Geliebter Prinz. Billy Remie
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Der Alarm hatte auch die Wachen im Kerker aufgeweckt, was es ihm erschwerte, unbemerkt wieder zu verschwinden. Zumal er sich zweimal verlief, ehe er den richtigen Weg nach draußen fand.
Der klare Sternenhimmel wirkte unpassend ruhig, als er einige Zeit später aus der Ruine heraustrat und durch den Schnee auf den Waldrand zu stampfte. Er fühlte sich schlecht wegen dem, was er getan hatte. Andererseits mussten einige schwere Entscheidungen getroffen werden, um die restlichen Völker zu schützen. Eiskalte Berechnung, darin war er gut.
Was er getan hatte, war schlimm, aber Krieg wäre es auch.
Bellzazar wartete schon im Schatten des Waldes auf ihn. Er saß im Sattel auf seinem schwarzen Hengst und hielt die Zügel von Desiderius’ Rappen in der Hand.
Es fing wieder zu schneien an, aber dieses Mal begrüßte Desiderius die weißen Flocken, sie würden ihre Spuren bis zum Morgengrauen verschwinden lassen.
Lächelnd übergab Bellzazar ihm die Zügel.
Desiderius schwang sich in den Sattel und riss die Zügel herum. »Los, lasst uns von hier verschwinden.«
»Habt Ihr es geschafft?«, fragte Bellzazar.
Desiderius schüttelte den Kopf. »Die Tür war verschlossen.«
Die Mimik des Halbgottes verdüsterte sich wütend. »Dann habt Ihr nicht den Kornspeicher der Soldaten vergiftet?«
»Nein«, bestätigte Desiderius. »Aber das Brunnenwasser.«
Der Halbgott stockte verwundert.
»Die Tür war verschlossen, was hätte ich machen sollen?«, fuhr Desiderius ihn an, weil er glaubte, verurteilt zu werden. »Hätte ich sie aufgebrochen, wären sie stutzig geworden und hätten das Korn vielleicht nicht angefasst. Oder schlimmer noch, sie hätten gewusst, dass jemand sie absichtlich vergiftet hat. Jetzt ist das Gift im Trinkwasser, sie werden krank werden und einige werden sterben, das ist das, was wir beabsichtigt haben, oder nicht? Ich habe nur meine Aufgabe erfüllt.«
Zu seiner eigenen Überraschung lächelte der Halbgott ihn beeindruckt an. »Ich verurteile Euch nicht, ich habe Euch nur nicht zugetraut, dass Ihr unschuldige Opfer in Kauf nehmt.«
»Ein Mann muss tun, was er für sein Volk und sein Land tun muss«, murmelte Desiderius.
Plötzlich entflammte eine Fackel auf der Mauer und sie hörten Rufe der Wachen, die durch die Ruine streiften, auf der Suche nach dem nächtlichen Besucher.
»Los, verschwinden wir«, beschloss Bellzazar und trieb sein Pferd in den Galopp.
Desiderius ritt ihm mit gleicher Geschwindigkeit hinterher.
Die Hufe ihrer Pferde donnerten auf den Boden, Schnee wirbelte auf, während sie schnell den Berg hinab galoppierten. Desiderius verlor einen seiner Dolche, der sich durch den holprigen Galopp aus der Vorrichtung gelöst hatte. Aber obwohl es eine recht wertvolle Klinge war, achtete er gar nicht weiter darauf, er wollte nur schnellstmöglich verschwinden.
Sie benutzten keine Wege, sondern ritten quer durch den Wald, um es möglichen Verfolgern zu erschweren, ihnen zu folgen.
Als sie in die Tiefen Wälder gelangten, schnaubten ihre Pferde bereits außer Atem, sie selbst keuchten ebenfalls angestrengt. Tiere und Reiter waren erschöpft wegen des gefährlichen, hastigen Rittes, der sie bergab über vereiste Wurzeln und verschneite Blätterhaufen geführt hatte.
Es war noch immer mitten in der Nacht und sie waren noch immer im Gebirge, aber weiter im Westen und wieder in den Tiefen Wäldern, in denen sich nur die zu recht fanden, die darin aufgewachsen waren.
»Wir sollten hier lagern«, schlug Bellzazar vor. »Schonen wir unsere Kräfte für den Heimritt.«
Desiderius stimmte zu: »Suchen wir uns einen kleinen Unterschlupf, es ist zu riskant, ein Feuer zu entfachen oder das Zelt aufzuschlagen.«
Bellzazar nickte zustimmend.
Sie glitten beide aus ihren Sätteln und führten ihre Pferde an den Zügeln durch den Wald, auf der Suche nach einer Höhle oder einem höhlenähnlichen Felsvorsprung.
Nur wenig Zeit später saßen sie Schulter an Schulter aneinander gedrängt unter dem Vorsprung eines Felsens. Reichlich Schnee fiel vom Himmel und versperrte ihnen die Sicht. Das grelle Mondlicht des Vollmondes strahlte auf den schneebedeckten Boden und erhellte den Wald. Es blendete in Desiderius’ Augen, der sich mit grübelnder Miene den Umhang noch enger um die Schultern zog.
Bellzazar rückte noch näher an ihn heran, Wärme strahlte von seinem Körper ab und vertrieb die äußere Kälte, doch innerlich fröstelte Desiderius noch immer, egal, wie nahe ihm der Halbgott kam.
Er hatte ja schon viele fragwürdige Dinge getan. Desiderius hatte gestohlen, er hatte Adelige überfallen, junge Mädchen mit seiner Klinge bedroht, bis ihre Väter ihn für ihre unversehrte Rückgabe bezahlten. Er hatte gelogen, betrogen und in einigen Fällen auch getötet, nur um selbst zu überleben. Aber was er auf der Schwarzfelsburg getan hatte, ließ ein großes Stück des Mannes sterben, der er vielleicht tief im Inneren Mal war. Der Mann mit Träumen und den man wohl als menschlich bezeichnen würde, weil er Gefühle zulassen konnte. Aber mittlerweile war er nur noch das, was die Welt und die Erfahrung aus ihm gemacht haben. Ein berechenbarer Mistkerl. Kalt. Gefühllos. Nur noch für fragwürdige Drecksarbeit zu gebrauchen, die kein Ehrenmann je freiwillig tun würde.
Wie viele Kinder und Frauen würden wohl sterben, sobald das vergiftete Wasser herumgereicht wurde?, fragte er sich.
Im gleichen Moment, als hätte er seine Gedanken mit anhören können, legte Bellzazar ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter und drückte aufmunternd zu.
Desiderius zog die Beine an, umschlang sie mit den Armen und legte das Kinn auf seine Knie. Er blickte seinen Weggefährten nicht an, sagte auch nichts. Aber zu seiner eigenen Beschämung stellte er fest, dass ihm Bellzazars Geste Trost spendete.
Desiderius schloss die Augen und schob die Schuld Beiseite, wie er es immer tat, wenn ihm etwas schwer im Magen lag. Er konnte es nicht mehr ändern und selbst wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er es trotzdem wieder tun. Für Nohva, für seinen König, für sein Volk. Irgendjemand musste es tun, irgendwer musste den Aufstand schon im Keim ersticken, und Desiderius tat solch wichtige Dinge sowieso lieber selbst, damit sie auch gemacht wurden. Letzten Endes brachte es ihn also nicht weiter, sich schuldig zu fühlen, er war einfach der Mann für solcherlei Aufträge.
Der Mann ohne Ehre. Von ihm aus konnten sie ihn ruhig alle so nennen, doch änderte es nichts an der Tatsache, dass er es war, der einen verheerenden Krieg verhindert hatte.
Entspannter atmete er aus und blickte durch den Schneevorhang in den Wald, dessen schneebedeckter Boden im Vollmondlicht mystisch leuchtete.
Mit seinen letzten Überlegungen war ihm eine Idee in den Sinn gekommen, die nach und nach immer mehr Gestalt annahm. Das hier war sicher nicht der letzte solcher Aufträge, vor allem dann, wenn Prinz Karic König wurde und er seine wahnwitzigen Vorstellungen von einem freien Land in die Tat umsetzen wollte. Er würde Hilfe von Männern wie Desiderius benötigen, die ohne zu zögern bereit waren, für den Frieden und die Freiheit zu töten.
»Ihr