Winfried von Franken. Michael Sohmen

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Winfried von Franken - Michael Sohmen

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man könnte so weitermachen wie bisher, aber man könnte auch …«

      »Also: ›weiter so‹. Super, ihre Antworten! Es folgt die letzte Frage, danach sind wir durch.« Herr Silowski las ab: »Das Verhältnis zum Chef würde ich beschreiben als … Hahaha! Das ist eine Fangfrage, nicht?«

      Vor Winfrieds geistigem Auge begann ein Film zu laufen: wie er den Kopf seines Chefs packte, mit Wucht auf die Tischkante schlug, dies wiederholte, immer und immer wieder, bis der letzte Zahn aus dessen Oberkiefer herausgeschlagen war. Geistig abwesend und in brutalste Visionen vertieft starrte er an die Wand.

      »Keine Antwort? Ich trage einfach mal ein: ›ausbaufähig‹. So drückt man es politisch korrekt aus. Erledigt. Perfekt! Alles ist ausgefüllt und wir sind fertig. Wir sehen uns beim nächsten Mitarbeitergespräch. Sie finden den Ausgang durch die Bürotür sicher ohne meine Hilfe.«

      Winfrieds Füße führten ihn in den Aufenthaltsraum. Eine Pause und einen Schluck Kaffee hatte er sich jetzt redlich verdient. Dort verweilte auch sein Chef und dessen korpulente Zimmernachbarin, Frau Maier, die wie üblich einen ihrer Monologe hielt: »Der gesamte Vorstand war letztes Wochenende beim Führungskräfte-Coaching. Eine ausgezeichnete Erfahrung, wir haben viel über uns gelernt. Man denkt erst: das ist doch ziemlich albern, alle in Badeanzügen und malen sich gegenseitig mit Fingerfarben an. Aber was man an Menschenkenntnis gewinnen kann, ist wirklich beeindruckend!«

      »Das ist sicherlich …«, setzte Winfried zu einem Kommentar an und dachte: das hat meinem Chef sicherlich gefallen. Frau Maier führte den angefangenen Satz zu Ende: »eine wunderbare Stärkung der Sozialkompetenz!« Sein Chef warf ihm einen Blick zu, als wollte er ihn töten.

      Um sich der Situation zu entziehen, schlich sich Winfried zum Automaten und drückte die Tasten für Kaffee mit Milch und Zucker. Die automatische Pumpe spülte heißen Kaffee in das Ausgabefach. Danach - Plopp - erschien der Becher.

      *

      Am nächsten Tag saß Winfried konzentriert vor seinem Bildschirm. In komplizierte Berechnungen vertieft, richtete sich sein starrer Blick auf die im Stakkato wechselnden Zahlen. Unsanft wurde er aus den Gedanken gerissen. »Herr Kunze!«, bellte jemand.

      Er zuckte zusammen und wandte seinen Drehstuhl zur störenden Lärmquelle. Dort stand sein Chef mit zwei schlaksigen jungen Männern. Einem Südländer, gekleidet in einen frisch gebügelten Nadelstreifenanzug, mit einer schmalen Bartlinie um seine Lippen – so, als würde dort Schokolade vom letzten Osterfest kleben. Der Andere war betont lässig gekleidet. Sein Haupt krönte eine umgekehrt aufgesetzte Baseballkappe und sein beschränkt wirkender Gesichtsausdruck wurde untermalt durch starken Überbiss und reichlich Akne.

      »Ja, Herr Silowski?«

      »Herr Kunze! Ich habe Sie ja gestern darauf vorbereitet, dass wir Besuch bekommen werden. Von diesen vielversprechenden jungen Männern, die sich als Werkstudenten bei uns beworben haben. Bitte führen Sie die beiden Herren wie besprochen durch unseren Betrieb und erklären ihnen, wie das Ganze hier läuft, was wir für einen Job machen.«

      Winfried fiel aus allen Wolken. Nichts war abgesprochen, Chef! Du hast mal wieder deinem Vorgesetzten versprochen: Klar, mach ich. Und weil anstelle junger, hübscher Studentinnen diese Typen aufgetaucht sind, drehst du den Job mir an. Er zögerte einen Moment und überlegte, wie er angemessen reagieren sollte und sagte schließlich: »Ich kann mich nicht an eine Absprache erinnern …«

      »Kein Wort mehr!«, schnitt der Chef ihm das Wort ab. An die zwei Studenten gewandt, sagte er: »Herr Kunze erklärt Ihnen alles ganz ausführlich. Er nimmt Sie später zum Mittagessen in die Kantine mit. Ich habe einen wichtigen Termin und muss fort. Adieu, viel Spaß!«, verabschiedete er sich und eilte davon.

      Eine Weile blickten sich die zwei Besucher und Winfried ratlos an, bis er sich einen Ruck gab. »Gut, fangen wir an. Dies ist mein Bildschirm und damit analysiere ich Zahlen und Charts.«

      Die Gäste warfen einen kurzen Blick darauf und murmelten gelangweilt: »Schön!« »Das ist ja interessant!«

      »Mir gegenüber, auf diesem Stuhl, würde Waldemar sitzen. Er ist unser Statistiker«, sagte Winfried mit einem Blick zum benachbarten Arbeitsplatz. »Wenn sich irgendwo eine Wirtschaftskrise anbahnt, weiß er es zuerst.«

      Ein Schild über dessen Schreibtisch verkündete einen Spruch aus der Bibel: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, so sprecht: »Wir sind unnütze Sklaven, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.« Lukas Kapitel 17, Vers 10. Es lagen unzählige Zettel herum, wild verstreut.

      »Der ist wohl sehr fleißig!«, kommentierte der südländische Besucher mit einem Blick auf das Chaos. Winfried stimmte kurz zu und verkniff sich, zu erläutern, dass dessen Fleiß primär künstlerischer Natur war und das Papier ausschließlich für Origami-Basteleien verwendet wurde.

      Sie wanderten ein paar Schritte weiter. Am nächsten Arbeitsplatz saß ein vollschlanker Herr mit Brille und dicken Gläsern, den Winfried begrüßte: »Hallo Burkhart!«, und den Besuchern erklärte: »Dies ist Herr König. Er vermarktet unsere Wertpapiere.«

      Einen Moment später blieben sie bei einem Herrn mit hoher Stirn und noch größerem Körperumfang stehen. »Mahlzeit, Rainer!«, sprach er ihn an und sagte zu den Studenten: »Das ist Herr Dietrich. Er verfolgt Nachrichten und bewertet sie. Jederzeit ist er über das gesamte Weltgeschehen informiert und immer auf dem aktuellsten Stand.«

      Beim Weitergehen konnte Winfried einen Kommentar nicht verkneifen: »Jetzt habt ihr gesehen, wie ihr vielleicht aussehen werdet, wenn ihr mehr als zwanzig Jahre diesen Job macht.«

      Erneut stoppten sie. »Hallo Richard!«, sprach er den nächsten Kollegen an und stellte dessen Tätigkeit vor: »Das ist Herr Mühlstein. Er gestaltet das Design für unsere Zertifikate.«

      Der schlaksige Junge mit der Baseballkappe schaute forsch zu Winfried: »Dürfte ich eine Frage stellen, Herr Kunze?«

      »Nur zu!«

      »Wieviel verdienen sie?«

      »Zwanzigtausend im Jahr Festgehalt. Dazu kommt ein Erfolgshonorar. Der Hauptanteil unseres Gehaltes sind Prämien.«

      »Könnten Sie mir eine Aufstellung Ihres Vermögens zusenden?«

      »Wieso das denn?«

      »Ich mache eine Ausbildung zum Vermögensberater, Herr Kunze. Detailliert kann ich analysieren, ob Ihr Vermögen gut angelegt ist. Ich würde Sie gerne bei Ihrer Zukunftssicherung beraten und kann Ihnen helfen, eine Menge Steuern zu sparen!«

      »Bei Vermögensanlagen kenne ich mich selbst bestens aus«, entgegnete Winfried alarmiert, »außerdem gebe ich private Informationen ungern in fremde Hände. Speziell, was meine Finanzen angeht.«

      Der junge Mann reichte ihm eine Visitenkarte: »Wir beide arbeiten für ›Boppermann Financial Consulting‹, einem führenden Finanzdienstleister. Sie haben sicher von uns gehört. Und Sie haben nun die einmalige Chance, eine Top-Beratung von einem Top-Spezialisten zu bekommen! Unser Motto: Wir beraten …« »…auch Kastraten«, beendete sein gestylter Begleiter den Satz, woraufhin beide in schallendes Gelächter ausbrachen.

      »Moment!« Richard drehte sich mit seinem Bürostuhl um. »Was für Typen hast du reingeschleust, Winfried?« Er wurde laut und brüllte: »Du kannst doch nicht einfach Leute von der Konkurrenz mitbringen und zeigen, wie wir hier arbeiten!«

      Später

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