Seefahrt in den 1960-70er Jahren auf Bananenjägern und anderen Schiffen. Klaus Perschke
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Es trieb mich der Wunsch, jetzt in meinem letzten Lebensabschnitt als Rentner einmal alles, was ich damals erlebt und durchlitten hatte, niederzuschreiben, solange ich dazu noch in der Lage bin. Deshalb weise ich hier darauf hin, dass diese Autobiografie nur aus Fragmenten besteht. Manches ist verschüttet geblieben, doch ein Teil konnte mit Hilfe meines Bruders und mit guten Freunden durch „Weißt-du-noch-damals“-Erzählungen wieder ausgegraben werden. Und nachdem ich alles im Kopf Revue passieren ließ und als Entwurf erfasst hatte, peinigte ich die Tastatur meines Computers so lange, bis das, was Ihnen vorliegt, lieber Leser, herauskam. Vielleicht liest es ja doch der eine oder der andere, den ich noch aus meinen Cuxhavener Jugendjahren kenne oder der eine oder andere meiner damaligen Bordkollegen auf den nachfolgend aufgeführten Schiffen.
Es gibt nicht mehr viele Freunde und Bekannte meiner Generation, von den Kollegen, mit denen ich die Zeit vor dem Mast verbracht hatte oder meinen damaligen Schulkollegen, mit denen ich zusammen Ende der 1950er, Anfang der 1960ger Jahre in Bremerhaven-Gestemünde die Schulbank an der ehemals preußischen Seefahrtschule gedrückt hatte. Deshalb ist es immer eine große Freude, wenn mir plötzlich einer von denen wieder über den Weg läuft. Es findet dann sofort ein intensiver Gedankenaustausch statt: „Weißt du noch damals...?“ Bis jetzt habe ich Glück gehabt. Auf Umwegen hatte ich meinen damaligen 2. Steuermann auf der „ACHILLES“, den späteren NO-Kanallotsen und Eldermann der Brunsbütteler Lotsenbrüderschaft, Herrn Georg Richters wieder entdeckt. Den 88jährigen Rentner konnte ich in Bretten in der Nähe von Karlsruhe besuchen, und wir haben einige Stunden über die Zeit auf der ACHILLES geplaudert. Als nächstes hatte ich meinen alten Jugendfreund Hans-Uwe Westphal in Bremen ausgegraben. Hansi - ehemaliger Wasserschutzpolizeibeamter und heutiger Pensionär - und ich fuhren gemeinsam auf der „HARRIET E“ und auf der „KAMERUN“ der Ostafrika Linie. Ich hoffe, dass es so weiter geht, denn ich bin noch nicht am Ende. Ganz durch Zufall lernte ich beim Germanischen Lloyd einen Herrn Thorsten Knull kennen, mit dessen Vater ich von Ende 1956 bis 1957 zusammen eine Reise auf der „BAYERNSTEIN“ des Norddeutschen Lloyds gefahren hatte.
Dank auch an Herrn Titel vom Verband deutscher Reeder, der mir Sekundärliteratur über den Nachkriegsbeginn der deutschen Handelsschifffahrt besorgte und auch an Kapitän Stötzner von der Deutschen Afrika-Linie, von dem ich Fotos über die ersten beiden Afrikaschiffe erhielt, auf denen ich damals fuhr. Weiterhin bedanke ich mich für das Kartenmaterial vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, auf das ich beim Schreiben zurückgreifen konnte. Das Leben ist schon interessant und steckt voller Überraschungen.
Ich versuche, eine Art Plädoyer für meine Generation niederzuschreiben, die es ganz bestimmt nicht verdient hat, dass man sie heute belächelt und nachsichtig auf sie von oben herabsieht. Noch sind wir nicht im Pflegeheim. Noch nicht in der „black box“.
Wir, die heute über 70-80jährigen, waren gute Jahrgänge, jeder in seinem Beruf, auf seine Art. Wir waren aber auch nicht so verwöhnt, wie die heutigen Kids. Wenn die jungen Leute der heutigen Generation ihr Abitur bestanden haben, dann wollen sie keinen Beruf erlernen, sondern gleich ein durch Bafög abgesichertes Studium beginnen oder einen Job machen (früher kannten wir den Begriff „Job“ überhaupt nicht, aber alles, was aus den USA kommt, wird uns von den Printmedien und dem Fernsehen in Deutschland als „in“ verkauft!). Die Mehrzahl aller Jugendlichen, Studenten und Wirtschaftsakademiker von heute denkt leider in diesem Sinne. Und traurigerweise unterstützen deren Eltern die Ansichten ihrer „Weicheier“. Karriere, Profitmaximierung und „Knete machen“ ist deren Motto. Wir alten Knochen waren damals zur See gefahren, weil die Chance, einen Ausbildungsplatz an Land zu bekommen, eins zu zehn stand, genau wie heute. Natürlich gab es auch diejenigen, die sich berufen fühlten, zur See zu fahren, weil in deren Familien der Beruf des Kapitäns Tradition hatte. Damals war „Bafög“ ein Fremdwort für all die, die eine Seefahrtschule besuchen wollten. Heute wird die staatliche Unterstützung zum Studium als selbstverständlich vorausgesetzt. Wir mussten für die Zeit des Schulbesuchs unseren Unterhalt selbstverständlich selbst zusammensparen oder einen Kredit bei einer Bank oder Sparkasse aufnehmen. Unsere Heuern in den 1950ger Jahren waren weiß Gott nicht berauschend. Aber wir waren auch anspruchsloser, hatten es trotzdem gepackt und uns ehrlich durchgebissen in dieser Zeit nach dem letzten Kriege. Wer A sagte, musste auch B sagen, und die meisten von uns haben ihr Ziel erreicht.
Ein Kapitän hatte zu unserer Zeit noch einen hohen Stellenwert auf dem maritimen Arbeitsmarkt. Heute hat sich der Stellenwert etwas verschoben: Die Chartergeschäfte werden heute immer noch in den Büros der Reedereien durch die Logistikmanager geplant und abgewickelt, doch der heutige Kapitän muss, etwas sarkastisch ausgedrückt, wie der Fernfahrer einer großen Spedition seinen vorgegebenen Zeitplan einhalten und die Ladung löschen bzw. neue Ladung laden. Die Schiffe sind größer geworden, auch die Risiken sind größer geworden. Der Kommunikationsaustausch verläuft heute übers Internet und Satellitentelefonie. Aus den damaligen Stückgutschiffen wurden inzwischen sehr schnelle Containerschiffe, die gewaltige Kapazitäten an Containern transportieren. Dank ihrer Größen und Maschinenstärken, die nach oben fast ausgereizt sind, können diese Schiffe Wind und Wetter nahezu ignorieren. Mit ihren elektronischen Navigationsgeräten und ihrer hochtechnischen Antriebsausrüstung können die Reeder bis an die Grenze des Machbaren Schiffsbesatzungen reduzieren. Heute ist das, was wir damals als die „traditionelle“ Seeschifffahrt verstanden, ein rein kaufmännisches und logistisches Überseetransportunternehmen geworden. Aus dem Kapitän und seiner Mannschaft wurden „Überseetransportbegleiter“, die vielleicht alle halbe Jahre urlaubsreif und genervt von dem gewaltigen Stress an Bord abgelöst werden. Alles ist anonymer geworden. Zeit ist Geld. Diplombetriebswirte voller Theorien und null Ahnung von der Praxis und überbordender Bürokratismus dominieren in den Verwaltungen der Reedereien, der Wasserkopf der inneren Verwaltung jeder Reederei wächst und bläht sich auf. Und die meisten dieser klugen „positiv thinking“-Köpfe dieser Unternehmen kennen ihre Schiffe nur von den Probefahrtevents und Fotos, wissen nichts von nerviger Nebelfahrt, fürchterlichen Sturmfahrten, Überfällen von Seepiraten und Ausraubung der Schiffsladung. Brauchen sie auch nicht, dafür gibt es eben das international vorgeschriebene „auditierte und zertifizierte Bordpersonal“, welches alles im Griff hat, jedenfalls haben sollte! Das erinnert mich an den bekannten Spruch „jeder Seemann ein Artist, fünf Seeleute ein Zirkus.“
Es wurde höchste Zeit, dass wir Alten ausgemustert wurden, als die SAP-orientierten Wirtschaftsinformatiker und Diplom-BWLer ans Ruder kamen. Hafenliegezeiten werden nach Stunden und Minuten reguliert. Der Inhalt der Container bleibt für den Ladungsoffizier bis auf das Gefahrengut im Großen und Ganzen anonym. Er hat nie einen Containerinhalt gesehen, es sei denn, der Containerinhalt wurde ausgeraubt, war explodiert, oder lag ausgebrannt verstreut an Deck. Der Kapitän darf nur noch Konnossemente unterzeichnen. Den Rest erledigen die Makler, Reedereiverwaltungen und die Shipplaner in den Terminal-Offices aller großen Häfen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten und wird auch so weiter gehen. Aber kein noch so tüchtiger Ladungsoffizier hat heute noch die Übersicht über 6.000 Container, die für 8 bis 10 Häfen bestimmt sind. Und wenn von diesen 6.000 Containern auch nur 10 Prozent mit Gefahrengütern beladen sind, dann kann man nur hoffen, dass er weiß, wo diese an Bord abgestellt und untergebracht sind. Sonst „gute Nacht“ oder „armes Schwein“!
Meine Idee war, die damalige Seefahrt der heutigen gegenüber zu stellen. Ich will sie nicht glorifizieren. Sie hatte viel mit Knochenarbeit zu tun. Dafür war auch mehr Personal an Bord. Aber eins gab es damals auf den meisten deutschen Schiffen, und das ist heute fast verloren gegangen: Eine so genannte Kameradschaft! Der Personalmanager der Reederei