Tote Models nerven nur. Vera Nentwich

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Tote Models nerven nur - Vera Nentwich

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»Bist du verrückt? Willst du uns auch umbringen?«

       »Auch?« Ich schlage auf seine Arme ein und er versucht, mich mit seiner rechten Hand zurückzuhalten. Wir fahren auf die Kreuzung in Mülhausen zu und er muss den Wagen abbremsen. Als er fast zum Stehen kommt, reiße ich mich von seiner Hand los, öffne die Beifahrertür und springe aus dem Auto. In Filmen sieht das immer so leicht aus. Ich stolpere und falle in das Gras, während die Autos hinter uns quietschend bremsen und hupen. Mühsam rappele ich mich auf. Jochen hat den Wagen ein paar Meter weiter an den Rand manövriert und steigt gerade aus. Da er noch seine Uniform trägt, gehorchen die nachfolgenden Autofahrer, als er ihnen zu verstehen gibt, dass sie weiterfahren sollen.

       »Da siehst du, was ich meine. Nun steig wieder ein.«

       Ich zeige ihm wortlos meinen Mittelfinger und stapfe an ihm vorbei Richtung Mülhausen. Ich höre noch, wie er »Nun werde doch vernünftig« hinter mir herruft, dann gibt er auf, steigt in sein Auto und fährt weiter.

      Das Klacken meiner Absätze hallt von den rot geklinkerten Hauswänden zurück. Eine Frau, die auf dem Parkplatz des Discounters gerade ihren vollgepackten Einkaufswagen zu ihrem Auto schiebt, sieht mich erschrocken an. Ich widerstehe dem Reflex, ihr den Mittelfinger zu zeigen. Sie kann ja nichts dafür, dass mir sogar Freunde einen Mord zutrauen. Ich stapfe weiter. Am ehemaligen Bahnhof vorbei und dann links herum in Richtung Grefrath. Es sieht so weit aus. Hatte ich so gar nicht in Erinnerung. Ich sollte wirklich etwas gegen meine unkontrollierten Aktionen tun. Autos fahren an mir vorbei und aus meinem Stapfen ist ein Trotten geworden. Ich fühle mich unendlich einsam. Um mich herum nur Wiesen und in meinem Kopf ist verwirrende Leere. Ich habe mich da wohl in eine richtig beschissene Situation manövriert.

      »Wo warst du?« Mein Chef empfängt mich mit diesen freundlichen Worten, als ich die Kanzleitür öffne und mich erschöpft in den Sessel im Eingangsbereich fallen lasse. So weit bin ich schon lange nicht mehr gelaufen. Keine Ahnung, warum ich zur Kanzlei gegangen bin. Vielleicht ein unbekannter Rest von Pflichtgefühl?

       »Was geht’s dich an?«

       »Was es mich angeht? Ich bin dein Chef, verdammt nochmal. Das scheinst du ja vollkommen vergessen zu haben.«

       »Woran soll ich das auch merken? Du bist ja nie da. Wieso bist du eigentlich jetzt hier?«

       »Die Mandanten haben mich angerufen, weil sie niemanden in der Kanzlei erreichen konnten. Da musste ich meine Golfpartie unterbrechen und hier nach dem Rechten sehen.« Jetzt erst bemerke ich seine karierte Hose, die ihn wie einen Clown für einen Kindergeburtstag wirken lässt.

       »Ich musste dringend weg.«

       »Das geht so nicht. Du kannst nicht während der Arbeitszeit einfach weggehen und hier alles stehen und liegen lassen.«

       »Es war ein Notfall. Hast du nicht gehört? Judith ist tot.«

       »Welche Judith?«

       »Na, Judith Schöller, Grefraths Starmodel. Sag bloß, du kennst sie nicht?«

       »Ach die. Von der habe ich gehört. Und die ist tot? Was hast du damit zu tun? Hast du sie etwa umgebracht?« Er grinst.

       »Nein, das habe ich nicht! Und wenn du nicht willst, dass ich dich hier mit deinen Mandanten alleine lasse, dann verschwindest du lieber und lässt mich meine Arbeit tun.«

       Mir ist bewusst, dass ihm der Gedanke, er müsse plötzlich arbeiten, große Angst bereitet.

       »Dann mach das auch. Ich hasse es, meine Golfpartie unterbrechen zu müssen.«

       »Ja, ja.«

       Er packt seine Sachen und geht. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und versuche, mich mit den Akten abzulenken.

      Das Klingeln an der Eingangstür lässt mich von den Belegen, die in Häufchen vor mir liegen, aufschrecken. Ich schaue auf die Tür. Wer will denn jetzt noch etwas von mir. Das wird doch nicht schon wieder mein Chef sein? Aber der würde ja nicht klingeln. Etwa irgendein ungeduldiger Mandant? Das hat mir noch gefehlt. Ich erhebe mich lustlos aus meinen Bürostuhl und schlurfe zum Eingang. Durch die Glastür kann ich schon erkennen, wer davor steht und sichtlich wütend aussieht. Es ist Judiths Spanier. Was will der denn hier? Er haut gegen die Tür, als er mich erblickt. Irgendwas sagt er, aber ich kann es durch die geschlossene Tür nicht verstehen. Ist ja womöglich sowieso spanisch. Soll ich wirklich die Tür öffnen? Was ist, wenn er mich auch für die Mörderin hält und sich an mir rächen will? Dem Gesichtsausdruck nach ist dies durchaus im Bereich des Denkbaren. Er schreit wieder irgendetwas. Leute, die hinter ihm vorbeigehen, drehen sich erschrocken um. Ich kann ihn aber auch nicht da stehen und schreien lassen. Normalerweise würde ich in einer solchen Situation Jochen anrufen. Aber nach unserem mittäglichen Intermezzo erscheint mir das gerade nicht angebracht. Er bummert gegen die Tür und ich befürchte, dass die Glasscheibe dem nicht lange standhalten wird. Es bleibt mir keine andere Wahl. Ich muss ihn hereinlassen. Durch Handzeichen versuche ich ihm zu signalisieren, dass er sich beruhigen möge und ich nun die Tür öffnen würde. Er hört auf, gegen die Tür zu schlagen, aber seine Augen fixieren mich durchdringend. Langsam betätige ich die Klinke und öffne die Tür einen Spalt.

       »Was kann ich für Sie tun?«, flöte ich konzentriert höflich. Schließlich möchte ich ihn nicht weiter aufregen.

       »Lass mich rein«, zischt er mit seinem spanischen Akzent und sein Blick zeigt deutlich, dass er nicht gewillt ist, Widerspruch zu akzeptieren.

       »Aber bitte beruhigen Sie sich. Gewalt hilft niemandem.«

      Das mit der Gewalt hat er wohl nicht so richtig verstanden. Er schmeißt sich nämlich mit seinem ganzen Körper gegen die Tür. Die Wucht lässt mich einen Schritt nach hinten machen und beinahe fallen. Er gerät ebenfalls ins Stolpern, fängt sich dann aber wieder. Dann steht er direkt vor mir. Uns trennen gerade mal dreißig Zentimeter. Niemand sagt ein Wort.

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