Geliebter Prinz. Billy Remie
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Nun war er sechsundzwanzig Jahre alt, steuerte auf den Tag zu, an dem er von einer Dirne in einem Hurenhaus auf die Welt gebracht worden war, und konnte sich dem Einfluss seines Vaters dennoch nicht entziehen. Immer wieder spürte dieser ihn auf. Wo auch immer er war, irgendwann bekam Desiderius von einem Boten oder einem Botenvogel eine Nachricht von dem ehrenwerten Lord des Toten Waldes und wurde gezwungen, bei dem alljährlichen Besuchs des Königs anwesend zu sein.
Desiderius lehnte sich schnaufend mit einem Ellenbogen auf die Tischplatte und stützte den Kopf in die Hand. Er fragte sich insgeheim, warum er sich überhaupt die Mühe machte, dort aufzutauchen.
Seine Familie verachtete ihn und das, was er darstellte. Doch der König sah diese Geschichte anders, weshalb man Desiderius jedes Jahr aufs Neue rufen ließ. Denn der König war ein edelmütiger Mann. Er schätzte es nicht, wenn Bastarde anders behandelt wurden als eheliche Kinder. Vor allem schätzte er eine solche Verachtung unter seinem eigenen Volk nicht. Und weil Desiderius’ Vater sich nicht den Unmut des Königs zuziehen wollte, musste sich Desiderius immer dann in der Burg blicken lassen, wenn König Wexmell Airynn der Familie M’Shier einen Besuch abstattete.
Na toll.
Aber wenn Desiderius ehrlich war, mochte er diese Besuche. Nicht, weil er dann seine heuchlerische Familie wiedersah, nein, er musste zugeben, dass er den König mochte und diesen wohl nie zu Gesicht bekommen würde, wenn er nicht bei diesen seltenen Treffen auftauchen würde.
Also ging er, so wie jedes Jahr, auch dieses Mal wieder hin.
Aber kein Lord und kein König konnten ihn daran hindern, sich am Abend vor dem Besuch des Königs, an der Küste in einem Bordell ordentlich mit Wein zu benebeln.
Eines war sicher, am Morgen würde sein Bruder erhebliche Mühen haben, ihn fein raus zu putzen. Und das zauberte Desiderius wieder ein Lächeln auf seine scharfkantigen Gesichtszüge. Er mochte es, seine Familie vor dem König zu blamieren.
Allerdings würde sich Desiderius dieses Mal eine ordentliche Standpauke anhören müssen, wenn er sich danebenbenahm, denn bei diesem Treffen ging es um etwas, dass seiner Familie enorm wichtig war. Seine jüngere Halbschwester sollte mit dem ältesten Sohn des Königs verlobt werden. Dem Kronprinzen. Das würde seine Schwester zur zukünftigen Königin machen.
Doch das konnte noch eine ganze Weile dauern. Denn Luzianer sahen zwar wie Menschen aus, doch sie lebten um einiges länger. Jahrhunderte, um genau zu sein. Es war nicht ungewöhnlich, wenn ein Luzianer tausend Sommer alt wurde. Es war auch nicht ungewöhnlich, dass sie ab einem bestimmten Alter nicht mehr alterten. Jedenfalls nicht äußerlich. Viele Legenden rankten sich um das hohe Alter und die ewige Jugend des robusten Völkchens. Eine Legende besagte, sie haben vom Jungbrunnen getrunken. Eine andere ließ glauben, sie wären alle Halbgötter.
Desiderius vermutete, dass die Geschichte mit dem Wasser aus dem Jungbrunnen wohl am ehesten der Wahrheit entsprach. Denn es gab da etwas, das sie stark und gesund hielt. Eine Quelle der Jugend, doch um Wasser handelte es sich dabei ganz sicher nicht.
»Möchtest du noch einen Schluck, mein Hübscher?«, säuselte eine rauchige Frauenstimme.
Ein Fingernagel kratzte lockend über seinen Nacken.
Aufsehend legte Desiderius den Rücken gegen die Lehne seines Stuhls, die unter dem Gewicht seiner wendigen Muskelmasse ein protestierendes Geräusch von sich gab.
Sofort und gegen seinen Willen, schmiegten sich die weiblichen Rundungen einer blassen Dirne mit hellbraunen Haarlocken an seine Seite. Sie setzte sich ungebeten halb auf sein Bein und streckte ihm ihre beachtlichen Brüste entgegen, die aus ihrem halbgeöffneten Mieder quollen und viele Abdrücke von dreckigen Fingern aufwiesen.
Desiderius wäre froh gewesen, wenn sie sich die Mühe gemacht hätte, sich wenigstens zu waschen, bevor sie ihm ein eindeutiges Angebot unterbreitete. Aber so oder so war sie nicht das, was er wollte, weshalb er sie genervt von seinem Schoß drängte und sich wieder auf die Tischkante lehnte.
Er wollte, dass ihn die Dirnen in Ruhe ließen, wegen ihnen war er nicht hier.
Die füllige Frau stockte kurz verwundert, fasste sich aber schnell wieder und wollte zum nächsten möglichen Kunden weiterziehen.
»Ah, ah! Moment!«, hielt Desiderius sie auf.
Sie drehte sich erwartungsvoll zu ihm um. »Nun doch?«
Mit einer eindeutigen Geste tippte er auf den Rand des leeren Bechers und forderte: »Auffüllen!«
Sie verzog missgelaunt ihre schönen, vollen Lippen. Welch Schande, dass dieser füllige Mund einem Weib gehörte. Solch weiche Lippen ließen stets sein Blut heiß kochen.
Während sie roten Wein aus ihrem Krug in seinen geleerten Becher füllte, fragte sie geschäftig: »Könnt Ihr denn zahlen, werter Herr?«
Desiderius schnaubte verachtend. »Ich bin so viel ein werter Herr wie du eine anständige Dame bist.«
Sie bedachte ihn mit einem warnenden Blick, schien jedoch nicht beleidigt.
Er lächelte sie an und schlug ihr ein Geschäft vor: »Was hältst du davon, wenn du mir für den Rest des Abends meine Schulden erlässt, und ich für dich im Gegenzug ein Geschäft mit meinen Freunden vereinbare?« Mit einem Kopfnicken deutete er auf seinen Nebenmann, der bereits eine Dirne auf seinem Schoß sitzen hatte und ausgelassen feierte.
Die Dirne überlegte. »Er scheint schon bedient.«
»Nicht ihn.« Desiderius schüttelte den Kopf. »Ich sprach von den fünf Männern neben ihm.«
Ihre Augen schweiften den langen Tisch entlang und betrachteten die heruntergekommenen, rauen Mistkerle, die Desiderius eine Zeitlang Kameraden genannt hatte. Sie saßen auf den Bänken, tranken und grölten. Sie hatten an diesem Tag etwas zu feiern und waren in ausgesprochen ausgelassener Stimmung.
»Sie haben gerade große Beute gemacht, sie teilen sie sicher gerne mit dir, wenn du mit ihnen teilst, was du zum Verkauf anbietest«, schlug Desiderius vor und musterte auffällig ihren leicht bekleideten Körper.
Die Dirne überlegte noch, als Desiderius’ Nebenmann, der das Gespräch mitbekommen haben musste, sich rüber lehnte und einen Beutel Taler auf den Tisch schmiss. »Bring meinem Freund einfach ein Fass Wein, einen Becher und einen hübschen Burschen. Der Abend geht auf mich.«
Schmunzelnd sah Desiderius seinen Kameraden an. Er war ein Mensch im mittleren Alter, hatte einen dunklen und buschigen Bart, gelocktes, langes Haar und höchstens noch zwei Zähne in seinem Mund. Schwarze Zähne. Aber er war ein überaus treuer Freund.
»Ich danke dir, Tiff.«
Tiff klopfte Desiderius auf die Schulter. »Ohne dich hätten wir die Karawane nicht überfallen können. Es war nett, deinen Anteil uns zu überlassen, also kann ich wenigstens den Abend für dich bezahlen.«
Desiderius nahm die Geste mit einem dankbaren Nicken seines Hauptes an.
Er hatte keinen Anspruch auf einen Anteil gehabt, weil er nur den Plan ausgetüftelt, aber nicht mit ihnen gekämpft hatte. Es war ihm nicht richtig erschienen, einen Anteil der Beute anzunehmen, weil er nicht dafür Seite an Seite mit ihnen sein Leben riskiert hatte.