Winfried von Franken. Michael Sohmen

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Winfried von Franken - Michael Sohmen

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als all die anderen! Denkt immer an euren Erfolg und kämpft nur für euch. Schaut mich an: ich habe es geschafft! Sagt zu euch selbst: ich bin der Beste! Aber warum erzähle ich euch das und behalte dieses Wissen nicht einfach für mich?« Fragend richtete er seinen Blick unscharf in die hinterste Reihe: »Ja! Genau dich meine ich! Warum musst du der Beste sein?«

      »Das werde ich erklären«, rief er laut: »Denn: was ist das Wichtigste im Leben? Familie, Freunde, Gesundheit?« Enthusiastisch hüpfte er auf und ab, warf dem Publikum eine Frage nach der anderen zu: »Eine Familie, auf die man sich in der Not verlassen kann? – Freunde, die zu einem stehen? – Gesundheit, auf die man sich nicht immer verlassen kann? Eine Familie kann ohne Geld nicht existieren. Geld kann aber ohne Familie existieren. Freunde? – die wollen wohl kaum befreundet sein mit jemandem, der pleite ist! Denn wer Geld hat, ist auf Freunde nicht angewiesen, kann sich aber seine Freunde aussuchen. Trifft man sich mit vielen nicht nur aus Höflichkeit, aus Mitleid? Scheut man sich nicht davor, zu selektieren und die Unbrauchbaren auszusortieren? Warum muss man sich ständig das ewige Gejammer, bei dem es meistens ums Geld geht, anhören?«

      Im Publikum war aufgeregtes Gemurmel zu hören. Ein empfindlicher Nerv war getroffen.

      »Ist nicht das Wichtigste im Leben: gesund zu bleiben? Was ist, wenn man krank wird und Geld braucht, um sich ein neues Organ zu kaufen?« Rick ließ sich in einer theatralischen Geste mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Boden fallen, hysterisches Geschrei aus dem Publikum folgte. Er sprang wieder auf, wandte sich mit eindringlichem Blick ans Publikum und flüsterte: »Also, was ist das Wichtigste im Leben?«

      Einige Zuhörer standen begeistert auf und riefen: »Geld, Geld, Geld!«

      »Wegen der Show bin ich gar nicht hier«, flüsterte der gestylte Mann neben Winfried, »ich suche nur nach einer Affäre. Alle Frauen, die in so ein Seminar gehen, sind leicht zu haben. Die kann ich leicht um den Finger wickeln, wenn ich von meinem Porsche erzähle, der Villa, meinem Pool und der Finca auf Mallorca. Sofort hängen sie an mir dran. Wollen alles sehen: dann Sorry, mein Porsche ist gerade in der Werkstatt, die Villa wird gerade umgebaut – deswegen muss ich momentan leider im Hotel übernachten. Nach einer Nacht, Ciao! Pech gehabt, aus der Traum und zerplatzt wie eine Seifenblase. Ein Riesenspaß, sage ich dir! Die Frauen sind alle willig, wenn man auf supererfolgreich macht. Schade, dass solche Erfolgsseminare so selten stattfinden. Das kostet mich als Hartz-4-Empfänger keinen Cent. Den Eintritt übernimmt die Arbeitsagentur als Qualifizierungsmaßnahme.«

      So ein Schwätzer! - murmelte Winfried lautlos. Gleichzeitig meldete sich sein Magen mit heftigem Sodbrennen. Meine Nerven …

      »Wem könnt ihr trauen?« Rick tanzte auf der Bühne und warf weitere Fragen in die Runde: »Freunden vielleicht? Die könnten schon am nächsten Tag ihre Masken ablegen und mit eurem Geld abhauen. Oder Geschwistern? Wenn's ums Erbe geht, zählt Verwandtschaft nichts. Ganz sicher doch: den Eltern? Im Alter haben die doch ihre eigenen Sorgen. Der Ehepartnerin?« Er stutzte. »Ich wollte niemanden diskriminieren, deswegen gilt das auch für den Ehepartner.« Nach kurzem Gelächter in den Zuschauerrängen fuhr er fort: »Auch der kann sich unerwartet mit eurem Geld aus dem Staub machen« Er grinste breit über das ganze Gesicht.

      Eine Weile behielt er diesen Gesichtsausdruck bei. Einen Moment später verkehrte sich seine Miene in eine teuflische Fratze, rotes Scheinwerferlicht tauchte die Bühne in dämonisches Licht und begann bedrohlich zu flackern, als wäre ein Höllenfeuer entbrannt. Er sprach jedes Wort langsam und mit tiefer Stimme aus. »Ihr denkt, ihr könntet irgendjemandem auf dieser Welt vertrauen?«

      Das Licht änderte sich in weiß und Rick setzte wieder einen glückseligen Gesichtsausdruck auf, zog ein Bündel Geldscheine hervor, schritt bedächtig bis ans vordere Ende der Bühne, sodass ihn die vordersten Zuschauer mit ihren Händen berühren konnten - was auch einige begeistert taten - und sortierte die Geldscheine so, dass sie zwei Fächer bildeten. Mit erhobenen Armen und vollkommen zufriedenem Lächeln, einer Buddha-Statue gleich, hielt er die Geldscheine in die Höhe und rief: »Diesen könnt ihr vertrauen!«

      Eine Zuhörerin konnte sich nicht mehr halten, zerriss ihre Bluse, entblößte eine beachtliche Oberweite und schrie: »Rick, ich will ein Kind von dir!«

      »Dazu kommen wir später«, erwiderte er mit leichtem Grinsen. Winfried stellte sich die Kombination vor, ein Gnom mit solch riesigen … das, was er sich gerade vorgestellt hatte, schockierte ihn derart, dass er versuchte, das Bild für alle Zeiten aus seinem Gedächtnis zu tilgen.

      »Bevor wir zum Schluss kommen«, sprach der Vortragende, »will ich euch nicht vorenthalten, dass ich viele Tipps auch schriftlich festgehalten habe. Ich will Sie kurz auf mein neues Werk hinweisen: Wie werde ich reich ohne zu stinken. Kauft, ihr werdet es nicht bereuen!«, und zwinkerte dem Publikum zu: »Ich gebe euch noch einen Leitspruch auf den Weg. Denkt immer daran: jeder ist seines Schmiedes Glück.«

      Belustigt ergänzte Winfrieds Sitznachbar: »doch nicht jeder hat ein schönes Stück!« Winfried murmelte für ihn unhörbar: Mir reicht's gleich, halte endlich deinen Mund!

      Zum Schluss erhob Rick seinen Arm zum Publikum. Die rechte Hand zur Faust geballt, rief er den Zuschauern zu: »Jetzt der Schlachtruf: Hossa! Und alle: HOSSA!«

      Mit gestreckter Hand wäre das jetzt strafbar, dachte Winfried.

      Nach und nach stimmten immer mehr Leute in das Kommando ein, bis die aufgeheizte Menge wie aus einer Kehle brüllte: »HOSSA! HOSSA! HOSSA!«, was sich eine Viertelstunde hinzog, während Winfried darüber nachdachte, was der Erfolgsprediger vorgetragen hatte. Was hat er eigentlich gesagt? Etwas Wichtiges müsste doch dabei gewesen sein. Nur an die ständigen Kommentare des aufgetakelten Gigolos neben ihm konnte er sich erinnern.

      Das Publikum strömte dem Ausgang zu, dem Saal folgte eine Lounge. Begleitet von einer stark aufgebrezelten Blondine mit hochhackigen Schuhen drängte sich Winfrieds Sitznachbar herbei und stellte ihn seiner neuen Eroberung vor: »Das ist Ronald, mein bester Freund und Geschäftspartner« und blinzelte ihm schelmisch zu. Die Blondine schüttelte lächelnd Winfrieds Hand und das Pärchen entschwand händchenhaltend durch den Ausgang.

      *

      Das Jahr ging dem Ende zu. Es war Dezember und die Erstürmung der Burg begann. Verzweifelte Hilfssoldaten warfen Steine die Außenmauer hinab, konnten die zahllosen feindlichen Ritter jedoch kaum abwehren. Erneut lehnte eine Leiter an der Außenmauer, ein Soldat eilte zur Verteidigung herbei. Zu spät: sein abgetrennter Kopf schwebte kurz in der Luft, nahm im nächsten Augenblick Bodenkontakt auf.

      An seiner Stelle stand ein Ritter in schwarzer Rüstung und erledigte den nächsten Soldaten mit einem Handstreich. Sein Langschwert in die Höhe reckend, eilte er auf Winfried und seinen Kumpanen zu, die ihre Kurzschwerter zogen und in Stellung gingen.

      Der schwarze Krieger schlug aggressiv auf sie ein. Winfrieds Kumpan wehrte ab und vollzog einen Hieb, der jedoch ins Leere ging, eilte zu einem Pult und notierte etwas, während Winfried in Bedrängnis geriet. Er kehrte zurück, parierte einen Schlag des schwarzen Ritters, lief erneut zu seinem Pult und nahm eine Notiz vor. »Was schreibst du dort ständig?«, rief Winfried ihm zu. »Hilf mir lieber und kämpfe!« Aus dem Augenwinkel sah er die Notiz: Schlag pariert, mittlere Schwierigkeit: Multiplikator 2.5 auf einem Blatt mit der folgenden Überschrift: Gebührenordnung für Ritter.

      Plötzlich erkannte Winfried, wer sein Waffengefährte war. Sein Zahnarzt Dr. Ritter. Kurz war er abgelenkt, mit einem harten Schlag fegte ihm der schwarze Kämpfer das Schwert aus der Hand, warf ihn zu Boden, führte ihm die Klinge zum Hals und begann schallend zu lachen. »Haha! Jetzt bist du erledigt, kleiner Wicht!«, rief er mit bösartigem Grollen. Er zog das Visier seines schwarzen Helms hoch und Winfried blickte in das Gesicht einer Fliege, einer gemeinen Stubenfliege … Moment, das ist doch das Gesicht meines

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