Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
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Wieder daheim
Die Freude, alle meine Angehörigen nach so langer Zeit wieder zu sehen, war dann aber auch groß, denn ich war immerhin 30 Monate nicht mehr zu Hause gewesen. Die erste Nacht konnte ich nicht einschlafen, und ich sagte meiner Mutter, sie müsse erst einmal ein paar Eimer Wasser gegen das Fenster schütten, damit ich das Gefühl hätte, noch auf dem Schiff zu sein. Die ganze Familie freute sich, dass ich zum Weihnachtsfest zu Hause sein konnte, und ich fand es auch schön. In Cranz war großer Silvesterball, den ich natürlich nicht versäumen durfte. All die kleinen Mädels, die ich noch von der Schulbank her kannte, freuten sich, dass sie mit dem weitgereisten Hannes tanzen konnten. Sie wunderten sich, dass ich tanzen konnte und wollten unbedingt wissen, wo ich es gelernt habe.
So verging die Zeit bei Muttern ganz zufriedenstellend, aber es zog mich wieder in die weite Welt. Ich suchte mir ein Schiff, wo ich als Matrose anmustern konnte, schon wegen der Heuer, da gab es nämlich den enormen Verdienst von 45 Mark monatlich. Aber ich hatte kein Glück, denn es brach ein Streik aus, und so musste ich notgedrungen noch zu Hause bleiben, denn als Streikbrecher wollte ich auch nicht gerne fahren.
Es war damals ein ganz besonders strenger Winter. Este und Elbe waren zugefroren, und man konnte ganz bis nach Blankenese rüberlaufen. Um sich die Zeit zu vertreiben, legten wir wieder wie früher Quabbenangeln aus, denn ganz ohne Beschäftigung konnte man doch nicht sein. Als aber Ende Februar der Streik zu Ende war, ging ich sofort zu unserem Heuerbaas und musterte am 1. März 1897 auf der „THEKLA“, dem größten Segelschiff, das wir in Deutschland hatten an. Die Reise ging zur Westküste Südamerikas, um Kap Horn herum.
Auf See zu neuen Ufern
Die Thekla war ein Vollschiff, d.h. ein Schiff mit drei voll getakelten Masten, die 60 Meter hoch waren. Sie konnte 4000 Tonnen laden und hatte 42 Mann Besatzung. Am 4. März 1897 ging die Reise los, zwei Schlepper zogen die THEKLA elbabwärts. Wir machten gute Fahrt durch die Nordsee und passierten am 6. März Dover. Bei der Insel Wright drehte der Wind, wir mussten drei Tage auf der Stelle kreuzen und kamen nicht weiter. In Cardiff wurden wir am 16. März von zwei Schleppern an unseren Liegeplatz gebracht. Wie immer folgte die übliche Zollrevision, aber es wurde selbst nach vierstündigem Suchen nichts gefunden, und das Schiff wurde freigegeben.
Zwölf Tage dauerte es, bis wir unsere Ladung gepresster Kohle an Bord hatten, dann reisten wir weiter durch den Bristolkanal in den Atlantik. Bei gutem Wetter machten wir eine prima Fahrt, zeitweise 17 Knoten, also mehr, als unsere größten Passagierdampfer leisten konnten. Zur Ruhe kamen wir nicht viel, und unsere Arbeitszeit dauerte 14 bis 16 Stunden am Tag. Heute würden sich die Leute schönstens bedanken, wenn man ihnen solche Arbeitszeiten zumuten würde, dabei wurden Überstunden nicht etwa besonders vergütet. Als wir in der Nähe des Äquators waren, bemerkte der Kapitän, dass das Schiff ziemlich steif war, d. h. wir hatten zu viel Ladung im Unterraum. 200 Tonnen Kohlen mussten wir nun aus dem Unterraum ins Zwischendeck bringen, um so Abhilfe zu schaffen. Die Arbeit nahm sechs Tage in Anspruch, und bei der Äquatorhitze war es eine verteufelt anstrengende Arbeit. Durch den Teergehalt in der Presskohle, brannte uns die Haut bald am ganzen Körper, und es gab dabei viele wunde Stellen.
Am 1. Juli 1897 begannen furchtbare Stürme, sie machten uns viel zu schaffen, und Schlaf bekam man kaum noch, denn wenn auch Wachablösung war, die Freiwache musste immer zupacken, wenn die Segel festgemacht werden mussten. Kap Horn ist eben Kap Horn. Wenn man bei so stürmischen Wetter aus seiner Koje kam und an Deck ging, kam es nicht selten vor, dass man gerade in einen Brecher lief und buchstäblich schwimmen musste, obgleich man noch nicht über Bord gegangen war. Die Seen waren oft unvorstellbar hoch. Wir haben, um ungefähr 2.400 Seemeilen zurückzulegen, vom l. Juni bis 15. Juli gebraucht, das sind 45 Tage. Um Kap Horn herum zu fahren, war damals eine gefährliche Sache, der Seegang dort ist nicht zu beschreiben, aber man singt ja heute noch manches Lied, das von Kap Horn handelt.
Zu allem Unglück wurde auf dieser Reise auch noch der Koch krank. Er konnte seinen Dienst nicht mehr versehen, und ausgerechnet ich musste nun sein Amt übernehmen, dabei verstand ich genau nichts von der Kocherei. Nach dem schon früher beschriebenen Wochenplan musste ich nun mein Heil versuchen, die täglichen Mahlzeiten durften ja nicht ausfallen. Also erst mal Erbsensuppe mit Salzspeck. Das war schon ein Kapitel für sich, denn so lange ich die Erbsen auch auf dem Feuer hatte, sie wurden einfach nicht weich. Irgendwo musste ich aber mal aufgeschnappt haben, dass man mit Natron die Hülsenfrüchte weich bekommt, aber wo sollte ich an Bord Natron herholen? – Ich dachte schon mit Schrecken an all die Lästermäuler, wenn die harten Erbsen aufgetischt würden und überlegte hin und her, wie ich mich da aus der Schlinge befreien könnte. Schließlich dachte ich bei mir, dass Soda doch eigentlich auch gehen müsste. Ich organisierte mir gleich ein ganzes Pfund, und das wanderte dann in meinen Kochtopf. Nach ganz kurzer Zeit wurden die Erbsen auch butterweich, und die Mahlzeit schmeckte vorzüglich und wurde auch restlos vertilgt. Aber am Abend dann, oha – oha... Die Lauferei nahm kein Ende, ich habe mich vorsichtshalber gar nicht sehen lassen, denn die ganze Wut galt mir, dem Vizekoch, aber ich konnte doch diese durchschlagende Wirkung nun wirklich nicht voraussehen. Jedenfalls konnte sich niemand über schlechte Verdauung beklagen.
Im Laufe der Zeit lernte ich dieses Küchenhandwerk einigermaßen, war aber heilfroh, als nach einigen Wochen der Koch sein Amt wieder übernehmen konnte. Ich war glücklich, endlich wieder Seemann sein zu können, und die Besatzung war ebenso froh, nicht mehr Opfer meiner Kochkunst sein zu müssen.
Am 1. Juli hatten wir die Sturmgrenze überschritten und nach langer Zeit mal wieder Gelegenheit, uns etwas zu pflegen, d.h. uns mal gründlich zu waschen. Inzwischen hatte unser Körper schon eine richtige Salzschicht bekommen, denn wenn es nicht gerade einmal regnete, war keine Möglichkeit vorhanden, sich mit frischem Wasser zu waschen, und das Seewasser ist auf lange Sicht scheußlich. Das Trink- und Kochwasser durfte zum Waschen nicht genommen werden.
Im August 1897 kamen wir in Iquique an, einer kleinen Stadt mit zirka 10.000 Einwohnern, ein furchtbar eintöniges Nest, wo kein Baum und kein Strauch wuchsen. Trinkwasser musste aus Valparaiso geholt werden, denn in Iquique regnete es das ganze Jahr nicht. Wasser war daher eine Kostbarkeit, und man musste sehr sparsam damit umgehen. Im Hintergrund von Iquique war viel Gebirge, und dort wurde Salpeter gewonnen. So luden auch alle Segler, die diesen Hafen anliefen, Salpeter. Unsere Kohlenladung wurde von der eigenen Besatzung in Prähme verladen, eine schwere Arbeit, denn fast immer waren 40 Grad Hitze. Abends war man dann pechschwarz vom Kohlenstaub. Zum Waschen bekamen wir dann nur drei Eimer Wasser für 36 Mann. Wer zuerst kam, hatte natürlich Glück, bei dem letzten lief das Wasser kaum noch durch die Finger, so dick war es von dem Dreck geworden.
Manchmal hatte man auch Glück an Bord. So wurde ich mal vom Kapitän ausgesucht, als sein Gigmann zu fahren. Die Gig war das Boot, mit dem der Kapitän immer an Land fuhr, wenn wir auf Reede lagen. Wenn man so ein Pöstchen erwischt hatte, brauchte man nur auf das Boot aufpassen, es natürlich sauber halten und immer bereit sein. Jeder Kapitän wollte selbstverständlich den anderen ausstechen und mit seinem Boot angeben. Ich musste immer fein in Schale sein. Die Sachen lieferte der Käptn, blaue Hose, weißes Hemd und weiße Mütze. Der Kapitän hatte auch eine Schappkiste an Bord, das war eine Kiste, deren Inhalt aus lauter Dingen bestand, welche die Seeleute gebrauchen konnten und die der Kapitän ihnen verkaufte. Sicher hat er daran manche Mark extra verdient. Man konnte so allerlei einkaufen, nur Alkohol durfte er nicht ausgeben, das war zu gefährlich. Aber den besorgten wir uns heimlich an Land. Offiziell war es natürlich streng verboten, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, da kannten wir uns aus. Wir besorgten uns beim Schiffshändler einen Schlauch, den ließen wir mit Alkohol füllen, banden ihn uns um den Bauch und warteten, bis der Kapitän außer Sicht war, dann ließen wir den Schlauch an einer Leine über Bord gehen und holten uns den Segen, wenn die Luft wieder rein war, aufs Schiff zurück.
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