Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer
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Ich kann meine Verteidigung um so mehr abkürzen, da die Vertreter der Anklagebehörde in diesem Prozeß das schönste Recht der Staatsanwaltschaft ausgeübt haben, das nicht bloß darin besteht, den Schuldigen zu verfolgen, sondern auch dem unschuldig Verfolgten ihren Schutz zu gewähren.
Verteidiger Rechtsanwalt Gammersbach (Köln): M. H. Geschworenen! Als die Verhandlung begann, da haben wir, die wir die Akten kannten, die Freisprechung erwartet, nachdem wir aber die Beweisaufnahme gehört, ist diese Erwartung bei uns zur Gewißheit geworden. Es ist Ihnen bekannt, daß die Bevölkerung in Xanten, höchstwahrscheinlich veranlaßt durch das Gutachten der Herren DDr. Steiner und van Housen, sofort die Behauptung aufstellte es ist ein Ritualmord begangen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieses Gerücht das Haupthemmnis für eine erfolgreiche Tätigkeit bildete, die Sache zu klären. Als wir hörten, daß die Anklage erhoben worden sei, da war ich mit meinen Kollegen der Überzeugung, daß die Staatsanwaltschaft nicht den Volksaberglauben des Blutmärchens teile, sondern daß sie andere Gründe für die Erhebung der Anklage habe. Für die Staatsanwaltschaft war, davon waren wir von vornherein überzeugt, ein wissenschaftliches Gutachten über den Ritualmord nicht erforderlich. Allein Sie haben gesehen, m.H., daß im Hintergrunde der Zeugenaussagen der Ritualmord stand. Man konnte es dem Zeugen Mallmann nachfühlen, daß er im Herzen die Überzeugung von dem Ritualmorde hatte, und aus diesem Grunde den Buschhoff für den Täter hielt. Das angebliche Fehlen des Blutes bei der Leiche und der angebliche Schächtschnitt war die Veranlassung, daß dieser alte Volksaberglaube auftauchen konnte. Das Märchen ist so töricht, daß ich kurz darüber hinweggehen könnte, wenn ich nicht wüßte, daß es in den Köpfen der unwissenden Bevölkerung spukt und zu politischen Parteizwecken genährt wird. Wenn man uns Christen vorwerfen würde: wir brauchen das Blut Andersgläubiger und müssen daher Morde begehen, dann würde ich antworten: In unseren Grundgesetzen, in den zehn Geboten, steht: »Du sollst nicht töten.« Damit ist eigentlich die ganze Beschuldigung widerlegt.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir Christen die zehn Gebote erst seit 1900 Jahren unser eigen nennen, während die Juden die zehn Gebote seit über 3000 Jahren haben. Es kommt aber noch hinzu, daß den Juden der Blutgenuß überhaupt verboten ist. In dem auch jedem Christen zugänglichen Alten Testament ist zu lesen: »Ihr sollt kein Blut essen, wer Blut ißt, der soll ausgerottet werden aus meinem Volke, ich werde mein Antlitz von ihm abwenden«. Es ist charakteristisch, daß in China und Madagaskar von der dortigen Bevölkerung dieselbe Anschuldigung gegen die Christen erhoben wird und als Ursache der Christenverfolgung dient. Und ehe das Christentum seinen Siegeslauf antrat, noch ehe es die herrschende Religion war, da haben die Römer den Christen dasselbe Märchen angedichtet, und zahllose Christen wurden deshalb verfolgt. Der Aberglaube, daß die Juden Blut brauchen, ist bei uns im 13. Jahrhundert aufgetaucht. Damals genoß aber der unglückliche Angeklagte noch nicht den Schutz, den er heute hat. Da trat die größte Macht der damaligen Zeit, der Papst, auf, um dieses Märchen zu widerlegen und die Juden vor Verfolgungen zu schützen.
Ich könnte Ihnen zahlreiche päpstliche Bullen vorlegen, in denen dieser Volksaberglaube mit der größten Entschiedenheit bekämpft wird. In den Jahren 1247 und 1253 hat Innozenz IV. sich mit sehr heftigen Worten gegen diesen Volksaberglauben gewendet. Ich will Sie mit dem Verlesen der Bullen nicht behelligen, es würde dies schließlich stundenlang aufhalten. Allein seit dem 13. Jahrhundert ist das Märchen nicht mehr aus der Welt verschwunden. Es ist immer wieder aufgetaucht und hat zu Judenverfolgungen Veranlassung gegeben. Wiederholt haben sich Gelehrte damit beschäftigt und Gutachten abgegeben. Sie haben von dem Sachverständigen Professor Dr. Nöldecke gehört, daß im Jahre 1714 die theologische Fakultät der Universität zu Leipzig auf Veranlassung des Landesherrn ein Gutachten dahin abgegeben hat, daß der Ritualmord in den religiösen Satzungen der Juden nicht vorgeschrieben sei, und daß keine Anhaltspunkte für diesen Volksaberglauben in der jüdischen Literatur vorhanden seien. In dem im Jahre 1883 vor dem Wiener Landgericht geführten Prozesse des bekannten Professors Rohling wider den österreichischen Abgeordneten Bloch traten Professor Dr. Nöldecke und Lizentiat Wünsche als Sachverständige auf. Beide Sachverständige gaben dasselbe Gutachten ab. Sie haben gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke sagte: »Ebenso bestimmt, wie ich behaupten kann, im Talmud steht nichts von dem Eisenbahnwesen, mit derselben Bestimmtheit kann ich sagen: im Talmud steht nichts vom Ritualmord.« Sie haben ferner gehört, daß Herr Professor Dr. Nöldecke die immer wiederkehrende Behauptung, daß den Juden der Ritualmord geboten sei, als frivol bezeichnete. Sie haben außerdem von Herrn Professor Dr. Nöldecke gehört, daß der katholische Professor Dr. Bickel an der Universität zu Innsbruck, indem er die Abgabe eines Gutachtens über den Ritualmord ablehnte, letzteren als Schwindel bezeichnete.
Ich erinnere Sie im weiteren daran, daß Herr Professor Dr. Nöldecke eine Reihe hervorragender Orientalisten, wie den Geheimen Regierungsrat Professor Dr. de Lagarde, die Professoren Delitzsch und Strack, nannte, die sich in derselben Weise wie er über den Ritualmord ausgesprochen haben.
Sie haben endlich von Herrn Professor Dr. Nöldecke gehört, daß der Talmud nicht bloß den Blutgenuß an sich verbietet, sondern sogar vorschreibt, selbst den Schein zu vermeiden, als ob man Blut genieße. Professor Dr. Delitzsch hat begutachtet, daß weder im Sohar noch im Sefer Halkutim etwas von einem Ritualmorde enthalten sei. Ich muß nun hervorheben, daß kein Zeuge dem Buschhoff ein anderes Motiv als den Ritualmord untergeschoben hat. Es ist uns allerdings von berufener Seite gesagt worden, zur Aufrechterhaltung der Anklage bedarf es keines Motivs. Bei einem Spitzbuben, einem Raufbold mag wohl dieser Grundsatz mit Recht zur Anwendung gelangen, allein wenn man einen Mann wie den Angeklagten Buschhoff eines so schweren Verbrechens wie des vorliegenden beschuldigt, dann entsteht doch unwillkürlich die Frage: Was ist wohl die Ursache des Verbrechens? Das von dem Kriminalkommissar Wolff vermutete Motiv ist schon aus psychologischen Gründen zu verwerfen. Es ist einmal undenkbar, daß der Angeklagte den Knaben geschlagen und, um zu verhüten, daß dies herauskomme, den Knaben ermordet hat, und andererseits ist nicht anzunehmen, daß der Knabe, wenn er mißhandelt worden, sprach- und willenlos geworden wäre, sondern er hätte zweifellos geschrien und geweint.
Dieser Ansicht ist auch Herr Geheimrat Pellmann. Niemand aber hat den Knaben weinen oder schreien gehört. Ich erachte es für überflüssig, nochmals auf den objektiven Talbestand einzugehen. Der Angeklagte hat nicht bloß in der überzeugendsten Weise sein Alibi nachgewiesen, es ist ihm selbst von seinen erbittertsten Feinden das Zeugnis eines gutmütigen, braven und ehrlichen Mannes ausgestellt worden. Sie sind außerdem selbst Zeuge gewesen, wie der Angeklagte beim Anblick seines zerstörten Besitztums in Tränen ausbrach und wie er in der unbefangensten Weise jede Auskunft gab. So übel es ihm auch ergangen ist, er hatte kein Wort des Hasses oder des Zornes, weil er weiß, daß er unschuldig ist und weil er Gottvertrauen hat. Als ich ihm sagte, daß nun die öffentliche Verhandlung stattfinden werde, da versetzte er: Gott sei Dank, da wird meine Unschuld zutage treten. Sie, die Richter der Tatfrage, sind nun berufen, über das Schicksal Buschhoffs zu entscheiden. Ich spreche im Einverständnis mit den Herren Vertretern der Staatsanwaltschaft und dem meiner Herren Kollegen, wenn ich sage: Ihr Wahrspruch kann nur lauten: Auf Ehre und Gewissen bezeuge ich vor Gott und den Menschen, der Angeklagte Buschhoff ist unschuldig.
Ein zum Himmel schreiendes, schweres Verbrechen, so bemerkte der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Kluth, bei der hierauf folgenden Rechtsbelehrung, ist Ihrer Beurteilung unterbreitet. Das Gesetz verbietet mir, in eine Würdigung der Beweismittel einzutreten. Ich glaube auch, die Verhandlung in einer Weise geleitet zu haben, daß niemand erraten kann, ob ich für Freisprechung oder für Verurteilung des Angeklagten bin. Ich will jedoch bemerken, daß