Der Horla. Guy de Maupassant

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Der Horla - Guy de Maupassant

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es gut. Ich habe nur große Angst, daß es wieder kommt!«

      4. Juli. – Ich bin wirklich von neuem krank, das alte Alpdrücken kehrt wieder. Diese Nacht habe ich gefühlt, wie jemand auf mir saß, seinen Mund an den meinen gepreßt hatte und mir zwischen den Lippen heraus das Leben sog. Ja, er sog es mir aus der Brust wie ein Blutegel. Dann stand er auf gesättigt. Ich bin aufgewacht, so kaput, zerbrochen, zergeschlagen, daß ich mich nicht mehr bewegen konnte. Wenn es so noch ein Paar Tage fortgeht reise ich bestimmt wieder ab.

      5. Juli. – Habe ich denn den Verstand verloren? Was ist nur geschehen? Ich habe die letzte Nacht etwas so Seltsames entdeckt, daß mir ganz schwindlig wird, wenn ich nur daran denke.

      Wie jetzt jeden Abend schloß ich die Thür zu, dann trank ich, da ich Durst hatte, ein halbes Glas Wasser und bemerkte dabei zufällig, daß meine Wasserflasche voll war bis oben zum Stöpsel hinauf.

      Da legte ich mich zu Bett und fiel in meinen fürchterlichen Schlaf, aus dem ich nach etwa zwei Stunden durch einen noch furchtbareren Schreck in die Höhe gejagt ward. Denkt euch, daß jemand im Schlaf überfallen wird, der dann aufwacht mit dem Messer in der Brust, der, Blut bedeckt, röchelt, nicht mehr atmen kann und stirbt ohne zu wissen was geschehen – so habt ihr meinen Zustand.

      Als ich endlich die Besinnung zurück gewonnen hatte, war ich wieder durstig. Ich steckte ein Licht an und ging zum Tisch, wo die Wasserflasche stand. Ich hob sie, neigte sie zum Glase, es floß kein Tropfen heraus, – sie war leer, sie war völlig leer. Zuerst verstand ich das nicht, dann plötzlich überfiel mich eine so wahnsinnige Angst, daß ich mich setzen mußte oder vielmehr, ich fiel in einen Stuhl, dann sprang ich mit einem Satze wieder auf, um mich umzublicken und setzte mich wieder, ergriffen von Staunen und Angst, vor die leere Flasche. Mit starren Augen blickte ich sie an, um zu erraten, was da geschehen. Meine Hände zitterten. Jemand hatte also das Wasser getrunken. Wer? Ich? Wahrscheinlich ich, es konnte niemand anders sein wie ich.

      Ich war also ein Nachtwandler? Ich lebte, ohne es zu wissen, dieses geheimnisvolle Doppelleben, das uns Zweifel erwecken muß, ob es nicht in uns zwei Wesen giebt oder ob nicht zeitweise ein anderes, fremdes unbekanntes und unsichtbares Wesen in uns lebt, in Augenblicken, wo unsere Seele schlummert, unser Leib in Banden liegt, der diesem anderen Wesen gehorcht wie uns selbst, ja mehr als uns selbst.

      O, wer kann meine furchtbare Angst fassen, wer kann die Erregung eines Menschen fassen, der bei gesunden Sinnen, vollkommen wach und bei klarer Vernunft mit Entsetzen sieht, wie aus einer geschlossenen Flasche, zu der niemand kann, etwas Wasser verschwunden ist, während er geschlafen hat! Bis zu Tagesanbruch blieb ich so und wagte nicht wieder zu Bett zu gehen.

      6. Juli. – Ich werde verrückt. Diese Nacht hat wieder jemand meine ganze Wasserflasche ausgetrunken oder vielmehr ich habe sie ausgetrunken! Aber bin ich's? War ich's? Wer sonst? Wer? O mein Gott! Ich bin wahnsinnig! Wer wird mich retten!

      10. Juli. – Ich habe wundersame Entdeckungen gemacht.

      Ja, ich muß verrückt sein! . . . Und dennoch . . .

      Ich habe am 6. Juli, ehe ich zu Bett gegangen bin, auf meinen Tisch Wein, Milch, Wasser, Brot und Erdbeeren gestellt.

      Jemand hat – ich habe – alles Wasser getrunken und ein bißchen Milch; der Wein war unberührt, ebenso das Brot und die Erdbeeren.

      Am 7. Juli habe ich denselben Versuch wiederholt mit dem gleichen Ergebnis.

      Am 8. Juli habe ich Wasser und Milch fortgelassen, es war nichts berührt.

      Endlich habe ich am 9. Juli auf meinen Tisch wieder nur Wasser und Milch gestellt, habe sorgfältig die Flaschen in weißen Mousselin eingewickelt und die Stöpsel zugebunden. Dann habe ich mir Lippen, Bart, Hände, mit Graphit vom Bleistift eingerieben und mich zu Bett gelegt.

      Der bleierne Schlaf hat mich überfallen und bald kam das fürchterliche Erwachen. Ich hatte mich nicht bewegt, sogar meine Bettücher zeigten keine Spuren, daß der Graphit abgefärbt. Ich stürzte auf den Tisch zu, der Mousselin, in den ich die Flaschen gewickelt, war unverletzt. Ich knüpfte den Bindfaden auf, zitternd vor Angst. Das ganze Wasser war ausgetrunken und die ganze Milch. O, mein Gott!

      Ich werde sofort nach Paris reisen.

      12. Juli. – Paris. – Ich hatte also diese letzten Tage völlig den Kopf verloren. Ich muß der Spielball meiner nervös überreizten Einbildungskraft gewesen sein, oder ich müßte wirklich Nachtwandler sein oder einer jener, übrigens wissenschaftlich durchaus festgestellten, Einwirkungen unterlegen sein, die man bisher nicht hat erklären können und die man Suggestion nennt. Jedenfalls näherte sich meine verrückte Stimmung dem Wahnsinn und vierundzwanzig Stunden in Paris haben mich wieder zur Vernunft gebracht.

      Gestern habe ich, nachdem ich nachmittags Besuche und Besorgungen gemacht, die mir frische, belebende Luft in die Seele trugen, den Tag im Theater Français beschlossen. Man spielte ein Stück von Alexander Dumas dem jüngeren, und der muntere, lebenskräftige Geist der daraus wehte hat mich vollkommen wieder geheilt. Die Einsamkeit ist eben gefährlich für einen Grübler! Wir brauchen Menschen um uns, die denken und sprechen. Wenn wir lange allein sind, bevölkern wir die Einsamkeit mit Spukgestalten.

      Ich bin sehr fröhlicher Laune über die Boulevards ins Hotel zurückgekehrt. Im Menschen-Gewühl dachte ich mit einiger Ironie an meine Schrecknisse zurück, an die Gedanken, denen ich vorige Woche nachgehangen. Denn ich dachte wirklich, jawohl, ich habe es gedacht, daß ein unsichtbarer Geist neben mir unter meinem Dach lebte. Wie schwach ist unser Verstand! Wie schnell verliert er sich, sobald uns irgend ein kleines, nicht gleich faßbares Ereignis begegnet!

      Statt den Schluß zu ziehen, ich verstehe nicht, weil ich die Ursache nicht kenne, denken wir sofort an gräßliche Wunder und übernatürliche Mächte.

      14. Juli. – Fest der Republik. – Ich bin auf den Straßen spazieren gegangen. Die Kanonenschläge und Fahnen machten mir Spaß, wie einem Kinde. Es ist doch eigentlich zu thöricht, zu einem bestimmten Termin auf Befehl der Regierung lustig zu sein. Das Volk ist eine Herde von Dummköpfen, manchmal unglaublich geduldig und manchmal empört wie wilde Tiere. Man spricht zu ihm: Lache! und es lacht; man sagt zu ihm: schlage dich mit deinem Nachbar – es zieht in den Kampf. Man sagt: Wähle den Kaiser – es wählt den Kaiser, und dann sagt man ihm wieder: gieb für die Republik deine Stimme ab, – und es stimmt für die Republik.

      Die Menschen, die das Volk leiten, sind ebenso dumm, nur daß sie statt Menschen zu gehorchen, Grundsätzen folgen, die doch nicht anders als thöricht und falsch sein können, gerade, weil sie eben Grundsätze sind, das heißt, versteinerte, fest stehende Gedanken, die allgemein anerkannt sind in dieser Welt, wo man nichts sicher weiß, wie Licht und Schall nur Vorstellungen von uns sind.

      16. Juli. – Ich habe gestern Dinge erlebt, die mich tief ergriffen haben.

      Ich aß bei meiner Cousine, Frau Sablé, deren Mann Kommandeur der sechsundsiebzigsten Jäger in Limoges ist. Ich traf bei ihr mit zwei jungen Frauen zusammen, deren eine einen Arzt geheiratet hat, Dr. Parent, der sich vielfach mit Störungen des Nervensystems und jenen außergewöhnlichen Manifestationen der Nerven beschäftigt, zu denen augenblicklich die Erfahrungen auf dem Gebiete des Hypnotismus und der Suggestion Veranlassung geben.

      Er erzählte uns ausführlich ganz wundersame Ergebnisse, die englische Gelehrte und Ärzte in Nancy erzielt.

      Die Thatsachen, die er mitteilte, erschienen mir so seltsam, daß ich meiner Ungläubigkeit Ausdruck gab.

      »Wir sind eben dabei«, sagte er, »eines der wichtigsten Geheimnisse der Natur zu ergründen, ich meine eins ihrer wichtigsten

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