Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute. Jürgen Ruszkowski
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Und doch passierte auf der HAPARANDA etwas, das aber mit dem Schiff nichts zu tun hatte und wobei unser Kapitän beinahe uns Leben gekommen wäre, aber das muss ich mal genau erzählen. Am 4. Juli 1905 kamen wir in Valkum bei Lovisa in Finnland an, um dort Holz für Bremen zu holen. In diesen Holzhäfen ist nicht viel los, und jeder gestaltet sich seine Freizeit nach eigenem Geschmack. Unser Kapitän Fock war ein großer Jäger vor dem Herrn und ging deshalb auch bei jeder Gelegenheit zur Jagd. Mit seinem kleinen Foxterrier, der ihn auf allen Reisen begleitete, fuhr er eines Tages mit dem Arbeitsboot los, um Enten zu schießen. Als unser Kapitän aber abends um sechs Uhr noch immer nicht an Bord zurückgekehrt war, machten wir uns echte Sorgen, und unruhig hielten wir nach dem Boot Ausschau. Um sieben kam dann endlich das Boot angesegelt, der Hund bellte, aber von unserem Kapitän war nichts zu sehen. Wir sahen nur einen fremden Mann, der das Boot längsseits brachte. Es war ein Finne, der das Boot steuerte. Als das Boot dann neben unserem Schiff lag, sahen wir unseren Kapitän leichenblass unten im Boot liegen, und wir glaubten, er sei tot. Was war da geschehen, so fragten wir uns. Nun, wir erfuhren es dann später.
Kapitän Fock war also losgefahren, um Enten zu schießen. Beim Segeln lag sein Gewehr mit dem Lauf nach hinten auf der Bank, er selbst saß am Ruder. Als er die ersten Enten sah, wollte er gleich einmal sein Heil versuchen, nahm das Gewehr auf, aber der Hahn hakte irgendwo, und ein Schuss ging vorzeitig los und traf den Kapitän in den Oberschenkel. Er muss dann gleich ohnmächtig geworden sein, jedenfalls wurde er später bewusstlos aufgefunden. Der kleine Foxel, der mit großer Liebe an seinem Herrchen hing, fing fürchterlich an zu winseln und bellte dann so laut er konnte. Schließlich wurde der Finne, der in seinem Segelboot unterwegs war, durch das Bellen aufmerksam und segelte in die Nähe des Bootes. Die Segel flatterten im Wind, und je näher der Mann an das Boot kam, desto unruhiger gebärdete sich der Hund. Als der Finne dann sah, was passiert war, nahm er das Boot in Schlepp und brachte es zu uns. Der kleine Hafen verfügte weder über ein Motorboot, noch gab es einen Arzt dort. So ließ ich in Lovisa anrufen und einen Krankenwagen bestellen, der den Verunglückten gleich ins Krankenhaus bringen sollte. Ich segelte dann auch gleich mit dem todkranken Kapitän nach Lovisa, wo der Krankenwagen schon auf uns wartete. Ich wollte unseren Chef gleich nach Helsingfors transportieren lassen, aber der Arzt ließ es nicht zu, weil der Blutverlust zu groß war. Ich bat aber den Arzt, die Überweisung nach Helsingfors sobald als möglich zu veranlassen. Die Reederei wurde von dem Unfall unterrichtet, und nun sollte ich als 21jähriger das Kommando über das Schiff übernehmen und es nach Bremen bringen.
Frau Fock reiste dann mit dem nächsten Schiff nach Finnland, um bei ihrem kranken Mann sein zu können. Nach einiger Zeit konnte Kapitän Fock nach Helsingfors gebracht werden. Er kam dort ins Stadtkrankenhaus, wo ihn Professor Beselin behandelt hat. Trotz aller Mühe konnte aber auch der Professor das Bein nicht retten, es musste bis zum Knie abgenommen werden. Das Fleisch des Oberschenkels war auch zum Teil durch den Unfall verletzt. Um die großen Wunden schließen zu können, ließ sich Frau Fock aus ihrem Bein Hautstücke herausschneiden, die auf das verletzte Bein ihres Mannes verpflanzt wurden. Nach sechs Wochen schlossen sich dann auch die Wunden, und nach weiteren sechs Wochen konnte man an eine Überführung nach Hamburg denken. Es dauerte aber noch viele Monate, bis Kapitän Fock eine Prothese bekommen konnte, und die ersten Gehversuche strengten ihn sehr an. Er hat dann aber später noch manches Jahr als Kapitän auf der Brücke gestanden, und als er sich zur Ruhe setzte, bastelte er in seinen Mußestunden Schiffe, auch Modelle der Schiffe, auf denen er bei seiner Reederei gefahren ist. Die finnischen Zeitungen waren seinerzeit voll von den Berichten, und der kleine Foxel als Lebensretter spielte in den Berichten die größte Rolle.
Ich durfte dann noch zwei Reisen als Kapitän der "HAPARANDA" nach Finnland fahren und war glücklich, dass mir dieses Vertrauen geschenkt wurde.
Bis September 1906 bin ich noch auf vielen anderen Schiffen meiner Reederei gefahren, wie "PITEA", "LULEA", "SÖDERHAMN", "STOCKHOLM" und habe immer Glück auf meinen Fahrten gehabt. Am 18. September 1906 wurde ein neues Schiff in Lübeck gebaut und nach Fertigstellung in Dienst gestellt. Es war wieder ein sogenanntes Eisschiff, extra für Finnlandreisen gebaut. Für einen Monat wurde ich nach Lübeck geschickt, um den Bau zu beaufsichtigen. Die Probefahrt des Dampfers, den man auf den Namen "SUOMI" taufte - Suomi heißt auf Deutsch Finnland - verlief zur Zufriedenheit. So eine Probefahrt ist immer eine große Sache, es wurden wie immer Reden geschwungen, Wein und Sekt getrunken, und der Höhepunkt war dann, wenn die Werftflagge heruntergeholt wurde und die Reedereiflagge deren Platz einnahm.
Nach der feierlichen Indienststellung wurde das neue Schiff beladen und die erste Reise nach Finnland angetreten. Ende September kamen wir in Helsingfors an. Das Schiff wurde über die Toppen geflaggt, und am nächsten Tag war eine große Feier an Bord. Prominente Gäste fanden sich ein wie z. B. der Handelsminister, Generalkonsul, etliche Generaldirektoren usw. Die Zeitungen brachten große Berichte über das neueste Schiff der Reederei H. M. Gehrkens und hoben besonders hervor, dass das Schiff den Namen "SUOMI" trug. Bis Mai 1910 fuhr ich als erster Offizier auf der SUOMI, dann wurde ich zum Kapitän befördert, und ich war sehr glücklich, endlich mein lang erstrebtes Ziel erreicht zu haben. Meine Eltern waren recht stolz auf ihren frischgebackenen Kapitän. Mit der SUOMI machte ich noch viele Fahrten, bis 1914 der erste Weltkrieg ausbrach.
Johannes Hubert im ersten Weltkrieg
Ich war gerade in Hamburg und musste sofort mein Schiff verlassen, um mich bei der Marine zu melden. In Wilhelmshaven wurde ich eingekleidet, und als Obermaat begann ich meinen Kriegsdienst. Vierzehn Tage später wurde die Nordseevorposten-Flottille gegründet und zwar fünf Gruppen, je Gruppe sechs Boote. Es waren umgebaute Fischdampfer, die vor der deutschen Nordseeküste bis nach Esberg (Dänemark) hin und her kreuzen mussten und auf diese Weise den Küstenschutz übernahmen. Ich wurde Kommandant des Vorpostenbootes "BRESLAU". Die Schiffe waren mit drei 8,8-cm-Geschützen ausgerüstet, zwei vorne und eins am Heck. Die Besatzung bestand aus 34 Mann. Sechs Tage war man dann auf See und vier Tage im Hafen. Man nannte den Dienst auf diesen Booten auch Himmelfahrtskommando. Bin zum 10. Oktober 1915 blieb ich auf der BRESLAU, am 1. Oktober bekam ich das EK 2. Dann meldete ich mich zum Reserve-Offizierkursus und wurde auf S.M.S. "SCHWABEN", dem Ausbildungsschiff für angehende Offiziere, auf das Examen vorbereitet.
Der Kursus dauerte drei Monate. Die Artillerieausbildung fand ich nicht interessant, und die Navigationsausbildung hatte ich nicht mehr nötig, da hatte ich auf der Seefahrtschule bedeutend mehr gelernt. Immerhin war ich ja schon etliche Jahre Kapitän. So bestand ich mein Examen ohne Schwierigkeiten und wurde Vizesteuermann der Reserve und Offiziersanwärter.
Die Reserveoffizier-Prüfung kam dann am 10. Januar 1916 auf der S.M.S. "REGENSBURG". Es war einer von unseren großen Kreuzern mit Kapitän z. S. Heinrich als Kommandant. Wir machten dann mit 12 großen Zerstörern mehrere Fahrten nach England rüber und beschossen die englische Küste. Kapitän Heinrich war ein Draufgänger, aber dennoch ein besonnener Mann. Immerhin waren diese Fahrten ziemlich gewagt. Wenn ich im Hafen an Bord meine Wache schob, kam Kapitän Heinrich oftmals zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Na, Kapitän, nun müssen wir aber bald mal wieder etwas unternehmen!“ Er nannte mich grundsätzlich nur Kapitän, weil ich im Zivilberuf ja Kapitän war.
Am 27. Januar lagen wir auf Schillig-Reede. Es war Kaisers Geburtstag, also ein großer Tag, der auch gebührend gefeiert wurde. Man legte damals Wert darauf, festzustellen, wie sich die zukünftigen Offiziere verhalten, wenn sie eine ziemliche Menge Alkohol getrunken hatten. Also wurden die Offiziersanwärter feste unter Alkohol gesetzt. Das Kommando an Bord war prima: Kommodor Kapitän z. S. Heinrich, Kommandant Kapt. z. S. Bendemann, Funkoffizier Graf Rantzau, 1. Off. Kapt. z. S. Graf v. d. Borne, Art. Offz. Graf Metlitz und Nav. Offz. Freiherr v. Schweidnitz. Es gab also zunächst ein wunderbares Festessen und die besten Getränke. Ich hatte meinen Platz zwischen Graf v. d. Horne und Freiherrn v. Schweidnitz. Nun wurde unauffällig aber genau beobachtet,