Der Horla. Guy de Maupassant

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Der Horla - Guy de Maupassant

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ausdrücken und niederschreiben kann, fühlt er ein Geheimnis um sich, das er mit seinen unvollkommenen und viel zu grob empfindenden Sinnen nicht zu durchdringen vermag. Mit Anspannung aller Verstandeskräfte sucht er dem Unvermögen seiner Organe zu Hilfe zu kommen. Als dieser Verstand noch im rudimentären Zustand war, nahmen diese unsichtbaren Erscheinungen lächerliche schreckliche Formen an. Damals entstanden der Volksglaube an das Übernatürliche, Märchen von umherspukenden Geistern, von Feen, Gnomen Gespenstern, ich meine sogar das Märchen von Gott, denn unsere Vorstellung vom Schöpfer der Welt, sei es nun in dieser oder jener Religion, ist eigentlich nichts weiter, als eine recht mittelmäßige Erfindung und der thörichtste unannehmbarste Ausfluß des geängstigten Hirnes der Kreatur. Es giebt kein wahreres Wort, als was Voltaire einmal gesagt hat: Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbilde geschaffen, doch der Mensch hat's ihm wohl vergolten.

      Aber seit länger als einem Jahrhundert meint man etwas ganz Neuem auf der Spur zu sein. Mesmer und einige andere haben uns einen ganz unerwarteten Weg gewiesen und wir sind wirklich, besonders seit vier oder fünf Jahren, zu ganz erstaunlichen Ergebnissen gelangt.«

      Meine Cousine lächelte auch sehr ungläubig, Dr. Parent sprach zu ihr:

      »Gnädige Frau, soll ich einmal versuchen, Sie einzuschläfern?«

      »Meinetwegen.«

      Sie setzte sich in einen Lehnstuhl und er begann sie starr anzublicken. Ich fühlte mich plötzlich erregt, das Herz schlug mir, die Kehle war mir wie zugeschnürt, ich sah, wie Frau Sablés Augenlieder schwer wurden, wie ihr Mund sich verzog, ihre Brust sich hob und senkte.

      Nach zehn Minuten schlief sie.

      »Stellen Sie sich hinter sie«, befahl der Arzt.

      Und ich blieb hinter ihr. Nun gab er ihr eine Visitenkarte in die Hand und sagte:

      »Dies ist ein Spiegel. Was sehen Sie darin?«

      Sie antwortete:

      »Ich sehe meinen Vetter.«

      »Was thut er?«

      »Er dreht sich den Schnurrbart.«

      »Und jetzt?«

      »Jetzt zieht er eine Photographie aus der Tasche.«

      »Was ist das für eine Photographie?«

      »Seine eigene!«

      Es war in der That so und diese Photographie war mir eben erst in's Hotel abgeliefert worden.

      »Welche Stellung hat er auf dem Bilde?«

      »Er steht aufrecht und hat den Hut in der Hand.«

      Sie sah also in dieser Visitenkarte, in diesem weißen Cartonblättchen wie in einem Spiegel.

      Die jungen Frauen waren entsetzt und riefen:

      »Genug! Genug!«

      Aber der Arzt befahl:

      »Sie werden morgen früh um acht Uhr aufstehen, dann werden Sie Ihren Vetter im Hotel aufsuchen und ihn anflehen, Ihnen fünftausend Franken zu borgen, um die Sie Ihr Mann bittet und die er von Ihnen zu seiner nächsten Reise verlangen wird.«

      Dann weckte er sie auf.

      Als ich ins Hotel zurückkehrte, dachte ich über diese wunderliche Sitzung nach und mich überkamen Zweifel, nicht an der absoluten, über allen Argwohn erhabenen Ehrlichkeit meiner Cousine, die ich wie eine Schwester von Kindheit an kannte, aber ich glaubte an einen möglichen Betrug des Arztes. Versteckte er nicht vielleicht in seiner Hand einen Spiegel, den er der eingeschläferten Frau gleichzeitig mit seiner Visitenkarte zeigte? Die Taschenspieler machen noch ganz andere Sachen.

      Ich kehrte also heim und ging zu Bett. Da wurde ich am nächsten Morgen gegen ein halb neun Uhr von meinem Diener geweckt, der mir sagte:

      »Frau Sablé möchte den gnädigen Herrn sofort sprechen.«

      Ich kleidete mich eilig an und empfing sie.

      Sie setzte sich in großer Verlegenheit, mit niedergeschlagenen Augen und sagte, ohne ihren Schleier abzulegen:

      »Lieber Vetter, Du mußt mir einen großen Dienst leisten.«

      »O, bitte, was denn?«

      »Es ist mir sehr unangenehm, Dir das zu sagen, aber ich muß Dirs sagen: ich muß durchaus fünftausend Franken haben.«

      »Was, Du?«

      »Jawohl, ich, oder vielmehr mein Mann, der mich beauftragt hat, sie aufzutreiben.«

      Ich war so erstaunt, daß ich nur irgend etwas stammelte. Ich fragte mich, ob sie sich nicht mit Dr. Parent über mich lustig mache, ob das nicht ein Scherz sei, den sie zusammen vorbereitet und den sie jetzt gut spielte.

      Aber wie ich sie aufmerksam anblickte, verschwanden alle meine Zweifel, sie zitterte vor Angst, so schmerzlich war ihr der Schritt und ich merkte, daß sie den Thränen nahe war.

      Ich wußte, daß sie sehr reich war und sagte:

      »Was, Dein Mann hat nicht einmal fünftausend Franken zur Verfügung? Denk doch einmal nach, weißt Du denn ganz bestimmt, daß er Dir das aufgetragen hat?«

      Sie zögerte ein paar Sekunden, als koste es sie große Anstrengungen in ihrem Gedächtnis zu suchen und antwortete dann:

      »Ja, das weiß ich ganz bestimmt.«

      »Hat er Dirs geschrieben?«

      Sie zögerte wieder und dachte nach. Ich merkte, welche Qual es ihrem Gehirn verursachte, sie wußte es nicht, sie wußte nur, daß sie fünftausend Franken für ihren Mann von mir borgen sollte. Sie wagte es also, zu lügen:

      »Ja, er hat mirs geschrieben.«

      »Wann denn? Du hast mir doch gestern nichts davon gesagt.«

      »Ich habe seinen Brief erst heute früh bekommen.«

      »Kannst Du ihn mir nicht zeigen?«

      »Nein, nein, er enthielt intime Dinge, ganz persönliche Dinge, ich habe – ich habe ihn verbrannt.«

      »Da macht Dein Mann also Schulden?«

      Sie zögerte wieder und sagte darauf:

      »Ich weiß nicht.«

      Ich erklärte energisch:

      »Es thut mir sehr leid, liebe Cousine, aber in diesem Augenblick stehen mir fünftausend Franken nicht zur Verfügung.«

      Sie stieß einen schmerzlichen Schrei aus:

      »Ach, ach ich bitte Dich, ich bitte Dich, treibe sie auf!«

      Sie wurde ganz erregt, rang die Hände, als wollte sie mich bitten und ich hörte, wie ihre Stimme den Ton wechselte. Sie fing an zu weinen und stammelte, gequält und beherrscht von dem unerbittlichen Befehle, den sie bekommen:

      »Ach,

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