Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band - Hugo Friedländer страница 15
![Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band - Hugo Friedländer Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band - Hugo Friedländer](/cover_pre1102000.jpg)
Im Laufe der Verhandlung erschien der alte Vater Hennigs, vor Gram gebeugt, als Zeuge. Der alte Mann konnte vor Weinen kaum sprechen. Er bemerkte mit tränenerstickter Stimme: er habe für seinen Sohn, der nicht unbegabt war, alles aufgewendet, um ihn zu einem ordentlichen, tüchtigen Menschen zu erziehen. Alle seine anderen Kinder seien brav und ordentlich. Es breche ihm das Herz, seinen Sohn als Raubmörder auf der Anklagebank sehen zu müssen.
Vors., Landgerichtsdirektor Barchewitz: Herr Hennig, ich kann Ihren großen Schmerz begreifen. Sie müssen sich aber in dem Bewußtsein trösten, daß Sie Ihre Vaterpflichten voll erfüllt haben. Wir Väter können eben nichts weiter tun, als unsere Kinder zu ordentlichen Menschen zu erziehen. Wenn das nicht gelingt, dann haben wir keine Schuld.
Heftig weinend verließ der alte Mann den Gerichtssaal. Den Angeklagten schien dieser dramatische Vorgang gar nicht zu berühren. Er hielt zum Schluß noch eine längere Verteidigungsrede, die eine gewisse Gewandtheit in gerichtlichen Dingen verriet. Unter großer Heiterkeit des überfüllten Zuhörerraums erinnerte er die Geschworenen an den juristischen Grundsatz: »In dubio proreo« und ersuchte sie, ihn nicht zum Tode zu verurteilen. Die Verhandlung ergab jedoch in unwiderleglicher Weise die volle Schuld des Angeklagten. Er wurde zum Tode verurteilt, und obwohl er noch im letzten Augenblick den Antrag stellte, seinen Freund Franz suchen zu dürfen, wurde er im Dezember 1906 auf dem Hofe des Potsdamer Gerichtsgebäudes hingerichtet.
Der Knabenmord in Xanten
Am Niederrhein, in nächster Nähe der holländischen Grenze, liegt, fern vom großen Weltverkehr, das kleine Städtchen Xanten. Die Bewohner des Städtchens führten im allgemeinen ein sehr beschauliches Dasein. Obwohl einige Industrie vorhanden, so waren Lohn-oder gar Klassenkämpfe in jener Gegend vollständig unbekannt. Aber auch vom Antisemitismus war in jener Gegend, in der die Bevölkerung überwiegend katholisch ist, nichts zu spüren. Die Katholiken lebten mit den wenigen Protestanten und Juden in voller Eintracht. Dieses idyllische Bild erhielt plötzlich eine vollständige Veränderung. Am 29. Juni 1891 (Peter-Paulstag) gegen 6 1/2 Uhr abends wurde in der Scheune des Stadtverordneten Küppers in Xanten die Leiche des 5 1/2jährigen katholischen Knaben Johann Hegmann entdeckt. Dem Knaben war der Hals bis zum Rückenwirbel durchschnitten. Außerdem war am Kinn eine große Schnittwunde bemerkbar. Die Leiche lag auf Spreu. Die Händchen des ermordeten Kindes waren zusammengeballt und preßten Spreu und Mohnköpfe, die in der Scheune in großen Mengen umherlagen, fest zusammen. Die Nachricht von dem Morde verbreitete sich begreiflicherweise mit Windeseile im Städtchen. Sehr bald wurde die Behauptung laut: der Knabe sei von den Juden zu rituellen Zwecken geschlachtet worden, denn die Juden haben für ihre Osterkuchen (Mazzes) Christenblut nötig. Einer der Hauptrufer war der Handelsmann, ehemalige Metzgermeister Junkermann. Dieser behauptete mit großer Entschiedenheit: es liege ein Ritual mord vor, denn einmal wisse er von seinem Sohne, »dem Doktor«, daß die Juden zu rituellen Zwecken Christenblut nötig haben und andererseits kenne er als ehemaliger Metzgermeister den Schächtschnitt ganz genau. Er habe sich das ermordete Kind angesehen, danach sei er überzeugt, daß ein Ritualmord vorliege.
Der Verdacht der Täterschaft lenkte sich sofort auf den ehemaligen Schächter der Xantener jüdischen Gemeinde: Adolf Wolff Buschhoff. Dieser hatte dicht neben der Küppersschen Scheune eine Fleischhandlung. Der Ermordete, ein hübscher, munterer Knabe, wurde bereits gegen 10 1/2 Uhr vormittags vermißt. Er soll kurze Zeit vorher vor dem Buschhoffschen Laden mit anderen Kindern gespielt haben. Ein dem Trunke ergebener Mann von 68 Jahren, namens Mölders, und der zehnjährige Knabe Gerhard Heister wollten gesehen haben, daß der kleine Hegmann in den Buschhoffschen Laden gezogen worden sei. Andere Leute wollten gesehen haben, daß Frau Buschhoff und ihre Tochter Hermine den Knaben ins Haus gerufen haben. Man wollte auch gesehen haben, daß am Nachmittag des 29. Juni Hermine Buschhoff einen schweren Gegenstand, den sie in ein Tuch eingehüllt hatte, in die Küpperssche Scheune getragen habe. Ein Jude, namens Isaak, habe in einem benachbarten Garten gestanden und der Hermine durch einen Wink das Zeichen gegeben, daß sie nicht beobachtet werde. Dr. med. Steiner, der die Leiche des Ermordeten kurze Zeit nach der Auffindung untersucht, behauptete: es sei nicht soviel Blut vorhanden gewesen, als man nach Art des Schnittes hätte finden müssen. Er sei der Ansicht, in der Scheune habe nur eine Nachblutung stattgefunden, der Mord sei nicht in der Scheune geschehen. Es wurde auch behauptet: der kleine Hegmann habe dem Buschhoff einen Grabstein beschädigt. (Buschhoff beschäftigte sich auch mit der Herstellung von Grabsteinen.) Buschhoff habe deshalb den Knaben heftig geschlagen, so daß er in Starrkrampf verfallen sei. Daraufhin habe er den Knaben geschlachtet, das Blut in einem Gefäß aufgefangen und den Leichnam von seiner Tochter in die Scheune tragen lassen. Mehreren Leuten fiel auch das Benehmen Buschhoffs auf. Als die Nachricht von der Auffindung der Leiche in Xanten bekannt wurde, befand sich Buschhoff in einem Restaurant. Er soll, als er von der Auffindung der Leiche hörte, sehr erschrocken sein. Auch soll es aufgefallen sein, daß er an jenem Tage nicht so lebhaft wie sonst »diskutiert« habe. Eine Frau wollte gesehen haben, daß, als Buschhoff nach Bekanntwerden des Mordes nach Hause ging, sein dreizehnjähriger Sohn Siegmund ihm etwas ins Ohr sagte. Buschhoff soll darauf versetzt haben: »es wird ja nicht auskommen«. Diese Frau blieb auch in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht zu Kleve bei ihrer Behauptung, obwohl ihr vorgehalten wurde, daß Buschhoff sehr schwerhörig sei, so daß man ihm unmöglich etwas ins Ohr flüstern konnte. Buschhoff weigerte sich auch, in die Scheune zu gehen, in der der ermordete Knabe lag. Er gehörte nämlich dem jüdischen Priesterstamme an. Den Angehörigen dieses Stammes ist es nach den Vorschriften des Alten Testaments verboten, in einen Raum zu gehen, in dem Tote liegen. Nur wenn es sich um Blutsverwandte handelt, darf der Raum betreten werden. Die Weigerung des Buschhoff, in die Scheune zu gehen und sich den ermordeten Knaben anzusehen, wurde selbstverständlich als Schuldbewußtsein aufgefaßt. Die Behauptung, die Juden haben den Knaben zu rituellen Zwecken geschlachtet, verbreitete sich immer mehr im Städtchen, und ehe man es sich versah, war in den Straßen Xantens ein Judenkrawall ausgebrochen. Die Wohnungen und Läden der Juden wurden mit Steinen bombardiert, die Juden auf offener Straße unter Hepp-Hepp-Geschrei mißhandelt. Am schlimmsten erging es der Familie Buschhoff. Diese mußte vor der Wut des Pöbels flüchten. Der