Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band - Hugo Friedländer

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telegraphisch den Minister des Innern, auf ihre Kosten einen tüchtigen Kriminalbeamten nach Xanten zu senden, dem es vielleicht gelingen werde, den Mörder zu entdecken. Der Minister entsandte sogleich den damaligen Kriminalkommissar Wolff aus Berlin nach Xanten. Am 14. Oktober 1891 verhaftete Kriminalkommissar Wolff Buschhoff nebst Frau und Tochter. Am 20. Dezember 1891 wurden die drei Verhafteten entlassen, da sich nicht der geringste Anhalt für die Täterschaft ergab.

      Im Februar 1892 wurde Buschhoff, und zwar diesmal allein, von neuem verhaftet, da Kreisphysikus Dr. Bauer (Mörs) dem Ersten Staatsanwalt Baumgard zu Kleve mitgeteilt hatte: er habe die Buschhoffschen Schächtmesser untersucht und festgestellt, daß mit dem Schächtmesser Nr. 13 der Mord geschehen sein könne.

      Es wurde schließlich die Anklage wegen Mordes gegen Buschhoff erhoben. Er hatte sich vom 4. bis 14. Juli 1892 vor dem Schwurgericht zu Kleve zu verantworten. Den Vorsitz dieser Gerichtsverhandlung, die in der ganzen Kulturwelt mit größter Spannung verfolgt wurde, führte Landgerichtsdirektor Kluth. Die Anklage vertraten der damalige Oberstaatsanwalt Hamm (Köln) und der Erste Staatsanwalt Baumgard (Kleve). Die Verteidigung hatten übernommen die Rechtsanwälte Fleischhauer (Kleve), Stapper (Düsseldorf) und Gammersbach (Köln). Buschhoff bestritt mit größter Entschiedenheit, von dem Morde etwas zu wissen. Kreisphysikus Dr. Bauer bekundete: Er könne nur sagen, daß das Buschhoffsche Schächtmesser Nr. 13 geeignet sei zur Ausführung des Mordes, der Mord könne aber auch mit einem anderen Instrument ausgeführt sein. Er kenne den Schächtschnitt ganz genau. Von einem Schächtschnitt könne keine Rede sein. Es sei bei dem Ermordeten soviel Blut gefunden worden, als ein 5 1/2jähriger Knabe verlieren könne. Er habe die Überzeugung: der Fundort sei der Tatort. Kreiswundarzt Dr. Nünninghoff und die Mitglieder des Medizinalkollegiums der Rheinprovinz, Geh. Regierungs- und Medizinalrat Dr. Kirchgässer (Koblenz), Geh. Medizinalrat Dr. Pellmann (Bonn), Professor Dr. Köster (Bonn) und Geh. Medizinalrat Dr. Trendlenburg (Bonn) schlossen sich dem Gutachten des Kreisphysikus Dr. Bauer vollständig an. Geh. Regierungs- und Medizinalrat Dr. Kirchgässer bekundete: Das Medizinalkollegium der Rheinprovinz habe sehr eingehende Versuche vorgenommen und festgestellt, daß das vorgefundene Blut der Menge entsprach, die der Ermordete verloren haben müsse. Die Tat sei anscheinend von einem Menschen ausgeführt worden, der in der Messerführung nicht geübt war. Das Medizinalkollegium habe auch genaue Erhebungen angestellt, ob der Schnitt ein Schächtschnitt war, es habe sich aber nicht der geringste Anhalt dafür ergeben. Beim Schächschnitt sei es Vorschrift, daß das Messer senkrecht angesetzt werde, der Täter habe aber das Messer schräg angesetzt. Auch alle anderen Vorschriften, die beim Schächtschnitt zu beobachten seien, waren nicht vorhanden. Ebenso sei für einen Ritualmord nicht der geringste Anhalt.

      Alle anderen medizinischen Sachverständigen schlossen sich diesem Gutachten vollständig an. Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Pellmann (Vorsteher einer Irrenanstalt) bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Es liege die Möglichkeit vor, daß der Mord von einem Verrückten ausgeführt worden sei.

      Im Laufe der Verhandlung äußerte Dr. med. Steiner in einer Klever Restauration: Nachdem er das Gutachten der medizinischen Sachverständigen gehört, sei er auch zu der Ansicht gekommen, daß der Fundort der Tatort sei. Diese Äußerung wurde dem Verteidiger, Rechtsanwalt Fleischhauer, mitgeteilt. Auf dessen Antrag wurde Dr. Steiner nochmals aus Xanten vorgeladen. Er bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Ich war bei der ersten Leichenbesichtigung nicht berechtigt, die Leiche zu entkleiden. Ich hatte auch keine Zeit, den Erdboden genau zu untersuchen, mir schien es aber, als wäre wenig Blut in der Scheune gewesen. Nachdem ich jedoch von den medizinischen Sachverständigen gehört, daß soviel Blut in der Scheune war, wie ein so jugendlicher Körper nur verlieren konnte, schließe ich mich dem Gutachten der medizinischen Sachverständigen an. Ich bemerke also, ich halte den Fundort für den Tatort.

      Brauchen die Juden Christenblut? Auf Ladung der Verteidigung erschien im Laufe der Verhandlung Professor Dr. Nöldecke (Straßburg, Elsaß), Professor der semitischen Sprachen an der Straßburger Universität als Sachverständiger. Vert. Rechtsanwalt Gammersbach: Die Verteidigung hat den Herrn Professor geladen, da behauptet worden ist: der Knabe sei ermordet worden, weil die Juden zu ihren rituellen Zwecken Christenblut brauchen. Der Herr Professor ist nun in der talmudischen Wissenschaft eine Autorität ersten Ranges. Ich richte deshalb die Frage an den Herrn Professor, ob in den Religionssatzungen der Juden die Blutabzapfung Andersgläubiger geboten ist? Professor Dr. Nöldecke: Der Talmud ist allerdings eine Sammlung von Gesetzen und Erklärungen vieler Jahrhunderte und in solchem Umfange, daß niemand mit voller Sicherheit sagen kann, was nicht im Talmud steht. Ich habe aber genau den Talmud nach einer solchen Stelle durchforscht und kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß eine Satzung, wonach den Juden die Blutabzapfung Andersgläubiger geboten ist, nicht im Talmud enthalten ist.

      Vert. Rechtsanwalt Gammersbach: Im Jahre 1883 hat in Wien ein Prozeß Rohling wider Bloch stattgefunden. In diesem Prozeß sind Sie, Herr Professor, ebenfalls als Sachverständiger aufgetreten und haben bekundet, daß Ihnen keine Stelle in einem jüdischen Gesetzbuch bekannt sei, die von Ritualmord handelt.

      Professor Dr. Nöldecke: Der bekannte Professor Rohling behauptete damals, daß wohl nicht im Talmud, aber im Sohar und Sefer Halkutim der Ritualmord vorgeschrieben sei. Wenn auch diese Bücher nicht von allen Juden anerkannt werden, so gelten sie doch bei einem Teile der Juden noch als heilig. Ich habe nun im Sohar und Sefer Halkutim nachgeforscht, aber auch nichts gefunden, was auf einen Ritualmord hindeutet. Ich kann es nur als durch und durch frivol bezeichnen, wenn man behauptet, die Juden brauchen zu rituellen Zwecken Christenblut. Ich füge hinzu, mit derselben Sicherheit, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts vom Eisenbahnwesen, mit derselben Sicherheit kann ich behaupten, daß im Talmud nichts vom Ritualmord enthalten ist. Der verstorbene Professor Dr. Delitzsch in Leipzig, einer der größten Kenner des Talmud, hat die Blutbeschuldigung aufs bestimmteste widerlegt und sie auch als frivol bezeichnet. Professor Dr. Eisenmenger, der kein Judenfreund, aber ein sehr ehrlicher Charakter war, hat ebenfalls bekundet: er habe keine Stelle gefunden, die darauf hindeute, daß den Juden der Ritualmord vorgeschrieben sei.

      Vert. R.-A. Gammersbach: Ist es nicht den Juden aufs strengste verboten, Blut zu genießen? Sachv.: Jawohl.

      Vert.: Ist es nicht den Juden geboten, nicht einmal den Anschein zu erwecken, als ob sie Blut genießen würden?

      Sachv.: Das ist richtig.

      Vert.: In dem Prozeß Rohling wider Bloch wurde vom Professor Dr. Delitzsch ein Gutachten abgegeben. In diesem ist folgende Mitteilung enthalten: Ein spanischer Jude, wegen Ritualmordes angeklagt, bemerkte: »Uns Juden ist aufs strengste verboten, Tierblut zu genießen, nun sollen wir gar Menschenblut genießen. Wenn ein Jude sich während des Essens am Munde verwundet und ihm Blut auf ein Stückchen Eßware herabträufelt, so muß er das Blut abkratzen. Es ist allerdings keine Sünde, wenn er das Blut mitißt, denn es ist ja von ihm selbst, aber man soll auch nicht den Schein erwecken, als ob man Blut äße.« Diesem Gutachten des Prof. Delitzsch ist eine ganze Reihe Universitäten und christliche Talmudgelehrte, wie Lagaarde, Dillmann, Strack und auch Kardinal- Dr. Kopp in Breslau beigetreten. Der katholische Professor an der Universität zu Innsbruck, Dr. Bickel, hat die Blutbeschuldigung der Juden ebenfalls für Schwindel erklärt, er hat aber gebeten, ihn von bestimmten Gutachten zu entbinden, da er seit 20 Jahren mit Rohling befreundet sei.

      Professor Dr. Nöldecke: Ich kann dies alles nur bestätigen. Ich will noch bemerken: Im Jahre 1714 wurde die theologische Fakultät der Universität Leipzig von dem Herzog Karl August aufgefordert, sich zu äußern: ob den Juden der Ritualmord vorgeschrieben sei. Die Fakultät antwortete: »In den jüdischen Religionssatzungen ist absolut nichts von Ritualmord enthalten.«

      Am neunten Verhandlungstage begab sich, auf Antrag des Oberstaatsanwalts Hamm, der Gerichtshof, die Geschworenen, die Staatsanwälte und Verteidiger zwecks örtlicher Augenscheinnahme

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