Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski

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Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute - Jürgen Ruszkowski

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und Felle eingepökelt.

      Am 26. März 1896 wurden die Trossen losgemacht, und flussabwärts machten wir uns auf den Weg nach Rio Grande del Sul und Porte Allegro. Auf dem Fluss fuhren wir mit Wassersegeln. Das sind Segel, die unter Wasser gesetzt werden. Der Strom läuft dann dagegen an und treibt das Schiff vorwärts. Gerade noch vor Dunkelheit erreichten wir die freie See, ein Glück, denn sonst hätten wir noch eine Nacht den Kampf mit den Moskitos aufnehmen müssen. In den dunklen Nächten war es so finster, dass man nicht einmal das Ufer erkennen konnte. 3600 Meilen dauerte die Fahrt, bis wir in Rio Grande ankamen. Auf See blieb es bei dem ewigen Einerlei, Wache schieben und was es sonst so am Tage an Bord zu tun gab.

      Das Wetter war einigermaßen gut, da konnten wir uns dieses Mal nicht beklagen. Im Hafen war es mit dem Zoll genau so, wie es heute noch ist, jeder Winkel an Bord wurde untersucht. Das Löschen der Ladung dauerte neun Tage, es waren nur 150 Tonnen, aber wir mussten ja alles alleine bewältigen, dabei die mörderische Hitze und kein Sonnensegel.

      Am 21. Mai fuhren wir weiter nach Porto Allegro. Dort war das Wetter schlecht, es wehte ein Sturm von Windstärke 11, aber wir kamen doch glücklich an. Wir hatten nur ein paar kleine Beschädigungen an Bord. Die Stadt war sehr schön, meist von Deutschen aufgebaut und um 1896 zirka 20.000 Einwohner stark. Es war dort immer eine große Begebenheit, wenn ein deutsches Schiff einlief, und der Besuch von Deutschen nahm dann auch kein Ende. Jeder wollte von der alten Heimat etwas hören, und man war jeden Tag bei einer anderen deutschstämmigen Familie eingeladen, die einen auch sehr verwöhnte. Diese Zeit ging uns natürlich viel zu schnell vorüber, und der Abschied von unseren Landsleuten fiel uns meistens schwer.

      Unsere Ladung bestand nun aus Fleisch, und die Reise ging nach Rio de Janeiro. Über diese Stadt will ich nichts weiter berichten, man hat schon so viel darüber geschrieben, dass sich jeder eine Vorstellung machen kann. Für uns gab es in Rio sowieso nur viel Arbeit, und die Salzladung machte uns so viel zu schaffen, so dass der Zuckerhut uns auch nicht trösten konnte. Unser Schiff segelte anschließend nach Buenos Aires. Hier gab es wieder Salz, denn wir sollten Felle laden. Es ging dann etwa 70 Seemeilen den Rio Plata flussaufwärts nach Freibentos. Es war ein kleines Nest, wo nur Liebig's Fleischextrakt hergestellt wurde. Wir luden dort Hörner und Hornspitzen als Unterlagen für die Häute. Damit die Häute nicht mit Holz und Eisen in Berührung kamen, wurden die Hörner hochkant aufgestellt, dicht an dicht. Die Fleischextraktfabrik war ein Großbetrieb. Es wurden im Jahr 180.000 Büffel geschlachtet und verarbeitet. Fleisch gab es in rauen Mengen, und wir haben auch feste reingehauen.

      Nachdem wir unsere Hörner endlich verladen hatten, hieß es weitersegeln und zwar einen Fluss hinauf, Paraguay hieß er, ein Nebenfluss des La Plata. Das Segeln macht auf Flüssen einige Schwierigkeiten, denn wenn Flaute war, musste man sofort ankern. Acht Tage brauchten wir, um in Paysandu anzukommen. Dort wurden die Häute verladen, wieder so ein Kapitel für sich. Es ist wohl das schlimmste an Arbeit, was einem begegnen kann. Die Häute wurden im Raum verstaut und dann mit Pökel übergossen. Unser Arbeitszeug war nach einer solchen Beladung vollkommen unbrauchbar geworden und Hände und Füße von der Salzlake aufgerissen. Nach getaner Arbeit sprang man erst einmal über Bord, um das quälende Brennen an Händen und Füßen loszuwerden, aber eine reine Freude war das auch nicht, denn im Wasser konnte man Überraschungen erleben. Ich machte eines Tages die unliebsame Bekanntschaft mit einer "Seeschlange". Wir nannten die Dinger so, es sind wohl die Zitteraale gewesen, bei deren Berührung man einen ziemlichen elektrischen Schlag bekommt. Ich spürte die Berührung noch tagelang hinterher, musste auch einige Tage das Bett hüten, weil ich Fieber von der Berührung bekommen hatte.

      In der Nähe von Paysandu war eine deutsch-schweizerische Ansiedlung, wo ungefähr 200 Menschen lebten, die Ziegenzucht betrieben. Es gab dort wohl einige Tausende von Ziegen. Fruchtbares Weideland verschaffte ihnen so einigen Wohlstand. Wir wurden oft von den Siedlern eingeladen. Sie holten uns am Schiff mit ungesattelten Pferden ab. Es hieß draufsteigen, und los ging es im Galopp. So habe ich dann auch reiten gelernt. Ziegenmilch konnten wir trinken, soviel wir wollten. In Schläuchen gaben sie uns noch Milch mit an Bord. Drei Wochen lagen wir da, und es war eine schöne Zeit, bis es eines Tages plötzlich so unsichtig wurde, es sah aus, als wälzten sich dicke Wolkenberge heran. Uns war ganz komisch zumute, und wir konnten es uns nicht erklären, bis dann in der sich verdunkelnden Sonne klar wurde, dass ein Heuschreckenschwarm von erschreckendem Ausmaß über unser Schiff hinweg auf die Siedlung zukam. Jedes Insekt war etwa fünf Zentimeter lang. Es regnete förmlich in Strömen Heuschrecken. Alles, aber auch alles, was gewachsen war, wurde in ganz kurzer Frist von den Tieren aufgefressen, kein Halm blieb stehen. Die ganze Siedlung war damit vernichtet, denn es gab kein Futter mehr für die vielen Ziegen. Bei uns an Deck lagen die Insekten zehn Zentimeter hoch. Die Siedler hatten im Nu alles verloren, was sie sich in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatten. Sie mussten alles verlassen und weiterziehen. Uns fiel der Abschied von den lieben Menschen sehr schwer, aber helfen konnten wir ja auch nicht. 20 Ziegen brachten die Siedler uns noch an Bord, damit wir auf der Reise Frischfleisch hatten. Wenn wir dann irgendwo flussabwärts eine fruchtbare Gegend passierten, kletterten wir an Land, um uns Futter für unsere Milchspender zu besorgen.

      In Buenos Aires besorgte unser Kapitän erst einmal Frischproviant, denn nun sollte die Heimreise angetreten werden mit dem ersten Anlaufhafen Antwerpen. Am 12. Oktober segelten wir über den Ozean der Heimat zu. Über zwei Jahre war ich nun schon unterwegs, und aus dem kleinen Schiffsjungen war inzwischen ein kräftiger Kerl geworden. Die Reise lief auch gut an, mit der Verpflegung waren wir die drei ersten Wochen auch zufrieden, denn der frische Proviant schmeckte natürlich gut. Leider hielt er nicht länger vor, denn Kühlschränke gab es ja noch nicht, und nach drei Wochen mussten wir dann doch wieder nach altem Rezept den eisernen Bestand verbrauchen. Dann sah unser Menü so aus:

      montags – Erbsen mit Salzfleisch

      dienstags – Salzfleisch mit Bohnen

      mittwochs – Salzfleisch mit Erbsen

      donnerstags – Konservenfleisch (genannt "tote Franzosen")

      freitags – Salzspeck mit Bohnen

      sonnabends – Pflaumensuppe mit Stockfisch

      sonntags – "Tote Franzosen" mit getrockneten Kartoffeln.

      Der Stockfisch vom Freitag musste am Tag vorher erst mit einem Holzhammer bearbeitet werden, damit er einigermaßen weich wurde. Das Brot war von der langen Reise inzwischen Hartbrot geworden, und wenn man es morgens essen wollte, musste man es erst ausklopfen, damit die unzähligen Kakerlaken herausfielen.

      Am 23. November 1896 sahen wir dann zum ersten Mal wieder Land, und bald waren wir im englischen Kanal. Durch die Nordsee hatten wir guten Wind, am 2. Dezember erreichten wir Vlissingen und am 3. Dezember Antwerpen. Auf den frischen Proviant freuten wir uns im Augenblick am meisten. Wir fielen darüber her wie die Wölfe und konnten nicht genug davon bekommen.

      Am nächsten Tag, d. h. abends, ging es an Land. Wir hatten alle Vorschuss bekommen und hatten somit Geld in der Tasche. Das erste Ziel war das "Siebenmädelhaus", das einige der älteren Besatzungsmitglieder schon kannten. Es war eine kleine Wirtschaft, und der Wirt hatte sieben Töchter, eine schöner als die andere. Da wurde dann gezecht, getanzt und gesungen, und wir Seeleute waren natürlich ausgelassen wie noch nie, denn wir hatten endlich wieder Land unter den Füßen. Um Mitternacht war für uns viel zu früh Feierabend, und wir konnten am nächsten Tag die Zeit nicht abzuwarten, bis wir unsere Heuer wieder ins "Siebenmädelhaus" tragen konnten. Man muss die Freizeit im Hafen ja auch ausnutzen, das ist nun mal Seemannsbrauch.

      Für meine weitere Zukunft hatte ich mir schon einen schönen Plan zurechtgelegt. Ich wollte nämlich als Matrose auf einem englischen Vollschiff anmustern, hauptsächlich, um dort die englische Sprache richtig zu erlernen. Als ich aber meinen Kapitän von diesem Plan unterrichtete, war er empört und wollte erst einmal mit meinem Vater darüber sprechen. Telefon gab es noch nicht, also

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