ihm mittlerweile aufgefallen, dass ich noch nicht volljährig