Vater Goriot. Honore de Balzac
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Vater Goriot - Honore de Balzac страница 11
»Nun also,« sagte Frau Vauquer, »wo bleibt denn Ihr Abenteuer? Haben Sie sie gesprochen? Haben Sie sie gefragt, ob sie vielleicht die Rechte studieren wolle?« »Sie hat mich nicht gesehen«, sagte der Student. »Aber ist es nicht seltsam genug, morgens um neun Uhr in der Rue des Grès einer der schönsten Frauen von Paris zu begegnen, einer Frau, die erst um zwei Uhr vom Balle heimgekommen sein konnte? Solche Abenteuer sind nur in Paris möglich!« »Pah, es gibt noch ganz andere!« rief Vautrin.
Fräulein Taillefer hatte kaum zugehört, so sehr waren ihre Gedanken bei dem schweren Gang, den sie heute zu machen hatte. Frau Couture machte ihr ein Zeichen, aufzustehen, um sich anzukleiden. Als die beiden Damen hinausgingen, schloß Goriot sich ihnen an.
»Nun, haben Sie ihn gesehen?« sagte Frau Vauquer zu Vautrin und ihren Pensionären. »Es ist klar, daß er sich für seine Damen ruiniert hat.« »Niemals wird man mich glauben machen, daß die schöne Gräfin von Restaud dem Vater Goriot gehört!« rief der Student. »Aber«, unterbrach ihn Vautrin, »wir haben auch gar nicht die Absicht, Sie davon zu überzeugen. Sie sind noch zu jung, Paris gut zu kennen; später einmal werden Sie wissen, daß bei uns auch alte Leute ihre Leidenschaften haben.«
Fräulein Michonneau sah Vautrin verständnisvoll an, man hätte sagen können, wie ein Regimentspferd beim Klange des Trompetensignals aufschaut.
»Ha,« unterbrach sich Vautrin, um ihr einen tiefen Blick zuzuwerfen, »haben denn nicht auch wir unsere kleinen Leidenschaften gehabt?«
Die alte Jungfer senkte den Blick, wie eine Nonne vor antiken Statuen.
»Also,« fuhr er fort, »solche Leute setzen sich etwas in den Kopf und lassen nicht mehr davon ab. Sie haben Durst nur nach einem bestimmten Wasser aus einer bestimmten Quelle, die oft recht trübe ist; um davon zu trinken, würden sie ihre Frauen, ihre Kinder verkaufen; sie würden selbst ihre Seele dem Teufel verschreiben. Für die einen ist dieser Quell das Spiel, die Börse, eine Bilder- oder Insektensammlung, die Musik; für die andern ist es ein Weib, das ihnen besondere Genüsse zu reichen weiß. Ihnen könnten Sie alle Frauen der Erde bieten, sie würden sie verachten; sie wollen nur jene, die ihre Leidenschaft befriedigt. Oft mag das betreffende Weib sie gar nicht, behandelt sie hart, verkauft ihnen gar teuer die Brocken der Liebe; doch diese Narren lassen nicht ab und würden ihre letzte Decke zum Leihhaus tragen, um ihr den letzten Taler zu bringen. Der Vater Goriot ist einer jener Leute. Die Gräfin beutet ihn aus, weil er verschwiegen ist; und da haben wir das Elend! Der arme Alte denkt nur an sie. Abgesehen von dieser Leidenschaft ist er ein einfältiges Tier, – Sie sehen es ja. Bringen Sie ihn aber auf das betreffende Kapitel, so erhellt sich sein Gesicht wie ein Diamant. Es ist nicht schwer, hinter das Geheimnis zu kommen. Er hat heute Silbersachen zum Einschmelzen verkauft, und später habe ich ihn zu Papa Gobseck, Rue des Grès, hineingehen sehen. Merken Sie auf! Heimgekehrt, hat er den Esel, den Christoph, zur Gräfin Restaud geschickt; der hat uns die Aufschrift des Briefes, in dem sich ein eingelöster Wechsel befand, sehen lassen. Es ist klar, daß die Sache sehr dringend war, da die Gräfin ebenfalls den Wucherer aufgesucht hat. Vater Goriot hat galant für sie bezahlt. Man braucht nicht lange zu tüfteln, um hierin klar zu sehen. Das beweist Ihnen, mein junger Student, daß Ihre Gräfin, während sie lachte, tanzte, Grimassen schnitt, ihre Pfirsichblüten schwenkte und ihr Kleid raffte, recht arg der Schuh drückte, wie man sagt, im Gedanken an ihren fälligen Wechsel oder den ihres Liebhabers.« »Sie machen mich unglaublich begierig, die Wahrheit zu erfahren. Ich gehe morgen zu Frau von Restaud«, rief Eugen. »Ja,« sagte Poiret, »gehen Sie morgen zu Frau von Restaud!« »Sie treffen dort vielleicht Goriot, den Biedermann, der für seine Galanterie die Zinsen einzuheimsen sucht«, bemerkte Vautrin. »Aber«, fragte Eugen voller Ekel, »ist denn Ihr Paris ein Mistpfuhl?« »Und ein recht seltsamer dazu«, entgegnete Vautrin. »Die, die sich zu Wagen darin beschmutzen, sind geachtete Leute, aber die, die sich zu Fuß beschmutzen, sind Schurken. Haben Sie Unglück, bringen Sie irgendeine Kleinigkeit beiseite, so stellt man Sie vor dem Justizpalast zur Schau wie ein sehenswürdiges Ungeheuer. Stehlen Sie eine Million, so preist man Sie in den Salons als Tugendbold. Man zahlt dreißig Millionen an die Gendarmerie und Gerichtsbarkeit, um diese Moral aufrecht zu erhalten … Hübsch!« »Wie,« rief Frau Vauquer, »Vater Goriot sollte sein silbernes Service zum Einschmelzen gebracht haben?« »Sind nicht zwei Tauben auf dem Kannendeckel?« fragte Eugen. »Ja, ganz recht.« »Er muß sehr daran gehangen haben; er weinte, als er Kanne und Schüssel zusammendrückte. Ich sah es zufällig«, bemerkte Eugen. »Er hütete es wie seinen Augapfel«, erwiderte die Witwe. »Sehen Sie, wie er in seine Leidenschaft verrannt ist!« rief Vautrin. »Dieses Weib versteht es, ihm die Seele zu kitzeln.«
Der Student ging in sein Zimmer hinauf. Vautrin ging aus. Einige Augenblicke später stiegen Frau Couture und Viktorine in einen Wagen, den Sylvia ihnen geholt hatte. Poiret bot Fräulein Michonneau den Arm, und beide begaben sich für die zwei Sonnenstunden des Tages in den Botanischen Garten.
»Seht, seht, da hätten wir sie ja so gut wie verheiratet«, sagte die dicke Sylvia. »Sie gehen heute zum er sten Mal zusammen aus. Sie sind beide so dürr, daß sie sich nicht aneinander stoßen dürfen, sonst flammen sie auf wie Zunder.« »Fräulein Michonneaus Schal ist ja allein schon der reinste Zunder«, lachte Frau Vauquer.
Um vier Uhr nachmittags, als Goriot heimkehrte, gewahrte er beim Scheine zweier qualmender Lampen, daß Viktorines Augen gerötet waren. Frau Vauquer ließ sich den Hergang des dem Herrn Taillefer am Vormittag abgestatteten fruchtlosen Besuches berichten. Taillefer, den die Behaglichkeit der Frauen ärgerte, hatte sie endlich empfangen, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
»Meine Liebe,« sagte Frau Couture zu Frau Vauquer, »stellen Sie sich vor, daß er Viktorine nicht einmal einen Stuhl anbot; sie mußte die ganze Zeit stehen. Mir sagte er ganz einfach, ohne sich im geringsten aufzuregen, wir möchten uns künftig doch die Mühe dieser Besuche sparen. Das Fräulein – so nannte er seine Tochter – schade sich nur in seinen Augen, wenn sie ihn so belästige (einmal im Jahr, so ein Ungeheuer!); sie habe übrigens gar nicht das Recht, Ansprüche zu stellen, da ihre Mutter bei der Heirat vermögenslos gewesen sei. Er sagte die härtesten Dinge, so daß die arme Kleine in Tränen hinschmolz. Sie hat sich ihm dann zu Füßen geworfen und mutig gesagt, daß sie nur um der Mutter willen darauf bestanden habe, ihn zu sprechen, daß sie seinen Befehlen widerstandslos gehorchen wolle, daß sie ihn aber anflehe, den letzten Willen der armen Verstorbenen zu lesen. Sie nahm den Brief und hielt ihn ihm hin und sagte die schönsten und gefühlvollsten Dinge von der Welt, – ich weiß nicht, wo sie sie hernahm, Gott hat sie ihr eingegeben, denn das arme Mädchen sprach so ergreifend, daß ich weinte wie ein Schloßhund, als ich sie hörte. Wissen Sie, was er tat, dieses Scheusal von Mann? Er beschnitt sich die Nägel! Er nahm den Brief, den die arme Frau Taillefer mit so viel Tränen getränkt hat, und warf ihn auf den Kaminsims. ›Es ist gut‹, sagte er und wollte seiner Tochter aufhelfen; sie griff nach seinen Händen, um sie zu küssen, aber er zog sie zurück. Ist das nicht eine Schurkerei? Der große Tölpel, sein Sohn, trat ein, ohne seine Schwester zu begrüßen.« »Sind das denn Ungeheuer?« rief Vater Goriot aus. »Und dann«, fuhr Frau Couture fort, ohne den Ausruf des Alten zu beachten, »sind Vater und Sohn gegangen, indem sie mich baten, sie zu entschuldigen; sie hätten eilige Geschäfte. Das war alles! Wenigstens hat er endlich seine Tochter gesehen. Ich begreife nicht, wie er sie verleugnen kann; sie gleicht ihm wie ein Wassertropfen dem anderen.«
Pensionäre und Kostgänger trafen jetzt nach und nach ein; sie begrüßten sich gegenseitig und sagten einander jene Nichtigkeiten, die in gewissen Pariser Gesellschaftsklassen den Humor vertreten, alberne Dummheiten, deren Wert lediglich auf einer Geste oder einer bestimmten Betonung beruht. Solche Scherzreden wechseln oft, leben kaum einen Monat lang. Ein politisches Ereignis, ein Skandalprozeß, ein Gassenhauer, das Witzwort eines Schauspielers, – alles liefert den Stoff zu diesem geistvollen Spiel, das hauptsächlich darin besteht, Äußerungen aufzufangen und weiterzugeben wie Federbälle. Die kürzlich erfolgte Erfindung des Dioramas, das in weit vollkommenerem Maße als das Panorama eine