Winfried von Franken. Michael Sohmen
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Nun war Winfried an der Reihe. Er begab sich nach vorne, setzte sich, und die Leiterin stimmte einen Singsang an. »Mein Engel, nimm Winfried in die Vergangenheit mit und zeige ihm sein früheres Leben. Löse diese Seele von seinem Körper, führe ihn in den Astralraum und weise ihm den Weg in die vierte Dimension. Ich rufe dich an, Azrael.«
Azrael? So hieß doch der Kater des Hexenmeisters bei den Schlümpfen, dachte Winfried. Er fühlte sich jedoch positiv entspannt und sein Geist ging auf eine Wanderung.
Er fand sich in einer Höhle wieder, zusammen mit anderen Wesen, die schmutzig und am ganzen Körper behaart waren, starken Körpergeruch ausströmten und im Halbdunkel in einem Kreis saßen – um die Reste eines Körpers. Die Wesen nagten an Knochen. Winfried führte seine Hand zu dem Schmaus in der Mitte, griff nach einem der Gliedmaße und riss es mit einem kräftigen Ruck heraus, führte es zum Mund und nagte daran. Er betrachtete das, was ihre gemeinsame Mahlzeit darstellte und erkannte: es war ein Mensch. Oder das, was von ihm übrig war. Dessen Kopf war noch nicht abgenagt und vollständig. Winfried meinte, dieses Gesicht von irgendwoher zu kennen. Es hatte Ähnlichkeit mit Dr. Weingarten! Während sie wortlos und kauend verbrachten, stellte eines der Wesen ihm offensichtlich eine Frage: »Ugh?« - woraufhin er im Kauen innehielt und antwortete: »Ugh!« Die anderen Wesen begannen nun ebenso, sich aufgeregt zu unterhalten: »Ugh, Ugh!« Es schien, als stimmten sie über etwas ab. Jemand von kleinerer Statur fragte verhalten: »Ugh?« Das größte der Wesen und das behaarteste sprang auf, trommelte auf seine Brust und brüllte laut: »Ugh!« Ein lautes Geräusch folgte, jemand entledigte sich lautstark einiger Körpergase.
Langsam verschwand die Umgebung der Höhle und Winfried befand sich wieder im Seminarraum. Die Leiterin vor ihm wurde erneut sichtbar. Als sie bemerkt hatte, dass er geistig wieder zurückgekehrt war, flüsterte sie: »Danke, Azrael, dass du diese Seele auf eine Astralreise geführt hast.«
Winfried stand auf, alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Ihm fiel ein Geruch auf. Es stank gewaltig, widerwärtig, nach Fäkalien. Alle grinsten.
»Du warst wohl gerade … sehr entspannt!«, kommentierte Dietrich lachend. »Egal. So was passiert halt.« Und fragte neugierig: »Wie war's bei dir? Hat es funktioniert? Hast du herausgefunden, was du in deinem früheren Leben warst?«
Helga drängte: »Komm, erzähl schon! Warst du ein Ritter, ein Edelmann? Oder ein einfacher Bauer?«
Winfried stand stumm inmitten der Gruppe. Bis ihn ein Gefühl des Entsetzens vollkommen zerriss. In Panik flüchtete er aus dem Seminarraum.
*
Als er am nächsten Tag seinen Briefkasten geleert und Werbung aussortiert hatte, fiel ihm ein schwarz umrandeter Briefumschlag auf. Wir trauern um Dr. Manfred Weingarten, begann das Schreiben. Eine Einladung zu dessen Beerdigung. Schnell überflog Winfried einige Zeilen mit frommen Worten. Im Anschluss an die Trauerfeier, lautete die letzte Zeile, sind alle Gäste in das Restaurant ›Zum Wilden Mann‹ hinter dem Friedhof eingeladen zum gemeinsamen Leichenschmaus. Sein Blick blieb auf dem letzten Wort hängen. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Mit Entsetzen erinnerte er sich an seine Vision.
Gernot hatte ihn angerufen, er wollte ihn unbedingt treffen und von seiner neuen Geschäftsidee erzählen.
Sie saßen in seinem Lieblingscafé und Gernot begann, von seinem neuen Projekt zu erzählen. »Winfried, geschäftlich werde ich richtig durchstarten. Ich habe meinen Job gekündigt und mache mich jetzt selbstständig.«
Als die Bedienung erschien und fragte: »Was bekommen die Herren?«, zischte Winfried Gernot zu: »Keine dummen Sprüche diesmal!« und wandte sich der Kellnerin zu: »Zwei Bier bitte!« Sie notierte kurz die Bestellung und blickte auf: »Oh … ihr seid es wieder!« und eilte davon.
»Das hört sich ja grandios an«, reagierte Winfried auf den Bericht seines Freundes. »Ich denke ja auch, dass es viel spannender ist, selbst etwas auf die Beine zu stellen, statt im Büro zu sitzen und jeden Tag sein Sitzfleisch zu quälen, bis Feierabend ist.«
»Ein bisschen abwechslungsreicher war mein Job schon. Damit werde ich auf die Dauer aber nicht reich. Jetzt werde ich richtig Vollgas geben, mit meinem Energy-Drink! Monatelang habe ich recherchiert und Marktchancen analysiert. Es fehlt im Prinzip nichts, bis auf …« Er hielt inne. Und freute sich im nächsten Moment: »Ah, da kommt unser Bier!« Die Kellnerin stellte zwei Gläser auf den Tisch und verschwand wieder.
»Was fehlt denn noch?«, hakte Winfried nach.
»Ein durchschlagender Name. Und ein Rezept für das Getränk.«
Winfried überlegte einen Moment und äußerte sich skeptisch: »Also. Wenn du noch keinen Namen hast und noch kein Rezept für das Getränk, was hast du denn bisher schon?«
»Das Rezept ist eigentlich erstmal egal. Die Zutaten von Energy-Drinks sind simpel: Wasser, Zucker, Zitronensäure und fertig. Und natürlich die entscheidende Zutat: Taurin. Das hört sich nach einem wilden Stier an, darauf stehen die Kids. Ich habe schon feste Verträge mit Produzenten abgeschlossen, die meinen Energy-Drink herstellen werden. Nun das Problem: Alle guten englischen Namen, die mir einfallen, sind schon reserviert. Meine Idee war nun, einen deutschen Begriff aus den dunklen Zeiten der Diktatur zu verwenden, den jeder im Ausland kennt. Und der Clou, den ich mir ausgedacht habe: Für eine ganze ›Stalinorgel‹ mit 20 Dosen - das ist viel cooler für die Kids, anstelle von ›Palette‹ - erhält man eine Führerbibel gratis.«
»Das ist absolut illegal! Der Druck des Buches ist doch verboten! Was du vorhast, ist strafbar!«
»Bald nicht mehr. Das Copyright liegt beim bayrischen Staat. Und der lässt es nicht drucken, seit das Recht zur Vervielfältigung mangels Erbberechtigten an ihn übergegangen ist.« Er fuhr grinsend fort: »Zumindest hat sich bisher niemand gemeldet, der so ein Erbe antreten wollte.« Er zog eine verschwörerische Miene: »Ende 2015 verfällt das Autorenrecht und dann darf jeder dieses Machwerk drucken. Die Beigabe zur Energy-Brause ist als zusätzlicher Marketinggag gedacht. Erst muss ich einen durchschlagenden Namen finden, damit die unzähligen Werbemillionen nicht wirkungslos verpuffen.«
»Wahrscheinlich führt so ein Angebot zu einem öffentlichen Skandal«, spekulierte Winfried, »der durch alle Medien geistert. Schlagartig kennt jeder diesen Namen.«
Gernot nickte bestätigend: »Und so kann ich die teure Werbung sparen.«
»Der Skandal klappt bestimmt, aber mit dem Erfolg …«, äußerte Winfried sich skeptisch und lachte: »Wie wäre es mit noch etwas älterem, vielleicht von den Gebrüdern Grimm: ›Rumpelstilzchen‹?«
Sein Gegenüber stierte ihn begeistert an und jubelte: »Winfried, du bist genial! So jemand könnten wir im Marketingmilieu brauchen. Wo alle erst über eine Idee gelacht haben und meinten, die ist ja komplett hirnrissig, da entstanden die wirklich bahnbrechenden Erfolge. Super! Jetzt fehlt nur noch das Rezept für den Drink.«
Winfried nahm einen Schluck aus seinem Bierglas und setzte es sofort wieder ab, als ihm eine Zutat in den Sinn kam. Ihm fiel auf, dass sein Bier heute anders schmeckte als sonst. Ein Gefühl von Übelkeit machte sich in seinem Magen breit.
Die Kellnerin erschien wieder und fragte: »Alles in Ordnung, die Herren? Haben sie noch einen Wunsch?« Als sie bemerkte, dass Winfried angewidert auf sein Bierglas starrte, stotterte sie: »Entschuldigung,