Verloren und Gefunden. Мэри Элизабет Брэддон
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Verloren und Gefunden - Мэри Элизабет Брэддон страница 5
Sie wiederholte den Namen des Knaben zwei oder drei Mal in lauterem Tone.
Ader sie war nicht bestürzt, als sie keine Antwort erhielt. Die Betäubung der Trunkenheit war noch nicht ganz vergangen. Sie stand einige Augenblicke bewegungslos mit dem Lichte in der Hand da, gerade vor sich hinstarrend.
Plötzlich bemerkte sie den Brief auf dem Kaminsims.
»Gilberts Hand!« rief sie, »er war also zu Hause.«
Sie setzte das Licht nieder, öffnete den Brief und las Gervoise Gilberts Abschied.
Sie las den Brief zweimal — zuerst schnell, dann langsam, bis die Dünste des Branntweins, den sie getrunken, vor dem Gefühl eines großen Unglücks sich endlich zu zerstreuen begannen.
Dann stieß sie einen lauten Schrei aus, der durch das stille Haus wiederhallte, und fiel zu Boden.
Es giebt sonderbare Widersprüche, unlösbare Knoten, wunderbare Verwickelungen in dem geheimnißvollen Gewebe, das wir das menschliche Herz nennen.
Agatha Gilbert liebte leidenschaftlich den Mann, dessen Leben sie unglücklich gemacht, das Kind, dessen Kleider sie versetzt hatte, um Gin zu kaufen.
Drittes Capitel.
Die Zeichnung auf Georgey’s Arm.
Der Mond, welcher an diesem Augustabend spät aufging, stand wie eine Kugel von geschmolzenem Gold tief am Himmel, als der Mann, der sich Gervoise Gilbert nannte, von der staubigen Straße auf die weite Fläche von Putney-Heath hinaustrat.
Es war elf Uhr, Lichter blinkten da und dort in der Stadt, die der Künstler so eben hinter sich gelassen hatte, und auf einem Flecken unbebauten Landes in kurzer Entfernung von den letzten zerstreuten Häusern brannte unter einem eisernen Kessel ein helles Feuer und beleuchtete die Umrisse eines großen schwerfälligen Wagens.
Gervoise Gilbert blieb am Rande des Weges stehen und blickte sehnsüchtig nach einer Gruppe von Männern, die am Feuer standen, während einige Frauen sich in der Nähe des Wagens zu schaffen machten.
Der Knabe war schon nach der ersten Meile ermüdet gewesen und Gervoise hatte ihn seitdem getragen. Das Kind war zwar mager, aber für sein Alter ziemlich groß und sein Gewicht, um es zwei Stunden weit zu tragen, nicht unbedeutend. Es war jetzt mit dem Kopf aus seines Vaters Brust eingeschlafen.
Der Künstler hatte diesen Weg mit der Absicht gewählt, sich einer herumziehenden Gesellschaft anzuschließen, wenn sie geneigt wäre, ihn aufzunehmen. Er wußte, daß es schlimmer als nutzlos sei, in London zu bleiben.
Dort starrte ihm der Hungertod in die Augen, während er hier, wenn er da- und dorthin wanderte, immerhin einige Aussichten hatte. Gewiß würde er im Stande sein, zuweilen ein Bild zu verkaufen, oder ein Portrait für einen einfachen Handelsmann zu malen, und wenn er nichts Anderes finden könnte, so wollte er Aushängeschilder malen. Er hatte den Stolz abgelegt. Er wollte irgend etwas, was sich darbot, thun, wenn er nur Brod für sein Kind erwerben konnte.
Er hatte noch einen andern Grund für den Wunsch, sich einer herumziehenden Gesellschaft anzuschließen Er wußte, daß ihn seine Frau mit einer leidenschaftlichen, eifersüchtigen Liebe liebte, wie sie nur heftigen Naturen eigen ist. Es war deshalb wenig Zweifel, daß sie ihn aufsuchen, daß sie Alles aufbieten würde, um seine Spur zu finden. Dazu war aber weniger Aussicht, wenn er keinen festen Aufenthaltsort hatte, sondern fortwährend von einem Ort zum andern zog.
Dieser zweite Grund war für ihn gewichtiger als der erste und bestimmte seinen Entschluß.
Die Gesellschaft, die an diesem Abend auf Putney-Heath lagerte, war zahlreicher, als er sie zu finden erwartet hatte. Der Reisewagen war ein kolossales Fuhrwerk, und drei Pferde von kräftigem Aussehen weideten das Gras auf dem kurzen Rasen hinter demselben ab.
Einer der Männer, der auf dem Boden am Feuer saß, blickte nach Gervoise auf, als der Künstler einige Minuten dagestanden und die Gruppe von Wanderern gedankenvoll angeschaut hatte.
»Wenn Ihr vielleicht das nächste Mal wieder dieses Wegs kommt,« sagte dieser Mann, eine kurze Thonpfeife aus dem Munde nehmend, »so werdet Ihr uns wiedererkennen, mein Freund. Ihr habt uns wenigstens lange genug angestarrt.«
Gervoise Gilbert trat dem Feuer etwas näher — so nahe, daß sein hübsches Gesicht und das goldene Haar des Kindes von der hellen Flamme beleuchtet wurden.
»Ich habe keine Beleidigung beabsichtigt, mein guter Mann,« sagte er. »Ich stehe zu tief in der Welt, um unverschämt zu sein. Ich bin ein Künstler und alle meine Wünsche stehen nach einem solchen Leben wie das Eurige. Ich bin arm und, wenn ich überhaupt leben will, so muß ich so leben wie Ihr zu leben scheint — von der Hand in den Mund, im Vertrauen, daß jeder Tag ein Mahl und ein Nachtlager bringen wird.«
»Das ist wenigstens aufrichtig gesprochen,« sagte der Mann, inne Pfeife ausklopfend.
»Es ist die Wahrheit,« antwortete Gervoise Gilbert düster.
Während dieses Gesprächs hatte sich eine der Frauen von ihrem Sitz auf dem Wagentritt erhoben und dem Maler genähert.
»Ist das Ihr Kind?« fragte sie, auf den goldgelockten Kopf blickend, der noch immer an des Vaters Brust ruhte.
»Ja,« antwortete Gilbert, »und ohne dasselbe würde ich vielleicht in dieser Nacht einen gesunden Schlaf auf dem Grunde des Flusses gefunden haben.«
»Armer, kleiner Bursche,« murmelte die Frau mitleidsvoll.
»Ist seine Mutter todt?«
»Ja,« antwortete Gilbert mit festem Tone.
Sie war todt für ihn, dachte er. Seine beste Hoffnung war, daß sie in nicht langer Zeit für die ganze Welt todt sein würde.
»Das ist schlimm,« sagte die Frau; »es ist sehr schlimm, für einen so kleinen Jungen wie er, ohne eine Mutter zu sein. Sie scheinen ihn lieb zu haben.«
»Ihn lieb zu haben!« rief Gervoise, »mein Herzblut ist mir nicht so kostbar wie dieses Kind. Ich lebe nur seinetwegen. So tief ich auch gesunken bin, so wird vielleicht der Tag kommen, wo er reich und mächtig sein wird. Kluge Männer, die niemals durch Armuth zur Verzweiflung getrieben worden sind, werden mich vielleicht wahnsinnig nennen, daß ich von so etwas auch nur träume; aber ich träume davon bei Tag und Nacht.«
Er sagte dies mehr zu sich als zu der Frau.
»Gehen Sie diesen Abend noch weit?« fragte der Mann, der zuerst gesprochen hatte.
»Nicht, wenn ich nicht muß. Ich suche ein Obdach für diesen Kleinen. Ich mache mir nichts daraus, unter einem Heuschober, oder auf bloßem Boden unter den Ginsterbüschen dort zu ruhen; aber der Knabe hat noch nie im Freien geschlafen.«
»Und er soll heute nicht im Freien schlafen, Mister,« sagte die Frau, »wenn es Ihnen recht ist, daß er zu meinen beiden Jungen in den Wagen gelegt wird.«
Ob es ihm recht war? Gervoise Gilbert nahm das Anerbieten dankbar an.
»Ich