Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
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Johannes Hubert: Beginn einer Karriere – Schiffsjunge auf großer Fahrt
1894 wurde ich konfirmiert und aus der Schule entlassen. Im Juli sollte dann für mich das große Erlebnis meines jungen Lebens stattfinden, meine erste Reise. Zu dieser Zeit hatte mein Vater seine Schiffe noch nicht verkauft, und ich sollte meine seemännische Ausbildung auf den väterlichen Schiffen erhalten. Mein Vater hatte seinen Dreimastschoner AXEL in Hamburg liegen mit Stückgutbeladung für Pernambuco in Brasilien, und auf diesem Schiff wurde ich als Schiffsjunge angeheuert. Die Besatzung bestand aus acht Mann.
Noch heute weiß ich genau, aus welchen Sachen meine Ausrüstung bestand: drei Wollhemden, drei Unterhosen, vier Paar Wollstrümpfe, ein Sonntagsanzug, zwei Arbeitsanzüge, zwei Schals, ein Paar Seestiefel, ein Paar Schuhe, ein Paar Hausschuhe, ein Ölmantel, eine Ölhose, ein Südwester, eine Matratze, zwei Wolldecken, Kleinigkeiten, wie Seife, Zahnbürste etc. Das war alles. Diese Ausrüstung kostete etwa 300 Mark. Nun fing auch ich an zu verdienen und bekam im Monat 12 Mark Heuer. Voller Erwartung trat ich meine erste Seereise an, und wie jeder Junge träumte ich von wilden Abenteuern. Der Kapitän hatte seine Frau und zwei Kinder an Bord, die diese Reise mitmachten. Es gibt später noch allerlei von dieser Reise zu erzählen. Bis Glückstadt wurde unser Schiff von einem kleinen Schlepper "GOLIATH" geschleppt, dann wurden die Segel gesetzt, und mit eigener Kraft segelten wir bis Cuxhaven, wo der Lotse von Bord ging. Unter vollen Segeln fuhren wir dann durch die Nordsee, am 2. August 1894 passierten wir Dover und segelten mit gutem Wind durch den englischen Kanal.
Im Ozean machte ich aber schon die erste Bekanntschaft mit schweren Stürmen, wir mussten die Segel bergen und mit kleinen Segeln weitersegeln. Das oberste Segel, Royal genannt, musste vom Schiffsjungen - das war ich - festgemacht werden. Also rauf, sich mit Füßen und Beinen festhaltend, mit den Händen arbeiten. Es ist gar nicht so leicht, wie es aussieht, denn bei Sturm liegt ein Schiff wahrlich nicht ruhig in der See, und oben spürt man die Schwingungen bedeutend stärker als unten. Die Reise ging so weiter, bis wir den NO Passatwind 35°Nord antrafen. Der Wind blies dort mit einer Stärke von Beaufort 8. Man kann ihn gut ausnutzen, da er bei SSW-Kurs von achtern kommt.
Nach 30 Tagen wurde der Äquator passiert, natürlich kam dort auch Neptun an Bord, um die übliche Taufe vorzunehmen. Wer noch keinen Taufschein hatte, wurde erst einmal ordentlich eingeseift, mit einem großen Holzmesser rasiert und dann "sanft" unter Wasser gedrückt. Damit war die Taufe vollzogen, und Neptun überreichte den Taufschein. Für mich war es mit meinen eben 14 Jahren ein Erlebnis.
Ende September 1894 kamen wir nach einer 35tägigen Reise in Pernambuco (das heutige Recife) an. Die Freude war sehr groß, denn nun gab es endlich wieder frisches Fleisch, Gemüse usw., denn das ewige Salzfleisch, Salzspeck und der Klippfisch hingen uns schon zum Halse heraus. Nach den üblichen Formalitäten durften wir an Land. Es war angenehm, mal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Leider währte der Urlaub nicht lange, denn die Ladung musste gelöscht werden. Dies bedeutete damals eine echte Schinderei, denn alles musste mit Handwinden rausgedreht werden. Früh um sechs hieß es "Alle Mann an Deck!" und bei 30° C im Schatten war dann die Arbeit eine Qual. Wenn um 12 Uhr Mittagspause war, haute man sich irgendwo in eine schattige Ecke, um etwas auszuruhen. An Essen dachte niemand, man hätte doch keinen Bissen heruntergekriegt. Um ein Uhr ging es dann weiter bis abends um sieben. Anschließend musste dann noch das ganze Schiff geschrubbt werden. Das Schiffsdeck wurde außerdem ständig nass gehalten, um ein Austrocknen der Planken zu verhindern. Den Achtstundentag gab es damals noch nicht. Kam man aber endlich todmüde in die Koje, ließen einem die Moskitos keine Ruhe, von den Ratten ganz zu schweigen. Drei Wochen hatten wir im Hafen zu tun, nur der Sonntag gehörte uns. Dass wir uns die ganze Woche darauf freuten, kann man wohl verstehen.
Am 1. Oktober war das Schiff leer. Es wurde mit Sandballast aufgefüllt, und weiter ging es zum nächsten Ziel Macao, etwa 1.000 Seemeilen von Pernambuco entfernt. Acht Tage dauerte die Fahrt. Macao war damals ein kleiner Hafen mit 500 Einwohnern, samt und sonders Eingeborene außer einem 70jährigen Hamburger, der dort eine kleine Bierwirtschaft betrieb. Da Macao keine Kaianlagen hatte, mussten wir auf Reede bleiben. Genau an meinem 15. Geburtstag wurde mit Laden begonnen. Es sollten 100 Tonnen Salz und 1000 Ballen Baumwolle übernommen werden. Zwei Tage brauchten wir erst einmal, um den Sandballast loszuwerden. Der Einfachheit halber wurde er einfach über Bord geschaufelt. Insgesamt 10 Tage brauchten wir also, um die Ladung aufzunehmen. Abends war die Luft dick von den Moskitoschwärmen, so dass man nicht atmen konnte, ohne diese Insekten zu schlucken. Diese Plage war manchmal nahezu unerträglich, aber man war ja jung, da nahm man das alles ohne viele Worte als Tatsache eben hin.
Schiffbruch vor Brasilien
Am 27. Oktober lichteten wir frühmorgens die Anker, setzten die Segel, und bei einer frischen Brise kamen wir gut vorwärts. Nach 12 Seemeilen hatten wir offenes Wasser erreicht, aber vor dem tiefen Wasser war noch eine Barre (Sandbank) zu passieren. In deren Höhe stieß das Schiff durch die Dünung durch und sprang infolge der starken Stöße auf die Sandbank und schlug leck. Wir gaben Notsignale, d.h. wir schossen einige Raketen ab, die gottlob an Land gesehen wurden. Nach einiger Zeit kam ein kleiner aus Holz gebauter Schlepper, der uns - nachdem wir ein Teil der Ladung über Bord geworfen hatten - nach Macao zurückbrachte. Der Rest der Ladung ging an den Ablader zurück. Die anschließende Besichtigung des Schadens ergab, dass das Schiff nicht mehr reparaturfähig war. AXEL sollte nun verschrottet werden, und wir saßen in Macao, auf Nachricht wartend, was weiter geschehen sollte. Im November wurde die gesamte Besatzung bis auf den Kapitän, dessen Familie, den Koch und mich als Schiffsjunge abgemustert und über Pernambuco nach Hause geschickt.
Für uns Zurückgebliebene fing nun eine langweilige Zeit an. Es wurde gefischt, gefischt und nochmals gefischt. Ein Tag verging wie der andere. Ging das Geld aus, wurde etwas vom Inventar verkauft, ansonsten warteten wir auf ein Wunder, das uns in die Heimat zurückbringen würde. Weihnachten verlief ruhig und still, in der Sehnsucht in der Heimat zu sein.
Im Januar 1895 stellte sich an Bord ein erzählenswerter Zwischenfall ein. Der Kapitän war gerade an Land gegangen, als wir - der Koch und ich - aus der Kajüte des Kapitäns lautes Schreien hörten. Wir rannten hin und sahen die Frau des Kapitäns sich vor Schmerzen windend. Sie hatte eine Fehlgeburt, und da an Bord keine andere Hilfe war, mussten wir Hebammendienste leisten. Der Koch eilte los, um den Kapitän zu suchen und einen Arzt zu finden. In dieser merkwürdigen Situation musste ich 15jähriger Bengel der Frau behilflich sein. Ich hätte nie gedacht, dass zu einer Seemannsausbildung auch Wöchnerinnenhilfe gehört. Erst nach zwei bangen Stunden kam der Kapitän und brachte einen Arzt mit. Alles war aber inzwischen gut abgelaufen, und zu meiner Erleichterung wurde ich von meinem Posten abgelöst. Die Frau des Kapitäns erholte sich bald wieder, und alle waren heilfroh, dass sie wieder wohlauf war. Immer noch waren wir in Macao, und niemand wusste, wie lange wir dort noch aushalten mussten.
Da traf uns im Juli ein schwerer Schicksalsschlag. Unser Kapitän erlag einem Herzschlag. Es war gegen Abend, als er starb. Wegen der großen Hitze konnte die Beerdigung nicht lange hinausgeschoben werden, d. h. es musste schnell gehen. Der Arzt kam an Bord und stellte die Sterbeurkunde aus. Holz für einen Sarg gab es in dem Nest nicht, also mussten wir an Land aus Kisten, in denen Streichhölzer verladen wurden, einen Sarg zimmern. Damit er nicht gar so armselig aussah, nagelten wir schwarzen Stoff auf das Holz.
Es war fast Mitternacht, als wir mit einem Kanu zum Schiff