Sie ist wieder da. Michael Sohmen
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»In Ordnung. Das macht achtzehn fünfzig.«
Ein satter Preis für so ein dünnes Magazin. Doch durfte ich nicht ignorieren, dass mittlerweile mehrere Jahrzehnte vergangen waren. Ich reichte ihm einen Zwanzig-Euro-Schein. Er zögerte.
»Wo haben Sie denn den her?« Er lachte laut. »Der hat fast schon Sammlerwert. Aber ich bin kein Liebhaber von solchem Kram. Damit kann ich leider nichts anfangen.«
»Womit bezahlt man denn sonst?«, rutschte es mir heraus. Ich wollte mich eigentlich nicht in Erklärungsnot bringen. Doch hatte ich ihm gerade den fatalen Hinweis gegeben, dass hinter meiner ganzen Geschichte viel mehr steckte, als ich zugeben wollte. Er stutzte kurz, schien jedoch zu merken, wie unwohl mir diese Situation war und ging darüber hinweg.
»Franken! In Bayern ist der Schweizer Franken die offizielle Währung. Wie in Österreich.«
Okay – soweit zum Thema Euro-Krise. Wenigstens hatte man inzwischen eine Lösung gefunden. Ich kramte in meiner Geldbörse nach einem der großen Scheine. Üblicherweise hatte ich immer etwas Geld der gängigen Fremdwährungen dabei.
»Himmel! Was für ein alter Geldschein! So einen habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Aber er wird wohl seine Gültigkeit noch nicht verloren haben.« Nachdem er mir das Rückgeld herausgegeben hatte, starrte er mich an, als hätte er gerade eine Erleuchtung. »Gerade kommt mir etwas in den Sinn. Ich glaube, ich weiß, was los ist. Sie kamen ja gerade aus der Klinik … aber ich will Sie nicht verhören! Wenn Sie noch mehr über die letzten Jahre erfahren wollen, fragen Sie ruhig.«
»Am meisten interessiert mich, wie es um Deutschland steht. Um unser Europa. Und den Rest der Welt.« Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass ich ihm nicht weiter irgendetwas vorspielen musste. Allzu gerne ging ich auf sein Angebot ein. Er war in diesem Moment meine große Hoffnung und eine mögliche Informationsquelle, die ich anzapfen konnte. »Vielleicht haben Sie auch eine aktuelle Landkarte? - das würde mich auch sehr interessieren.«
»Wo findet man so etwas auf die Schnelle … lassen Sie mich kurz nachdenken. Im Magazin Sicher Reisen gab eine Karte von Europa, wenn ich mich nicht irre.«
»Dieses?« Ich entdeckte den Titel neben burka, das vermutlich eine Modezeitschrift für muslimische Frauen war und zog ein Exemplar aus dem Drehständer mit dem Titelthema 'die neuesten No-go-Areas' heraus.
Er nickte und blätterte das Reisemagazin durch, bis er kurz vor dem Ende innehielt. Er zeigte mir die aufgeschlagene Seite. »Hier ist ein Plan von Europa. Schauen Sie sich die Karte ruhig eine Weile an.«
»Danke!« Ich stutzte sofort. »Wieso steht über Griechenland der Name Türkei?«
»Wie?« Er sah mich verdutzt an. »Sie waren wirklich lange weg, oder?« Sofort wurde er wieder sachlich. »So ist es seit vielen Jahren. Nach dem Staatsbankrott wurde dieses Land von der Türkei annektiert.«
Soweit zur Rettung Griechenlands und zu dem Abkommen mit der Türkei, das nach vielen zähen Verhandlungen zustanden gekommen war. Doch mir wurde bewusst, dass sich damit ein noch größeres Problem fast in Luft auflöste. Der Ansturm der Flüchtlinge, die versuchten, über Griechenland in die EU einzureisen. Niemals hätte das Mittelmeervolk seine mehr als tausend Inseln und 15.000 Kilometer Seegrenze sichern können. Zumindest nicht mit vertretbaren Maßnahmen. Genau dies war die Lösung: dass keiner mehr dorthin flüchten wollte!
Welches Unheil Deutschland widerfahren war, zeigte mir die Dreiteilung auf der Karte. Nationaldeutschland stand quer über dem, was einst das Staatsgebiet der DDR war. Hier prangte ein schwarzer Totenkopf. Am Rand wurde dieses Symbol erklärt: es war ein zur Außenwelt abgeschottetes Gebiet. Meine ostdeutsche Heimat war also zur völligen Isolation zurückgekehrt. Das Gebiet der alten Bundesländer war beschriftet mit Islamische Republik Deutschland. Ein rotes Warndreieck sprach für das Gebiet eine Reisewarnung der höchsten Stufe aus. Der südöstliche Teil, genannt Demokratisches Bayern war gekennzeichnet mit dem gelben Warndreieck. Dies war also weitgehend sicher – dort, wo ich mich jetzt befand.
»Wünschen Sie einen Kaffee? Dann gieße ich eine zweite Tasse auf.«
Ich sah kurz hoch, nickte und widmete mich wieder dem Kartenstudium.
Nicht nur die Europäische Union war zerfallen, viele andere Nationalstaaten hatten sich zersplittert. Flandern und Wallonien befanden sich dort, wo früher die Niederlande waren. Die Hauptstadt von Frankreich war jetzt Lyon, während das Gebiet der Île-de-France mit dem Totenkopf gekennzeichnet war.
»Was ist mit Paris? Kann man dorthin nicht mehr reisen?«, rief ich zur Kochecke. Der Kioskbetreiber füllte gerade heißes Wasser in zwei Tassen.
»Es gab dort Machtkämpfe verfeindeter Clans. Die Situation eskalierte regelmäßig. Anfangs konnte die Polizei noch mit Schützenpanzern eingreifen und es ist ihnen immer wieder gelungen, Aufstände niederzuschlagen. Als die Lage jedoch endgültig außer Kontrolle geriet, hatten sie einen Sicherheitszaun um diesen Moloch errichtet. Die Regierung wurde nach Lyon verlegt.«
»Aha!«, kommentierte ich. Etwas Besseres fiel mir gerade nicht ein. Ich vertiefte mich wieder in die Analyse der Karte. Die Schweiz existierte noch als Land, wie ich es von damals kannte. Italien dagegen zeichnete sich als bunter Flickenteppich mit Reisewarnstufen von grün, gelb, über orange bis gefährlich rot. Österreich war größer geworden und nannte sich jetzt wieder Kaiserreich. Meinen Geographiekenntnissen zufolge schloss das Land die Gebiete von Tschechien, Slowakei und Ungarn ein. Weiter im Westen überraschte es mich nun gar nicht, dass das Baskenland in den ehemaligen Gebieten von Frankreich und Spanien entstanden war. Genauso wenig wie das Land Katalonien im spanischen Südosten. Diese Entwicklung hatte sich schon über viele Jahre abgezeichnet. Was mich nun tatsächlich überraschte, war, dass Portugal zum Land Spanien gehörte. Es existierte also immer noch ein gemeinsamer europäischer Gedanke. Es war ein sehr kleiner und gar winziger, spärlicher Funke. Aber es gab ihn. Das gab mir Hoffnung. Noch war nicht alles verloren. Dies gab mir neuen Mut. Und wenn es ein kleines Pflänzchen Hoffnung gab, dann musste man es hegen und pflegen, damit es gedeihen und zu einem stattlichen Baum heranwachsen konnte. Einem, der alles überragte.
»Bitteschön, Ihr Kaffee!« Der Mann riss mich abrupt aus meinen Gedanken. »Und? Was ist Ihre Meinung? Es wird schlimmer und schlimmer. Jahr für Jahr geht das schon so. Immer weiter driften die Länder auseinander. Die Menschheit schlittert immer mehr in eine endgültige Katastrophe.« Das Lächeln, das mir an dem Mann so gefallen hatte, war einem besorgten Gesichtsausdruck gewichen.
»Ich denke, es ist noch lange nicht alles verloren. Man muss das Gute erkennen, sich ein Ziel setzen und hart dafür arbeiten.« Als ich einen Schluck Kaffee kostete, zog mir ein unangenehm bitterer Geschmack den Mund zusammen. Dieses Getränk war scheußlich! Es schmeckte gar nicht nach Kaffee. Eher wie verbranntes Brot, in heißes Wasser getunkt.
»Welche Sorte ist das?«, fragte ich möglichst beiläufig.
»Muckefuck. Aus Getreide.«
Das erinnerte mich an meine DDR-Zeit. Echten Bohnenkaffee gab es nur im Westen. Unsere Volksgenossen hatten behauptet, solch etwas basiere auf Ausbeutung, daher hätte man darauf ebenso verzichtet wie auf den Import von Kakao und Bananen. Später hatte sich herausgestellt, sie selbst gönnten sich dies alles. Nur reichte das Budget nicht, um das normale Volk damit ebenso zu versorgen. Dafür gab es Rohrzucker und kubanische Zigarren im Übermaß, da wir dem Klassenfreund in seiner isolierten Lage all seine Produkte abnehmen mussten, um sein wirtschaftliches Überleben zu sichern. Der Freund in Übersee existierte durch diese Unterstützung noch