Der Horla. Guy de Maupassant
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Horla - Guy de Maupassant страница 6
Und trotzdem überschlich mich allmählich ein unerklärliches Gefühl des Unbehagens, eine Gewalt überfiel mich, scheinbar eine geheime Kraft lähmte mich, daß ich nicht weiter gehen konnte, und zwang mich umzukehren. Ich empfand jenes schmerzliche Bedürfnis, nach Hause zu gehen, das einen manchmal überkommt, wenn man in der Wohnung einen geliebten Kranken zurückgelassen hat und man nun plötzlich ein Vorgefühl hat, als könnte er kränker werden.
Ich kehrte also gegen meinen Willen um, in der bestimmten Überzeugung, daß ich zu Hause irgend eine böse Nachricht vorfinden würde, einen Brief, oder ein Telegramm. Aber es war nichts da. Und ich war fast noch erstaunter und noch mehr beunruhigt, als ob ich irgend welche phantastische Visionen gehabt.
8. August. – Das war ein füchterlicher Abend gestern! Er zeigt nicht mehr seine Gegenwart an, aber ich fühle, daß er bei mir ist, mich belauert, mich betrachtet, mich durchdringt, mich beherrscht und noch fürchterlicher dadurch wird, daß er sich versteckt, fürchterlicher, als wenn er durch übernatürliche Erscheinungen seine unsichtbare Gegenwart anzeigte.
Und doch habe ich geschlafen.
9. August. – Nichts. Aber ich habe Angst.
10. August. – Nichts. Was wird morgen geschehen?
11. August. – Immer noch nichts, aber ich kann mit dieser Furcht unausgesetzt und diesem Gedanken in der Seele nicht mehr zu Hause bleiben; ich werde ausgehen.
12. August zehn Uhr abends. – Ich wollte den ganzen Tag fortgehen, ich konnte nicht, ich wollte diese einfache That der Befreiung, nämlich auszugehen, in den Wagen zu steigen und nach Rouen zu fahren, ausführen, aber ich konnte nicht. Warum?
13. August. – Wenn man von gewissen Krankheiten befallen wird, so ist es, als ob der ganze Körper zerbrochen wäre, als ob man keine Thatkraft mehr besäße, als ob alle Muskeln schlaff würden, die Knochen weich wie Fleisch und das Fleisch flüssig wie Wasser. Diesen selben Zustand fühle ich im Geiste auf seltsam-traurige Art. Ich habe keine Kraft mehr, keinen Mut, keine Selbstbeherrschung, keine Möglichkeit, meinen Willen auf irgend etwas zu konzentrieren, ich kann nicht mehr wollen, aber ein anderer will für mich und ich gehorche.
14. August. – Ich bin verloren. Jemand hat von meiner Seele Besitz ergriffen und beherrscht sie, jemand befiehlt alles, was ich thue, alle meine Bewegungen, alle meine Gedanken, ich bin nichts als »Ich«, ich bin nur ein gefesselter Zuschauer und sehe alles entsetzt mit an, was ich thue. Ich möchte ausgehen, ich kann nicht, er will es nicht, und ich bleibe zitternd in dem Stuhl sitzen in dem er befiehlt, daß ich sitzen soll. Ich möchte mich nur aufrichten, mich erheben, um mir selbst zu beweisen, daß ich noch Herr meiner selbst bin, ich kann nicht, ich bin an meinen Sitz genagelt und mein Sitz wieder klebt am Boden, daß keine Kraft der Erde uns aufheben könnte.
Dann plötzlich – plötzlich muß ich, muß ich in den Garten hinunter gehen, Erdbeeren pflücken und sie essen, und ich gehe, ich pflücke Erdbeeren und ich esse sie. O, mein Gott! Mein Gott! Mein Gott! Giebt es einen Gott? Wenn es einen giebt: Gott so erlöse mich! Rette mich! Habe Erbarmen mit mir und Mitleid! Rette mich! Nein, diese Leiden, diese Qualen, welch Entsetzen!
15. August. – So muß meine arme Cousine beherrscht gewesen sein, als sie zu mir kam, um die fünftausend Franken zu borgen. Ein anderer Wille war in sie hineingeschlüpft, dem sie gehorchen mußte, eine andere Seele, eine Seele wie eine überwuchernde Schmarotzerpflanze. Geht denn die Welt unter?
Aber wer beherrscht mich? Wer ist dieses unsichtbare Wesen, dieses Wesen, das ich nicht kenne, dieser Landstreicher aus übernatürlichem Stamm? Es giebt also Geister? Wie kommt es denn, daß sie sich seit Anbeginn der Welt noch nicht auf so klare Art gezeigt haben, wie sie mir erscheinen? Ich habe niemals etwas Ähnliches gelesen wie das, was bei mir vorgeht. O, wenn ich mein Haus verlassen könnte, wenn ich fortgehen könnte, fliehen und nie wiederkommen? Dann wäre ich gerettet. Aber ich kann nicht.
16. August. – Heute gelang es mir, zwei Stunden lang hinauszukommen, wie ein Gefangener, der zufällig die Thür seiner Zelle offen findet. Ich fühlte plötzlich, daß ich frei war, und er nicht da. Da habe ich Befehl gegeben, schnell anzuspannen und bin nach Rouen gefahren. O, welche Wonne, jemandem der wirklich gehorcht, befehlen zu können: »Fahren Sie nach Rouen!«
Vor der Bibliothek habe ich halten lassen und gebeten, man möchte mir die große Abhandlung des Dr. Hermann Herestauß über die unbekannten Bewohner der Welt im Altertum und in der Gegenwart geben.
Als ich dann wieder in meinen Wagen stieg, wollte ich sagen: zum Bahnhof. Und trotzdem habe ich geschrieen, nicht gesprochen, sondern geschrieen mit so lauter Stimme, daß die Vorübergehenden sich umdrehten: nach Hause! und dann bin ich zitternd vor Aufregung in die Kissen meines Wagens gesunken. Er hatte mich wieder gefunden und mich von neuem gepackt.
17. August. – O, diese Nacht! Welche Nacht! Und doch ist es mir, als müßte ich mich freuen. Bis ein Uhr morgens habe ich gelesen. Hermann Herestauß, Doktor der Philosophie und Theogonie, hat die Geschichte und Manifestationen aller unsichtbaren Wesen, die den Menschen umschweben oder von denen er träumt, beschrieben. Er beschreibt ihren Ursprung, ihr Gebiet, ihre Macht, aber keiner von ihnen ähnelt dem, der mich quält. Es ist, als ob der Mensch, seitdem er denkt, ein neues Wesen geahnt und gefürchtet hat, das stärker ist als er selbst, das Wesen, das sein Nachfolger auf der Erde wird und das er, da er es nahe fühlt und die Natur dieses Herrn nicht durchschauen kann, erschaffen hat in seinem Schrecken; das ganze Zaubervolk der unsichtbaren Geister, leere Schemen, Ausgeburten einer geängstigten Phantasie.
Als ich nun bis gegen ein Uhr morgens gelesen hatte, setzte ich mich an's offene Fenster, um meine Stirn und meine Gedanken zu erquicken, im lauen Hauch der Nacht.
Es war schön, es war mild! Ach wie hätte ich früher solch eine Nacht genossen!
Kein Mond am Himmel. Die Sterne flimmerten am dunklen Himmel. Wer bewohnt diese Welten? Welche Gestalten? Welche Wesen, welche Tiere, welche Pflanzen gedeihen dort? Wissen diejenigen, die dort in fernen Welten denken, mehr als wir? Was können diese Wesen mehr? Was sehen sie, das wir nicht kennen? Wird nicht eines von ihnen früher oder später den Weltenraum durcheilen und auf unserer Erde landen um sie zu erobern, wie einst die Normannen durch die Meere fuhren, schwächere Völkerschaften zu unterjochen.
Wir sind so schwach, waffenlos, wehrlos, unwissend, so klein, wir Menschen, auf diesem Sandkorn in einem Wassertropfen!
Ich nickte, wie ich so im frischen Abendwind träumte, ein; als ich etwa vierzig Minuten geschlafen haben mochte, öffnete ich die Augen ohne irgend eine Bewegung, weil etwas Wundersames mich aufgeweckt haben mußte. Zuerst sah ich nichts. Dann plötzlich war es mir, als ob eine Seite des Buches, das auf meinem Tisch vor mir offen liegen geblieben war, sich von selbst umgewendet hätte. Kein Luftzug konnte durch das Fenster gekommen sein. Ich war erstaunt und wartete. Nach vier Minuten etwa sah ich – sah ich – ja wahrhaftig, sah ich mit eigenen Augen, wie die nächste Seite sich hob und sich auf die vorhergehende umlegte, als ob sie eine Hand herumgeblättert. Mein Stuhl war leer, schien leer zu sein, aber ich begriff, daß er dort saß, dort auf meinem Platz und las. Mit einem furchtbaren Satz, wie ein wildes Tier, das seinem Bändiger den Leib aufschlitzen will, fuhr ich durch das Zimmer, ihn zu packen, ihn zu erwürgen und zu töten. Aber ehe ich den Stuhl erreicht hatte, fiel er um, als ob etwas vor mir geflohen fei. Mein Tisch schwankte, die Lampe stürzte und erlosch, und das Fenster schlug zu, als ob ein ertappter Verbrecher sich in die Nacht hinaus gerettet hätte, indem er die Fensterflügel mit beiden Händen erfaßte.
Er war also entflohen. Er hatte Angst gehabt, Angst vor mir.
Ich werde ihn also morgen,