Leben unter fremder Flagge. Thomas GAST

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Leben unter fremder Flagge - Thomas GAST

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Meine Überlegung war unkompliziert: Behaupte dich oder werde dominiert!

      »In jedem Zug hängt sich einer auf, bevor es auf die Farmen geht!« Der Engländer, der das gesagt hatte, war mir auf Anhieb sympathisch. Nachdenklich sah er zur Decke hoch, als würden dort noch einige Leichen baumeln. Ich glaubte ihm kein Wort. Diese und ähnliche Geschichten hatte ich zwar auch schon gehört, aber für mich waren es allenfalls Lügen. Dass uns eine knüppelharte Ausbildung, Druck und außergewöhnliche Schikanen erwarteten, das wussten wir alle. Ich fühlte mich aber mental robust genug, diesen notwendigen „Begleiterscheinungen“ zu begegnen. Intolerabel würde es für mich nur werden, wenn Rassismus ins Spiel käme, doch noch war dem nicht so.

      Anm. d. Verf.: Ich erwähnte anfangs, dass ich Sohn eines schwarzen Amerikaners und einer weißen Deutschen bin. Die von mir erwarteten Probleme blieben jedoch aus. Der Ehrenkodex der Legion hat Menschen wie mich und viele andere nicht nur vor Schikanen bewahrt, sondern uns alle in einer homogenen, neutralen Brüderschaft zu neuem Leben aufblühen lassen. Zumindest empfand ich das so. Vom Aussehen her nicht alle gleich, bekam doch jeder im Startblock dieselben Chancen: Das war ein starkes Gefühl! Bis heute hat sich das nicht geändert. Diese Liberalität ist eines der vielen Geheimnisse, warum die Legion so angesehen und effizient ist. Warum wohl existiert diese Institution nach fast 185 Jahren immer noch? Auch wegen dieser Toleranz! Zu Beginn hatte ich also Zweifel, vor allem hier in Castel. In solchen Augenblicken hielt ich mir mein Ziel vor Augen, und das war, so lächerlich es damals klingen mochte: Zugführer in der Fremdenlegion zu werden.

      »Thompson«, sagte der Engländer mit dem Ansatz eines Lächelns und reichte mir seine Hand. Eine Hand, die mir breit wie ein Klodeckel erschien und in der meine eigene völlig verschwand. »Wenn du Ärger hast, ruf mich. Mein Bett und mein Spind sind unterm Fenster dort.« Mehr sagte er nicht. Überhaupt war Thompson kein allzu gesprächiger Geselle. Mir fiel auf, dass die meisten einen respektvollen Bogen um ihn machten. Vielleicht wegen seiner gut verteilten hundertzehn Kilo und weil er sich, der Masse seines Körpers zum Trotz, tänzelnd leicht und sicher bewegte. Ich wurde in meinen Gedanken abgelenkt, weil ein Wirbelwind zur Tür hereinfegte, „S-2 vorm Gebäude antreten“ brüllte und augenblicklich wieder verschwand. Wir alle sahen uns gegenseitig fragend an. Drei Sekunden später steckte Mister Wirbelwind erneut den Kopf durch den Türspalt. »Schweinsgalopp, Leute. Sportzeug, kurze Hose, Turnschuhe, Seife und das Handtuch nicht vergessen.«

      So brachten wir in Erfahrung, dass wir dem zweiten Zug angehörten. Auf dem Exerzierplatz angekommen, stand schon wieder der irische Caporal, der Wirbelwind, vor uns. Er war knapp einen Kopf kleiner als ich. So ein Energiebündel hatte ich noch nie gesehen. »En position! Solange der Zug nicht vollständig angetreten ist, wird gepumpt. En bas, là-haut, en bas, là-haut, runter, rauf!« Und so ging es in einem fort. Pumpen, „les Pompes“, das hieß Liegestütze machen. Zwischendurch rannte der Caporal durch unsere Reihen, verteilte Fußtritte und schrie. »En bas, là-haut!« Als die Nachzügler endlich die Treppe heruntergestürmt kamen, lagen wir alle längst mit der Nase im Dreck. In unseren Armen war Pudding, die Moral focht ihren ersten schweren Kampf. Der Einzige, der immer noch im Takt und unbeirrbar wie eine Lokomotive Liegestütze machte, war Thompson. Er kam mir vor wie ein Dampfer, der seelenruhig seine Bahnen zog, obwohl die See um ihn herum tobte und die Wellen wütend, aber vergeblich an seinen Planken rissen. Mit den Schikanen konnte ich umgehen. Als bereits Gedienter war mir sehr bewusst, dass es ohne nicht ging. Die Fußtritte sollten vermitteln, dass hier ein gemeinsames Ziel dahintersteckt. Das Langzeitziel war, dass aus jedem von uns ein Soldat wird. Doch Soldat zu sein ist kein Ende in sich selbst, denn als solcher kann man fortschreiten, kann immer besser werden. Der Prozess wurde über all die Jahre, die ich in der Legion verbrachte, vorangetrieben, nur dass ich ihn jeweils aus einer anderen Perspektive miterleben durfte. Die Endstation war stets das Überleben! Auch die Entwicklung, der Reifeprozess als Mensch steht hinter dieser nach außen hin scheinbaren Brutalität. Als Soldat, vor allem im scharfen Einsatz, muss man agieren, reagieren, auf Zack sein und versuchen, das Gefechtsfeld als Sieger zu verlassen. Ein Fußtritt in der Ausbildung hat, wenn man es aus dieser Perspektive sieht, Jahre später so manch ein Leben gerettet. Veteranen können mich darin nur bestätigen. Es gibt Gefechtsfelder, auf denen keine Kugeln hin und her fliegen: Das gesamte Leben ist eins! Der Kandidat, den ein Fußtritt hier und da jetzt schon aus der Bahn warf, war für alle Gefechtsfelder des Lebens ungeeignet. Ich will damit nicht sagen, dass man, um im Leben zu bestehen, zur Legion gehen und sich dort Fußtritte abholen sollte, bei Gott, nein! Ich will nur anregen, dass sich der eine oder andere selbstkritisch im Spiegel betrachtet, sich vielleicht fragen sollte: Ist es denn wirklich so schlimm?

      Als ich es endlich wagte, den Kopf zu heben, fiel mein Blick auf ein geöffnetes Fenster im ersten Stock, aus dessen Rahmen heraus eine Gestalt mit kaltem Grinsen zu uns herabblickte: Capitaine Hessler!

Grafik 151

       Le Boche! Capitaine Hessler im Jahr 1985 am Pont du Gard. Der Deutsche, ein unbelehrbarer Draufgänger, hat zahlreiche Einsätze hinter sich, darunter Algerien, Tschad, Kolwesi und Libanon.

      Die Duschen waren nicht im Gebäude, sondern dahinter. Im Laufschritt liefen wir die knappen hundert Meter, nur um zu erfahren, dass wir genau drei Minuten Zeit hatten, uns zu duschen und erneut anzutreten. Am nächsten Tag bekamen wir die Zusatzausrüstung. Die Bekleidungskammer lag außerhalb der Kaserne, und wieder waren wir im Laufschritt und in einer sauberen Reihe unterwegs. Das wohl markanteste Teil der Ausrüstung war der sogenannte Trois-quarts‘, ein Dreiviertelmantel, bis knapp über die Knie reichend, von dunkelbrauner Farbe. Dick, schwer und im Spind den meisten Platz einnehmend, hatten wir ihn nie benutzt. Man wollte in Castelnaudary keine hervorragenden Soldaten aus uns machen. Die Seele der Fremdenlegion sollte uns eingehaucht werden: Disziplin, Tradition, Lieder der Legion, Respekt den Vorgesetzten gegenüber, erlernen des Code d’honneur du légionnaire (Ehrenkodex, siehe Anhang) und der französischen Sprache. Die Binômage spielte dabei eine kapitale Rolle. Auch sollten wir hier schon mal mit einigen Waffen vertraut gemacht werden und nicht zuletzt eine akzeptable körperliche Fitness erlangen. Um kurz auf die sogenannte Binômage zurückzukommen. Binôme heißt frei übersetzt: Paar. Das Binôme war und ist die Basis für die erfolgreiche Eingliederung in die Familie. Schnörkellos und gleich von Beginn an wurde jedem, der nicht der französischen Sprache mächtig war, ein Binôme zugewiesen. Das war in aller Regel ein Franzose oder zumindest ein Französisch sprechender Legionär. Ständig klebten die beiden zusammen, wobei es Aufgabe des Französisch sprechenden war, seinem Kameraden alles zu übersetzen. Und zwar so, dass es den normalen Tagesablauf nicht infrage stellte. Die Kehrseite für den Armen? Wenn ich zum Beispiel der Ausbildung nicht folgen konnte, weil ich das eine oder andere Wort nicht verstand, dann wurde mein Binôme zur Rechenschaft gezogen, und Gnade ihm Gott. Mit einem Satz heißer Ohren war es dann oft nicht getan! Entging mir immer noch der Text eines Liedes oder sprach ich Wörter falsch aus, verbrachten er und ich unsere Nächte, die eh schon kurz genug waren, damit, bei Kerzenlicht das aufzuarbeiten, was die anderen uns schon voraushatten. In Sachen Sprache war er für mich ein wandelndes Lexikon. Geht es nach einigen Wochen zum ersten Mal in die Stadt, läuft nicht ein hübsches, braunhaariges Mädchen aus der Provinz an meiner Seite, sondern mein ruppiger Binôme, der mir sagt, wie ich auf Französisch ein Bier bestelle oder ein paar umständliche Worte auf ein Stück Papier kritzle, um sie doch noch einem Mädchen heimlich zuzustecken. Den Ceinture bleue (blauer Gürtel, bis 1882 zum Schutz der Nieren und inneren Organe gedacht und unter der Uniform getragen, heute ein nicht wegzudenkendes Attribut der Parade- und Wachuniform) zum Beispiel kann man nur zu zweit, mit einem Binôme, anlegen. Im Einsatz ist das Paar Binôme unzertrennlich. Der eine ist des anderen Lebensversicherung!

      Anm. d. Verf.: Wer die Bücher von Erwan Bergot – Fremdenlegionär und Schriftsteller – gelesen hat, der kennt die Geschichte der zwei Legionäre, der eine ein Deutscher, der andere ein Jude, ein Israeli. Sie waren ein Binôme. Die ganze Familie des Israeli kam in einem Nazi-Konzentrationslager ums Leben. Im Kampf wurde der Israeli schwer verwundet, lag im Feindfeuer. Der Deutsche, sein Binôme, zögerte nicht eine Sekunde.

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