Vater Goriot. Honore de Balzac

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Vater Goriot - Honore de Balzac

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die Wunder hervorbringt, wenn sie ihren geraden Weg geht.

      »Mein Herr,« sagte der Kammerdiener, »die gnädige Frau befindet sich in ihrem Boudoir und ist sehr beschäftigt, sie hat mir gar nicht geantwortet; wenn der Herr aber in den Salon gehen wollen … ? Dort wartet schon jemand.«

      In stiller Bewunderung der furchtbaren Macht jener Leute, die mit einem einzigen Wort ihre Herrschaft anklagen oder richten, öffnete Rastignac entschlossen die Tür, durch die der Kammerdiener vorhin hinausgegangen war; er wollte den anmaßenden Bedientenseelen zeigen, daß er hier im Hause bekannt sei. Aber zu seiner großen Bestürzung geriet er in einen Raum, wo er nur ein paar Tische und Lampen, Wannen und Badetücher gewahrte und der geradeswegs auf einen dunklen Gang und eine Geheimtreppe führte. Das unterdrückte Gelächter, das aus dem Vorzimmer drang, steigerte seine Verwirrung aufs höchste.

      »Mein Herr, der Salon ist hier«, sagte der Kammerdiener mit jener betonten Höflichkeit, die wie Spott wirkt.

      Eugen kehrte so eilig um, daß er gegen eine Badewanne rannte; aber er hatte noch Zeit genug, seinen Hut festzuhalten, der ins Badewasser zu stürzen drohte. Im selben Augenblick öffnete sich am Ende des langen Ganges, den ein Lämpchen erhellte, eine Tür, und Rastignac vernahm die Stimme der Frau von Restaud und Vater Goriots und das Geräusch eines Kusses. Er folgte dem Kammerdiener durch den Speisesaal und kam in einen ersten Salon, wo er sofort ans Fenster trat, das auf den Hof führte. Er wollte sehen, ob dieser Vater Goriot wirklich und leibhaftig sein Vater Goriot sei. Sein Herz schlug wild, er entsann sich der gräßlichen Äußerungen Vautrins. Der Kammerdiener erwartete Eugen an der Tür des Salons; diese öffnete sich plötzlich, ein eleganter junger Mann trat heraus und sagte ungeduldig: »Ich gehe, Maurice. Sie werden der Frau Gräfin sagen, daß ich länger als eine halbe Stunde gewartet habe.«

      Der Unverschämte, der zweifellos das Recht hatte, es zu sein, trällerte ein paar italienische Triller und begab sich an das Fenster, an dem Eugen stand, sowohl um dessen Gesicht zu sehen, wie auch um in den Hof hinabzublicken.

      »Aber der Herr Graf täten besser, noch einen Augenblick zu warten; die gnädige Frau ist fertig«, sagte Maurice, ins Vorzimmer zurückkehrend.

      Jetzt trat unten am Ausgang der kleinen Treppe Vater Goriot heraus. Der Alte hob seinen Regenschirm und machte sich daran, ihn aufzuspannen, ohne darauf zu achten, daß das große Tor geöffnet war, um einen ordengeschmückten jungen Mann einzulassen, der einen Tilbury lenkte. Vater Goriot hatte nur Zeit, sich zurückzuwerfen, um nicht überfahren zu werden. Der geöffnete Regenschirm hatte das Pferd erschreckt, das einen kleinen Satz nach der Freitreppe hin machte. Der junge Mann wendete zornig den Kopf, gewahrte Vater Goriot und grüßte ihn, ehe er draußen war. Es war ein Gruß voll erzwungener Achtung, wie man ihn etwa einem Wucherer bietet, dessen man bedarf, oder einem übel beleumundeten Manne, ein Gruß, über den man hinterher errötet. Vater Goriot dankte mit einem kleinen, freundschaftlichen, gutmütigen Nicken. Das ganze Ereignis hatte sich in wenigen Minuten abgespielt. Eugen, der aufmerksam hinabblickte und gar nicht gewahrte, daß er nicht allein war, vernahm plötzlich die Stimme der Gräfin.

      »Ach, Maxime, Sie gehen?« sagte sie vorwurfsvoll und ein wenig ärgerlich.

      Die Gräfin hatte das Einfahren des Tilburys nicht bemerkt. Rastignac drehte sich rasch um und erblickte Frau von Restaud. Sie hatte einen koketten Morgenrock aus weißem Kaschmir mit rosa Schleifen an. Die Haare waren, wie bei den Pariser Frauen des Morgens üblich, nur lose aufgesteckt. Sie strömte Wohlgerüche aus, sie hatte anscheinend ein Bad genommen, und ihre dadurch gewissermaßen geschmeidige Schönheit schien um so sinnlicher; ihre Augen waren feucht. Die Blicke junger Männer sehen alles: ihre Geisteskräfte entfalten sich in den Strahlen einer Frau wie eine Pflanze in Luft und Sonne. Eugen fühlte also, auch ohne sie zu berühren, wie köstlich frisch die Hände dieser Frau sein mußten. Er sah durch den leichten Kaschmir die rosigen Töne des Busens, den der offene Morgenrock zuweilen entblößte und auf den seine Blicke sich selig niederließen. Die Gräfin bedurfte keines Korsetts, der Gürtel allein bezeichnete ihre biegsame Taille, ihr Nacken verlockte zur Liebe, ihre Füße sahen in den zierlichen Pantoffeln allerliebst aus. Als Maxime nun jene schöne Hand ergriff, um sie zu küssen, wurde Eugen seiner gewahr, und gleichzeitig bemerkte die Gräfin Eugen.

      »Ah, Sie sind es, Herr von Rastignac! Es freut mich, Sie zu sehen«, sagte sie mit einer Miene, der verständnisvolle Leute zu gehorchen wissen.

      Maxime blickte abwechselnd auf Eugen und die Gräfin, mit einem Gesichtsausdruck, der bezeichnend genug war: ›Ah, zum Teufel, meine Liebe, ich hoffe, du setzt den kleinen Narren schleunigst vor die Tür!‹

      Dieser Satz wäre eine klare und verständliche Übersetzung der Blicke des unverschämt anmaßenden jungen Mannes, den die Gräfin Anastasia Maxime genannt hatte und dessen Gesichtsausdruck sie mit einer unterwürfigen Aufmerksamkeit studierte, die alle Geheimnisse einer Frau verrät, ohne daß sie selbst es ahnt. Rastignac empfand einen wütenden Haß gegen diesen jungen Mann. Zunächst wies ihn das schöne, wohlgepflegte Blondhaar Maximes auf den schlechten Zustand seiner eigenen Frisur hin; ferner hatte Maxime feines und sauberes Schuhzeug, während seine Schuhe trotz aller darauf verwendeten Vorsicht eine leichte Staubschicht aufwiesen; und endlich trug dieser Maxime einen anliegenden Rock, der seine hübsche Gestalt eng umschloß, während Eugen jetzt, um halb drei, im einfachen schwarzen Anzug war. Das geistreiche Kind der Charente fühlte die Überlegenheit, die dem Dandy sein Äußeres gewährte, und er haßte diesen hohen, schlanken jungen Mann mit dem klaren Auge, dem blassen Teint und dem brutalen Gesichtsausdruck.

      Ohne Eugens Antwort abzuwarten, enteilte Frau von Restaud in den benachbarten Salon. Die weiten Ärmel ihres Schlafrockes flatterten hinter ihr drein, schlugen sich auf und wieder zusammen wie Schmetterlingsflügel. Maxime folgte. Eugen, wütend, folgte Maxime und der Gräfin. Alle drei fanden sich also im großen Salon vor dem Kamin wieder zusammen. Der Student wußte wohl, daß er dem verhaßten Maxime im Wege war; aber selbst auf die Gefahr hin, Frau von Restaud zu mißfallen, wollte er dem Dandy im Wege sein. Plötzlich erinnerte er sich, den jungen Mann auf dem Ball der Frau von Beauséant gesehen zu haben, und erriet, was Maxime der Frau von Restaud bedeute; aber mit jener jugendlichen Kühnheit, die große Dummheiten begeht oder zu großen Erfolgen führt, sagte er sich: ›Da hätte ich also meinen Nebenbuhler, ich will ihn aus dem Felde schlagen!‹

      Der Unkluge! Er wußte nicht, daß Graf Maxime von Trailles sich beleidigen ließ, um den ersten Schuß zu haben und seinen Mann zu töten. Eugen war ein gewandter Schütze, aber er hatte noch niemals bei zweiundzwanzig Schuß zwanzigmal ins Schwarze getroffen.

      Der junge Graf warf sich neben dem Kamin in einen Sessel, nahm die Feuerzange und stocherte damit so heftig und ergrimmt in der Glut, daß das schöne Gesicht Anastasias einen bekümmerten Ausdruck annahm. Das junge Weib wendete sich zu Eugen und warf ihm einen jener kalten, fragenden Blicke zu, die so deutlich sagen: ›Warum gehen Sie nicht?‹, daß wohlerzogene Leute daraufhin sofort ein paar ›Abgangssätze‹ zu stammeln pflegen.

      Eugen setzte eine liebenswürdige Miene auf und sagte: »Gnädige Frau, ich beeile mich, Sie zu besuchen, um … «

      Er stockte. Eine Tür öffnete sich. Der Herr, der den Tilbury gelenkt hatte, zeigte sich plötzlich, ohne Hut, begrüßte die Gräfin nicht, blickte Eugen mißtrauisch an und reichte Maxime die Hand mit einem »Guten Tag«, das so brüderlich klang, daß Eugen sich höchlich darüber verwunderte. Die jungen Leute aus der Provinz wissen nicht, wie angenehm das Leben zu dritt ist.

      »Herr von Restaud«, sagte die Gräfin, indem sie dem Studenten ihren Gatten vorstellte. Eugen verbeugte sich tief.

      »Der Herr hier«, fuhr sie, auf Eugen zeigend, fort, »ist Herr von Rastignac, ein Verwandter der Vicomtesse von Beauséant durch die Marcillacs; ich hatte das Vergnügen, ihn auf ihrem letzten Balle kennen zu lernen.« ›Verwandter der Vicomtesse

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