Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST

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was es heißt, ein Legions-Binôme zu sein. Salopp ausgedrückt, habe ich selbst oft schon erlebt, dass der eine Mist baute, der andere aber dafür geradestand. Und zwar ohne zu murren. In der Ausbildung an den Waffen nimmt einer das Gewehr auseinander, der andere baut es wieder zusammen: Und so ist es in allen Dingen! Was zurückbleibt? Freundschaften, die ein Leben dauern!

      „As-tu vu le fanion du légionnaire. As-tu vu le fanion de la Légion. On nous appelle les fortes têtes. On a mauvaise réputation. Mais on s’en fout comme d’une musette. On est fier d’être à la Légion, à la Légion …“ Hast du das Feldzeichen des Legionärs gesehen? Siehst du das Drapeau der Legion? Man nennt uns Sturköpfe. Wir haben einen miserablen Ruf. Uns ist es egal. Wir sind stolz, bei der Legion zu sein! Le Fanion de la Légion.

      Dieses Lied, es war das erste, das man uns beibrachte, noch lange vor dem Regimentslied, wird mich wohl verfolgen bis ins Grab. Unser Zugführer, ein spanischer Adjudant-chef mit einem Dalí-Bart und dem Temperament eines Stierkämpfers, liebte es, während uns ein Schauer über den Rücken lief, nach dem Abendessen (la légion est dure, mais la gamelle est sûre, die Legion ist hart, zu essen kriegt trotzdem jeder) mit mächtiger Bassstimme zu rufen: »Garde vous! Le ton!« Im Kreis marschierend sangen wir es einmal, fünfmal, wir sangen es noch, als um Mitternacht die Wache ihre Runden im Quartier drehte! Wer dachte, es sei nun Schluss, täuschte sich gewaltig. Ausgerüstet mit einer Savon de Marseille, der Kernseife aus der gleichnamigen Stadt, und einer Wurzelbürste hieß es Klamotten waschen und zum Trocknen aufhängen. Lag man endlich im Bett, im Saal, in dem es nach Schweiß, nach Wut und nach unausgesprochener Angst roch, kam das Unausweichliche: das Gemurmel flüsternder Stimmen und die Querelen der Legionäre unter sich. Es waren Abrechnungen und Einschüchterungsversuche, bis dann spät in der Nacht endlich Ruhe einkehrte. Kurz bevor wir zur Farm Bel-Air verlegten, kam es zu einem kleinen Zwischenfall, der mir bis heute eine Lehre ist. Mein Lehrer war niemand anderer als dieser Thompson, der längst mehr für mich war als nur ein Kumpel. Wir waren Freunde geworden! Jeder von uns besaß damals zwei paar Stiefel, die Rangers. Sorgsam hegten und pflegten wir sie. War der Kampfanzug zu groß, die Handschuhe zu klein: Kein Problem! Die Stiefel aber mussten passen. Gut sitzende Stiefel waren ebenso wichtig wie das tägliche Abendbrot. Passten sie nicht, konnte das ins Auge gehen. Ich saß gerade auf der Treppe, die hinauf in unseren Saal führte, und polierte meine Kampfstiefel, als ein Schatten auf mich fiel.

      »Schön von dir, dass du mir die Arbeit ersparst!«

      Es waren Erdoğan und sein Binôme. Erdoğan war Türke, ein Boxer, ein Straßenkämpfer übelster Sorte! Instinktiv sah ich mich um, und in der Tat: Sein bester Freund lümmelte scheinheilig ein paar Stufen tiefer herum, während er sorgfältig den Treppenaufgang überwachte. Ein weiterer Kumpel kontrollierte das darüberliegende Stockwerk. Sie waren zu dritt! Ich wollte aufstehen, doch Erdoğan drückte mich mit beiden Händen auf die hölzernen Stufen zurück. Es roch nicht nach Ärger, der Ärger war schon längst da.

      »Was willst du von mir?« Ich versuchte meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Gleichzeitig sah ich mich nach Thompson um: Nichts! Auch vom Caporal de jour war weit und breit keine Spur zu sehen.

      »Die Stiefel«, sagte er leise. »Gute Arbeit hast du da geleistet und nun gib sie schon her.«

      Sein Binôme schob sich unauffällig näher an uns heran.

      »Sie gehören mir. Lass mich in Ruhe, Erdoğan.«

      Wo blieb nur Thompson?

      Erdoğans Hand schnellte vor, griff nach dem glatten Leder, während im selben Augenblick sein Binôme schwer die Hand auf meine Schulter fallen ließ. Man brauchte mir kein Bild zu malen. Ich wusste, was abging.

      »Es waren deine«, hörte ich Erdoğan sagen. »Jetzt haben sie den Besitzer gewechselt! Und wehe, wenn du …«

      Noch bevor er ausgesprochen hatte, stürzte sich Thompson, keiner von uns hatte ihn kommen sehen, mit einem wilden Schrei, der mir durch Mark und Bein drang, auf die beiden. In einem wilden Durcheinander krachten sie die Stufen hinab, während Thompson mächtige Schläge nach rechts und links verteilte. Eine Minute später war alles vorbei. Meine Stiefel in der Rechten, kam Thompson grinsend die Stufen hoch. Er blutete an der Stirn, aber es war, wie sich nachher herausstellte, nicht sein Blut.

      »Egal wie viele es sind«, sagte er und gab mir mein Eigentum zurück. »Lass niemals zu, dass dich jemand berührt, wenn du es nicht willst! Niemals, hörst du?«

      Ich wollte ihm sagen, dass ich in der gegebenen Situation keine Chance gehabt hätte, dass sie vermutlich Kleinholz aus mir gemacht hätten. Wollte sagen, dass ich wegen der Stiefel keinen Krieg anzuzetteln gewillt war! Doch ich schwieg. Später dann kam ich drei- oder viermal in ähnliche Situationen, und jedes Mal beherzigte ich, was Thompson damals zu mir gesagt hatte. Und ich fuhr immer gut damit. Angriff ist manchmal wohl doch die beste Verteidigung!

      Ärztliche Untersuchungen folgten. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Mann, der in der Krankenstation uneingeschränkt herrschte. Obwohl er nur den Dienstgrad eines Adjutanten bekleidete – für uns war das schon ein Rang, vor dem wir massenhaft Respekt hatten –, gab er sich wie ein General. Er trug eine Nickelbrille à la Gandhi. Seine kalten, schlauen Augen, vor allem aber sein Schäferhund, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, kamen uns nicht geheuer vor. Adjudant Roganel redete nicht, er brüllte! Er sah uns nicht an, sondern durchbohrte uns mit seinem Blick, unter dem sogar Thompson schrumpfte. Und das sollte was heißen! Ich kann mich nicht erinnern, ihn je lächelnd gesehen zu haben. Er war von der Sorte Mann, der man nachts nicht über den Weg laufen wollte und bei dem man, sah man ihn von weitem, instinktiv die Luft anhielt. Zärtlich nannten wir ihn Dr. Mabuse. Heimlich natürlich. Am ersten Wochenende verabreichte er jedem von uns zwei Spritzen in den Rücken. Für was diese auch immer gedacht waren: Unser Caporal wollte, dass wir in Bewegung blieben, ohne jedoch Schwerstarbeit zu verrichten. Auf den Knien kriechend, kratzten wir mit unserem Opinel die oberste Schicht von den Dielen des Holzbodens, um ihn danach zu wachsen und auf Hochglanz zu polieren. Unser seltsamer Doktor mit den Haifischaugen hatte uns eindeutig das Wochenende vermasselt! Dass sich hinter seinen kalten Augen keine Grausamkeit, sondern Intelligenz und Herzensgüte versteckten und dass dieser Mann sein Leben lang aufopfernd und bis an die Grenzen des Möglichen der Legion gedient hatte, erfuhr ich erst einige Jahre später.

      Es gab Augenblicke, in denen wir körperlich ausnahmsweise mal nicht gefordert wurden. Dazu gehörten die Stunden, in denen uns der Caporal beibrachte, wie man das Hemd der Uniform bügelte, das Bett bezog oder die Stiefel auf Hochglanz brachte. Das klingt banal, ist es aber nicht. Jeder Soldat, auch wenn er lange Jahre anderswo, sprich in Eliteeinheiten gedient hat, kann hier nur lernen und staunen (selbst erfahrene Hausfrauen würden mit der Zunge schnalzen). Das Hemd hatte je zwei Falten links und rechts auf jedem Ärmel. Hinzu kamen drei Falten jeweils links und rechts senkrecht über den beiden Brusttaschen. Auf dem Rücken gab es zwei Falten horizontal und drei zentriert vertikal. Die Kanten mussten so scharf sein, dass man sich daran schnitt. Die Abstände zwischen ihnen waren vorne auf der Brust jeweils 3,5 cm und an den Armen und auf dem Rücken 5,3 cm. Diese Maße entsprachen haarscharf denen einer Streichholzschachtel, je nachdem, ob man sie in der Höhe oder in der Breite anlegte. Die Sergeanten hatten ein geübtes Auge. Lagen die Falten zu weit auseinander oder fehlte gar ein Millimeter, folgte die Bestrafung auf dem Fuß. War es vor einem Ausgang in die Stadt (Dreimal in vier Monaten: zweimal sechs Stunden und einmal drei Stunden!), dann wurde der Ausgang gestrichen. Ansonsten drehte man mit dem Rucksack ein Dutzend Runden um den Exerzierplatz. Je vollendete Runde musste dann lautstark angekündigt werden: »Quarante-six, quarante-sept, quarante-huit …« Und dann immer wieder diese Pompes.

      »Gast!«

      Ich nahm Grundstellung an. »À vos ordres, Sergent?«

      »Matricule, numéro d’Famas,

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