Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band - Hugo Friedländer

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nicht weil es sich um einen Juden handelt, ist die Sache unaufgeklärt, sondern weil die Sache unklar ist, deshalb hat man zu einem Juden gegriffen. Man behauptete: es ist von einem Juden ein Ritualmord begangen worden. Dazu bedarf es keiner weiteren Motive, es bedarf bloß allgemeiner Verdächtigungen. Allein Sie, m.H. Geschworenen, haben die Pflicht, alles, was außerhalb dieses Saales vorgeht, unbeachtet zu lassen, sondern lediglich auf Grund der Tatsachen, die Sie selbst mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört, Ihr Urteil abzugeben.

      Auf Grund der Beweisaufnahme kann ich nicht anders als aus Pflicht und Gewissen den Antrag auf Nichtschuldig stellen. Ich bitte Sie, meine Herren Geschworenen, sprechen Sie den Angeklagten frei.

      Verteidiger Rechtsanwalt Stapper (Düsseldorf) führte aus: Wenn Ihr Urteil, woran ich nicht zweifle, auf Nichtschuldig lautet, dann wird dieser Tag ein Ehrentag für Sie sein, denn Sie geben einem anständigen, schwergeprüften Manne die Freiheit, einer Familie den Gatten und Vater, einer Gemeinde ein Mitglied wieder, das bisher in der unerhörtesten Weise dem Haß und der Verfolgung eines urteilslosen Pöbels ausgesetzt war. Sofort als die Tat entdeckt wurde, stand es bei der Menge fest: es müsse ein Ritualmord geschehen sein. Das alte, mittelalterliche Märchen, das man schon längst begraben glaubte, war wieder aufgetaucht. Die Hauptsache war, daß Dr. Steiner feststellte, daß kein Blut oder zuwenig Blut bei der Leiche gefunden wurde. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich das Blutmärchen durch ganz Deutschland und wurde von Herrn Dr. van Housen sofort nach Emmerich getragen. Sie erinnern sich, meine Herren Geschworenen, daß Herr Dr. van Housen erst, nachdem er die Obduktionsbefunde hier eingesehen, die Erklärung abgegeben hat: Nun habe ich mich überzeugt; ich halte auch den Fundort für den Tatort; ich habe zur Zeit mein Urteil auf Grund oberflächlicher Besichtigung abgegeben. Es ist ja noch ein anderes Motiv für den Mord angegeben worden. Sie erinnern sich, daß Herr Kriminalkommissar Wolff der Meinung gewesen ist: Buschhoff habe den Knaben getötet, weil er ihm den kleinen Schaden am Grabstein zugefügt habe. Eine solche Annahme kann wohl die Phantasie eines Dichters sein, der einen Kriminalroman zu schreiben beabsichtigt, der Richter kann aber eine solche Vermutung nie und nimmer für wahr halten. Ich muß ausdrücklich bemerken, m.H., daß gleich nach Entdeckung der Tat die Behörden sich alle Mühe gegeben haben, den Täter zu ermitteln. Herr Landgerichtsrat Brixius hat ebenfalls, das beweisen die vielen von ihm vorgenommenen Vernehmungen, alles mögliche getan, um Klarheit zu schaffen. Wäre der Mord nicht sofort zum Objekt einer Glaubenshetze gemacht worden, wer weiß, ob es nicht gelungen wäre, schon nach den ersten 8-14 Tagen den Mörder zu entdecken. Sie werden sich erinnern, meine Herren Geschworenen, daß in einer geradezu unerhörten, bisher noch nicht dagewesenen Weise die Gerichtsbehörden aus Anlaß dieses Verbrechens angegriffen worden sind.

      Sie erinnern sich vielleicht, meine Herren, jener Sitzung des Abgeordnetenhauses, in der der Abgeordnete Rickert vorlas, daß eine Zeitung geschrieben habe: »Es liegt ein Ritualmord vor, Buschhoff und kein anderer ist der Mörder.« Wenn man erwägt, wie alle Bemühungen der Behörden, den Schuldigen zu ermitteln, durch das Blutmärchen getrübt worden sind, dann muß man die Überzeugung gewinnen, daß System in dieser Hetze liegt. Die Leute haben gar kein Interesse, daß der wirklich Schuldige ermittelt werde, die Tat an sich war ihnen ein willkommenes Agitationsmiltel. Es ist hier nicht meine Aufgabe, eine Rede gegen das Treiben der Antisemiten zu halten. Wenn die Leute es als ihre Aufgabe betrachten, dahin zu wirken, daß die Juden aus Deutschland getrieben und die Zeiten des Augustus wieder herbeigeführt werden, habeant sibi. Meine Aufgabe als Verteidiger ist eine ganz andere. Allein erwägen Sie, meine Herren Geschworenen, wenn es dem Buschhoff nicht gelungen wäre, in so überzeugender Weise sein Alibi nachzuweisen, was hätte alsdann diese Hetze für Folgen haben können. Der Verteidiger erörterte hierauf den eigentlichen Tatbestand und fuhr alsdann fort: Ich habe nicht notwendig, Ihnen noch eine Schilderung von dem Angeklagten zu geben, er dürfte Ihnen durch die zehntägige Verhandlung hinlänglich bekanntgeworden sein. Ich will Sie bloß an den wahrhaft dramatischen Vorgang mit dem Sack erinnern. Ich muß gestehen, als der Sack mit den rotbraunen Flecken dem Angeklagten vorgelegt wurde, da glaubte ich fast selbst, es könnten irgendwelche Anhaltspunkte für die Schuld des Angeklagten festgestellt werden. Allein Sie erinnern sich, mit welcher Unbefangenheit der Angeklagte vortrat und auf die Frage des Vorsitzenden, wie er die rotbraunen Flecke an dem Sack erkläre, die natürlichste Antwort von der Welt gab: er habe den Sack bei der Fleischräucherung benutzt und die verdächtigen Flecken seien Rauchflecken. Aber außerdem ist doch auch der Lebenswandel des Angeklagten in Betracht zu ziehen. Sie haben gehört, daß Buschhoff aus Anlaß des Sterbetages seines Vaters des Morgens und Abends in die Synagoge ging, daß er dieses Sterbetages wegen bis Mittag fastete, daß er, ehe er sich mit seiner Familie zu Tisch setzte, betete. Jemand, der so pietätvoll seiner verstorbenen Eltern gedenkt und als Lohn dafür die Liebe seiner Kinder erweckt, ist nicht das Holz, aus dem Mörder geschnitzt werden. Der Verteidiger ging noch des näheren auf die Bekundungen des Zeugen Mölders ein und suchte den Nachweis zu führen, daß die große Erregung in Xanten die Leute zu einer fixen Idee geführt habe, an die sie selbst glaubten. Der Verteidiger schloß: Ich teile nicht die Hoffnung des Herrn Ersten Staatsanwalts, daß nach Schluß dieser Verhandlung die Hetze beendet sein wird, wir werden aber nach Abgabe Ihres Wahrspruches sagen können: die Wahrheit hat gesiegt.

      Verteidiger Rechtsanwalt Fleischhauer (Kleve): Es dürfte Ihnen bekannt sein, meine Herren Geschworenen, daß ich aus Anlaß der Übernahme der Verteidigung in der unerhörtesten Weise angegriffen worden bin. Selbst im Abgeordnetenhause hat sich ein Mann, dessen Stellung voraussetzen sollte, daß er wenigstens bei der Wahrheit bleibt, mich in der unqualifizierbarsten Weise verdächtigt. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, meine Herren Geschworenen, daß ich trotz all dieser Verunglimpfungen es für meine höchste Ehre gehalten habe, gerade den Angeklagten Buschhoff, dessen Unschuld von Anfang so klar zutage lag, zu verteidigen. Meine 10jährige Tätigkeit als hiesiger Anwalt enthebt mich der Mühe, mich Ihnen gegenüber noch weiter zu rechtfertigen, um so mehr, da die Ehre der Angreifer nicht höher steht als ihre Angriffe. Ich kann Ihnen aber auch die Versicherung geben, daß ich nie und nimmer einen Mann verteidigen würde, von dem ich auch nur vermuten könnte, daß Blut an seinen Fingern klebt. Wäre ich von der Unschuld des Buschhoff nicht überzeugt, hätte ich in dieser Beziehung auch nur noch einen Zweifel, ich stände sicherlich nicht an dieser Stelle. Sie werden sich zu erinnern wissen, meine Herren, daß, als im Dezember v. J. die Haftentlassung des Angeklagten erfolgte, sich ein Sturm der Entrüstung in der antisemitischen Presse erhob, obwohl mit dieser Haftentlassung das Verfahren noch nicht eingestellt war. Zu dieser Hetze gesellte sich der Messerbefund des Kreisphysikus Dr. Bauer. Dies war die Veranlassung, daß die Wiederverhaftung Buschhoffs und schließlich auch die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen wurde. Letzteres geschah nicht, weil man an seine Schuld glaubte, sondern weil man der Welt den Beweis liefern wollte, daß an all den Verdächtigungen kein wahres Wort ist. Und die Verhandlung, deren Leitung an Unparteilichkeit jedenfalls nichts zu wünschen übrigließ, hat die Unschuld des Buschhoff in glänzendster Weise nachgewiesen. Der Herr Erste Staatsanwalt hat recht, wenn er sagte, mit größerer Genauigkeit hat noch niemals ein Angeklagter sein Alibi nachgewiesen. Und wie benahm sich der Angeklagte? Er, der so sehr Verfolgte und Geschmähte, der unter der furchtbaren Anklage, einen Mord begangen zu haben, sich seit so langer Zeit in Untersuchungshaft befindet, er hat nicht ein hartes Wort gegen die ihn belastenden Zeugen, die aus jedem Vorkommnis Kapital zu schlagen suchten, erwidert. Bald fiel den Zeugen die große Teilnahme, bald die Teilnahmlosigkeit auf. Jedenfalls hat die Verhandlung ergeben, daß kein Zeuge den Hegmannschen Eheleuten soviel Teilnahme bekundet hat, als gerade der Angeklagte. Dieser hat sich aber auch als ein in jeder Beziehung wahrheitsliebender Mann erwiesen. Nicht eine Unwahrheit konnte ihm nachgewiesen werden. Als ihm gesagt wurde, er solle bei unerheblichen Dingen doch lieber zugestehen und sich nicht aufs Leugnen legen, da antwortete er: »Ich kann doch nichts zugeben, was nicht wahr ist.« Der Verteidiger ging hierauf des näheren auf die Zeugenaussagen ein und fuhr alsdann fort: Ich kann die Hoffnung des Herrn Ersten Staatsanwalts auch nicht teilen, daß die antisemitische Hetze mit diesem Prozeß ein Ende haben wird. Ich fürchte: es wird weitergelogen werden. Es ist eine allbekannte Tatsache, daß, um eine Wahrheit zu verwischen, mindestens 7 Lügen notwendig sind. Ich bin aber der Meinung, es sind 7 mal 70 Lügen notwendig, um das Lügengebäude der Antisemiten aufrechtzuerhalten. Allein die große Sorgfalt und

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