Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
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Das Elternhaus (Autobiographie Johannes Hubert)
Als siebentes Kind des Reeders und Kapitäns Johann Hubert und seiner Ehefrau Engel, geb. Wettern, wurde ich am 16.10.l879 in Cranz an der Elbe geboren.
Ob es stimmt, weiß ich nicht, aber noch heute behaupten alle Geschwister, ich sei der Liebling und Verzug der ganzen Familie gewesen, obwohl ich nicht einmal das Nesthäkchen war. Ich selber hatte aber niemals den Eindruck, besonders bevorzugt behandelt worden zu sein.
Meine Eltern hatten im Alten Lande ein schönes großes Haus direkt am Elbe- und Estedeich gelegen. Der Obstgarten, aber besonders die Este und Elbe, waren für uns Kinder die Quellen vieler Erlebnisse.
Mein Vater, früher Seekapitän, fuhr auf den damals doch recht kleinen Seglern von Hamburg nach Brasilien, Argentinien, Südafrika, China usw. Die Schiffchen hatten durchschnittlich eine Größe von zirka 300 Ladetonnen. Meine Mutter machte Fahrten nach Brasilien und China mit, und wenn man sich heute die Bilder der Schiffe ansieht, muss man den Mut dieser Frau bewundern.
Später blieb mein Vater dann an Land und gründete mit einigen Freunden eine Segelschiffreederei, deren Schiffe ungefähr 300 Ladetonnen groß waren. Alle Erdteile wurden mit diesen kleinen Nussschalen angelaufen. Einen kleinen Raddampfer hatte mein Vater auch noch, er hieß "ESTE" und machte Passagierfahrten zwischen Cranz und Buxtehude sowie zwischen Cranz und Hamburg. Anscheinend lohnten sich diese Fahrten, sie brachten Geld ein, und das Finanzamt hatte damals bescheidenere Ansprüche, so konnten dann später noch zwei Ziegeleien ins Leben gerufen und ein Eisschuppen gebaut werden. 500 Tonnen Eis fasste der Schuppen, und die Hamburger Fischdampfer waren dankbare Abnehmer. Das Eis wurde von einem abgeteilten Land der Ziegeleien abgenommen, nachdem dort im Herbst Wasser eingefüllt worden und es dann gefroren war. Der Eisschuppen wurde 1920 abgebaut, da sich durch das Aufkommen des Kunsteises dieses Geschäft nicht mehr lohnte. Die Ziegeleien wurden 1904 stillgelegt, weil nicht mehr genug Land zur Verfügung stand. Die ESTE wurde 1910 verschrottet.
Einige unserer Schiffe gingen im Laufe der Jahre auf See verloren, so z.B. die ALEMANIA, die auf einer Reise von La Plata nach Valparaiso bei Kap Horn unterging. Von deren Besatzung hat man nie wieder etwas gehört. Man hatte ja früher keine Funkgeräte und konnte so in Seenot keine Hilfe anfordern.
Die JOHANNA verscholl auf einer Reise von Italien nach Hamburg und die AXEL strandete 1895 vor Macao (Brasilien) und wurde schwer havariert nach Macao gebracht. Man erklärte das Schiff dort für reparaturunfähig, und mein Vater verkaufte es dann für 4.000 Mark.
Die ANTELOPE blieb für einen Kaufpreis von 24.000 Mark in Brasilien. WILHELMINE wurde in Deutschland für 32.000 Mark verkauft, MAGNET in England für 12.000 Mark und EMILIE HESSENMÜLLER wechselte in Deutschland für 52.000 Mark den Besitzer. J.G. FICHTE ist dann später auch verschollen.
Die Segelschifffahrt lohnte sich auch in der Zeit schon nicht mehr, man musste sich umstellen, denn von den neuzeitlichen Dampfern konnte man mehr erwarten. So fing man nun an, Fischdampfer zu bauen. Auf einer Fahrt nach Bremerhaven, wo mein Vater gerade wieder einen Fischdampfer bestellt hatte, wurde er von einem Herzschlag ereilt und starb einige Stunden später. Meine Mutter starb am 21.11.1931 drei Tage vor ihrem 90. Geburtstag. Meine Schwester Maria Catherina heiratete den Kapitän Ulrich, Emma Anna blieb unverheiratet, Pauline ehelichte Heinrich Popp. Mein Bruder Ernst heiratete Lissy Fock und mein Bruder Gustav Käte Röhrs.
Kindheit und Schulzeit
Aber ich will ja meine Lebenserinnerungen schreiben, da muss ich dann wohl erst mal bei der Schulzeit beginnen. Zunächst besuchte ich die Schule in Cranz, und wenn ich heute meine Zeugnisse betrachte, muss ich feststellen, dass ich eigentlich ein ganz guter Schüler war, mein Sohn darf sich ruhig die Zeugnisse seines Vaters ansehen.
Als Kinder und noch dazu als Seemannskinder, zog es uns natürlich in jeder freien Minute ans Wasser, und es gab dort nichts, was uns nicht interessiert hätte, alles musste untersucht werden. An irgendwelche Gefahren dachte keiner von uns Buttjes, wir fühlten uns schon als Kapitäne auf großer Fahrt, jede Planke war uns recht, und die Ufer der Este und Elbe waren für uns damals die große Welt. Im Winter, wenn die Elbe zugefroren war, zogen wir schon frühmorgens los, schlugen Löcher ins Eis und setzten Quappenangeln aus. Leckerbissen für die Quappen waren kleine Aalstückchen, die wir kunstgerecht an den Angelhaken befestigten; nachmittags wurde dann die Beute eingeholt - es lohnte sich immer, und Mutter freute sich dann über den Fischsegen. Bei starkem Frost war dieser Angelsport ohne Gefahr, aber welcher Junge versucht nicht, auch dann noch aufs Eis zu gehen, wenn es schon so brüchig ist und so schön gefährlich knistert. Wir wagten da oft allerhand, und Mutter hätte vorzeitig graue Haare bekommen, wenn sie gewusst hätte, was ihre Buben da unten am Wasser für gefährliche Spiele trieben.
Eines Tages war es dann auch so weit. Tauwetter hatte eingesetzt, und wir wollten unsere kostbaren Angeln nicht opfern. Also betraten wir die schon sehr brüchige Eisfläche und tasteten uns Schritt für Schritt auf unser Jagdgebiet zu. Es knackte hie, es knackte dort, und ehe wir uns versahen, hatte sich eine Scholle gelöst - natürlich gerade die, auf der wir standen - und trieb ab. Es war uns nun gar nicht mehr wohl, die Freude am gefährlichen Spiel erschien uns nun doch recht zweifelhaft. Wir trieben mit der tückischen Scholle elbabwärts und wussten nicht, wie wir wieder an Land kommen sollten. Wie richtige Schiffbrüchige kamen wir uns vor, und an Rettung glaubten wir auch nicht mehr. Nachdem wir ungefähr 6 Kilometer abgetrieben waren, lief unsere Scholle an ein Stack, das bei Hinterbrack in die Elbe hinausgebaut war. Das war unsere Rettung. Jetzt aber hieß es, ungesehen nach Hause zu kommen, denn jetzt steckte jedem von uns so eine kleine Angst vor dem häuslichen Ungewitter in den Gliedern und ließ uns die ausgestandene Angst vergessen.
Zu Hause angekommen, erzählten wir natürlich nichts von unserem großen Abenteuer, aber im Dorf hatte sich unsere Schollentour doch herumgesprochen, und die Jungens, die nicht mit von der Partie waren, machten auch gleich Spottverse auf unsere Reise. Sie sangen bei jeder Gelegenheit hinter uns her:
„Hannes Hubert is met de Elv wegdreben, widewidewitt bum bum,
han we ihn nu nich wädder dregen, widewidewitt bum bum,
wör de uns ganz nach Stad' hindreben, widewidewitt bum bum.“
Dieses Erlebnis hielt uns natürlich nicht davon ab, bei nächster Gelegenheit wieder Quappen zu fischen. Der Seemannsberuf steckte wohl in besonderem Maße bei mir im Blut, denn als einziger meiner Brüder beschloss ich, Seemann zu werden. Meinen Vater freute das sehr, und er meinte zu meinem Entschluss, da müsse ich erst einmal eine Ausbildung im Segelnähen bekommen, damit ich auch später Segel flicken könnte. So hatte ich mir das eigentlich nicht gedacht, aber wenn mein Vater das meinte, musste es sicher dazugehören. So erlernte ich das Segelnähen beim Segelmacher Köster in Cranz. In der Freizeit war ich meistens unten am Wasser und träumte von den zukünftigen großen Erlebnissen, die ich sicher haben würde.
Eines Tages - es war um die Mittagszeit - hörte