Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
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Eine schmerzhafte Angelegenheit war diese Krankheit, aber nach sechs Wochen wurde ich für einen Monat auf Erholungsurlaub geschickt. Durch diese Krankheit hatte ich nun aber das Pech, mit meinem Reserveoffizierskursus nicht fertig zu werden, denn am ersten Oktober war meine Dienstzeit zu Ende, und ich konnte wieder ziviler Seemann werden. Reserveoffizier wurde ich dann im ersten Weltkrieg, aber davon später. In der Einjährigenzeit brauchten wir nicht immer in der Kaserne wohnen, und ich hatte mir mit noch zwei Kameraden ein Zimmer in der Stadt gemietet, so eine richtige Junggesellenbude. Eingerichtet war die Bude nicht besonders, aber besser als in der Kaserne. Unser Geld reichte natürlich nie, wie sollte es auch anders sein. Mein Freund kam aber auf die grandiose Idee, sich eine Freundin anzulachen, so eine richtige Bratkartoffelliebe, möglichst eine Mamsell, die an die Fleischtöpfe herankam.
Er hatte auch Glück, sie war Mamsell im Bahnhofsrestaurant. Für ihn mit ihren 40 Lenzen schon etwas ältlich, aber sie verliebte sich in ihn. Dick war sie auch, und als schön konnte man sie gerade nicht bezeichnen, aber darum ging es uns ja gar nicht, wir hatten ganz andere Gedanken dabei. Als er uns das neue "Glück" vorstellte, mussten wir aber doch lachen. Wir sagten auch später zu ihm, das wäre "Liebe zum abgewöhnen".
Am Tage konnte er sich mit der "Schönen" sowieso nicht sehen lassen, und so lud er sie am Abend gegenüber vom Bahnhof in ein Gartenlokal ein. Es versteht sich von selbst, dass sie nicht mit leeren Händen kommen durfte, wenn er "treu" bleiben sollte. Unsere Lebensmittelversorgung war wenigstens für lange Zeit sichergestellt. Ob es von uns nun gerade ein feiner Zug war, bleibt dahingestellt, aber wir waren jung und für jeden Streich zu haben. Kathrine war jedenfalls restlos glücklich, und unser böses Spiel hat sie nie durchschaut. Wenn sie heute noch lebt, denkt sie vielleicht noch ab und zu an den feschen Einjährigen, den sie damals in Kiel so verwöhnen konnte. Zweimal in der Woche füllten wir so unseren Proviant auf, und wenn alles aufgefuttert war, hieß es: „Hein, es wird Zeit. Du musst wieder mit Kathrine ausgehen.“ Sie war eine dankbare Liebe, die gute Kathrine.
Bei H. M. Gehrkens auf Finnlandfahrt
Als Obermaat der Reserve wurde ich entlassen und landete wieder in Cranz, wo ich mir drei Wochen lang das Zivilleben schmecken ließ. Auf dem Dampfer "FÖHR" musterte ich als 2. Steuermann mit 90 Mark Heuer an. Die Fahrten gingen zwischen Hamburg und Schweden (Stockholm, Gefle, Hudiksvall, Sundsvall, Hernösand, Pitea, Skeleftea). Drei Wochen dauerte jeweils eine Tour. Zehn Reisen machte ich auf dem Schiff, aber der Kapitän war ein schrecklich nervöser Kerl. Ich hielt es also nicht länger aus, wollte nun endlich auch bei einer Reederei, die mir gefiel, festen Fuß fassen. So kam ich dann am 22. Mai 1902 auf den Dampfer "HERNÖSAND" der Reederei H.M. Gehrkens, und hier blieb ich, bis ich mich zur Ruhe setzte, aber das kam erst viele, viele Jahre später. H.M. Gehrkens war eine alte Reederei mit zwölf Schiffen, die hauptsächlich Tourenfahrten nach Finnland und Schweden machten. Die Haupthäfen waren Helsingfors, Abo, Hangö, Kotka und Wiburg. Bis zum 6. Februar 1903 blieb ich auf HERNÖSAND und wurde noch am selben Tag auf die "PITEA" versetzt. Kapitän Brauer war unser ältester Kapitän und der beste der Flotte. Leider blieb ich aber nur 23 Tage bei ihm an Bord, denn ich wurde erster Offizier und kam auf ein anderes Schiff. Einige Reisen machte ich dann noch auf Dampfer „STOCKHOLM", einige auf PITEA und musterte dann ab, um die Navigationsschule zu besuchen.
Der Unterricht dauerte gewöhnlich ein halbes Jahr, aber ich hatte schon vorgearbeitet und kam am 20. Juni 1903 in den ersten Kursus hinein. Am 30. gab es 14 Tage Sommerferien. Nun hatte ich auf der Schule einen alten Freund von der THEKLA wiedergetroffen, der den ersten Kursus vollständig mitgemacht hatte. Er bot mir an, mit mir alles durchzupauken, was ich durch mein verspätetes Einspringen in den Kursus versäumt hatte. Paul Haenike hieß er, hatte keine Eltern mehr und wusste nicht, wo er seine Ferien verbringen sollte. Ich nahm ihn mit nach Cranz, er konnte dort bei meinen Eltern wohnen, und so war uns beiden geholfen. Wir verlebten eine herrliche Zeit in Cranz, es war gerade Kirschenzeit. Unsere Tageseinteilung hatten wir uns genau aufgestellt. Um sechs standen wir auf, frühstückten ausgiebig und büffelten bis 11 Uhr. Nach dem Mittagessen arbeiteten wir noch einmal zwei Stunden. Sonntags wurde gefeiert. Irgendwo am Elbdeich wurde erst mal ein Badeplatz gesucht und gebadet, halb sehnsüchtig den ausfahrenden Seeschiffen nachgeschaut, und abends ging es dann auf den Tanzboden. Irgendwo war immer so ein Vergnügen. Die Zeit ging viel zu schnell vorbei, aber ich hatte in diesen elf Tagen alles aufgeholt, wozu die anderen Schüler zwei Monate gebraucht hatten. Ich war meinem Freund sehr dankbar. Am 1. Juli war die Prüfung, d. h. ich wurde geprüft, ob ich den Kursus mitmachen könne. Es klappte alles, und so konnte ich in den zweiten Kursus einsteigen. Während meiner Schulzeit wohnte ich in Cranz und fuhr jeden Morgen nach Hamburg. Im September fingen die Prüfungen mit den schriftlichen Examensarbeiten an. Wir hatten drei mal acht Stunden Zeit dazu, aber ich war mit acht Stunden und 13 Minuten fertig und hatte fehlerfrei gearbeitet. Auch die mündliche Prüfung klappte wie an Schnürchen, und ich bestand mit "sehr gut".
Die Reederei H. M. Gehrkens forderte mich wieder an und schickte mich nach Lübeck, wo ein neues Schiff im Bau war. Diesen Bau musste ich beaufsichtigen. Das dauerte drei Wochen, und von Travemünde aus wurde die Probefahrt gemacht. Auf diesem neuen Schiff wurde ich erster Offizier und bekam nun 115 Mark Heuer.
Die erste Fahrt mit der "HAPARANDA" machten wir nach Sundsvall (Schweden) und holten dort eine Holzladung für Bremen. Die Maschine hatte 1100 PS. Dieses Schiff war mit Eisenverstärkung gebaut und hauptsächlich für die Finnlandfahrten so verstärkt worden, dass wir auch im Winter bei Eis dorthin fahren konnten.
Auf der Reise nach Sundsvall - es war in Oktober - war es schon ziemlich kalt, und unterwegs bekamen wir einen schweren Schneesturm. Bei starkem Schneetreiben fuhren wir durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Am 4.11.1903 um vier Uhr ging es durch die Brunsbütteler Schleuse. Zeitweise konnte man nichts sehen, so unsichtig war es, und plötzlich um acht Uhr morgens gab es einen Ruck. Wir waren durch das unsichtige Wetter und Stromversetzung bei Altenbruch, fünf Seemeilen vor Cuxhaven, auf Stack gelaufen. Es war gerade Hochwasser, und die Ebbe setzte ein. So blieb das Schiff dort sitzen. Die Bergungsdampfer waren sofort zur Stelle, aber das nützte nicht viel, wir mussten erst das neue Hochwasser abwarten. Bei Niedrigwasser war das Schiff vorn ganz trocken, und achtern war das Deck unter Wasser. So bestand Gefahr, dass es durchbrach. Nun wurde erst mal Schiffsrat abgehalten und beschlossen, einen Teil der Ladung über Bord zu werfen, um das Schiff leichter zu machen. Hinten wurde ein großer Anker ausgebracht, um den Winden zu helfen. Das Holz, das wir über Bord warfen, trieb bei Altenbruch an den Strand. Die Bewohner hatten das gleich spitz bekommen und schleppten das Holz über den Deich. Für sie war das Strandgut, sie glaubten ein Recht zu haben, sich das Holz anzueignen. Für diese Strandpiraten war das ein schönes, unverhofftes Geschäft. Beim nächsten Hochwasser wurde das Schiff mit sechs Bergungsschleppern geschleppt, d. h. erst versuchten sie den Dampfer frei zu bekommen. Viele Zuschauer hatten sich inzwischen eingefunden, und uns war das Glück hold, wir kamen frei und konnten im tiefen Wasser erst mal ankern. Später dampften wir dann mit eigener Kraft nach Hamburg. Ein Schlepper begleitete uns auf dieser Fahrt. Nun musste die Ladung gelöscht werden, und dann mussten wir ins Dock (Stülcken-Werft), denn die HAPARANDA hatte einen ziemlich großen Bodenschaden bekommen. Neun Platten und Spanten mussten eingesetzt werden. Die Reparatur nahm viel Zeit in Anspruch, und es wurde Dezember, bis wir wieder fahren konnten. Trotzdem dampften wir erst am 4. Januar 1904 nach Bremen, um unsere Holzladung dort zu löschen. Die ganze Mannschaft war natürlich froh, dass sie Weihnachten und Neujahr bei ihren Familien sein konnte, denn das kommt bei den Seefahrern höchst selten vor. Die Seeamtsverhandlung musste nun auch noch die Schuldfrage der Havarie klären, aber die Verhandlung lief für uns gut aus. Man führte den Unfall auf die schlechte Sicht und Stromversetzung zurück. Der Schaden musste also von der Versicherung getragen werden.
Am 12. Januar 1904