Im heiligen Lande. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Im heiligen Lande - Selma Lagerlöf страница 12
»Hier siehst du nun die Kirche, die über Christi Grab und Golgatha erbaut ist«, sagte Halvor.
Birger Larsson sah mit seinem matten Blick zu dem Gebäude empor. Es hatte freilich große Tore und breite Fenster, und ansehnlich hoch war es auch. Nie aber hatte Birger so eine Kirche zwischen andern Häusern eingeklemmt gesehen. Und er sah weder einen Chor noch eine Vorhalle. Niemand sollte ihm einbilden, daß dies ein Haus Gottes war. Und er konnte auch nicht glauben, daß so viele Kaufleute und Krämer in dem Vorhofe sein würden, wenn sich hier wirklich Christi Grab befände. Er wußte ja allerdings, wer die Taubenhändler aus dem Tempel getrieben und die Tische der Wechsler umgeworfen hatte.
»Ich sehe es, ich sehe es«, sagte Birger und nickte Halvor zu. Im stillen aber dachte er: »Was sie mir jetzt wohl weismachen werden?«
»Ich weiß nicht, ob du heute noch mehr vertragen kannst?« fragte Halvor.
»Ja, ich kann es wohl aushalten,« erwiderte der Kranke, »wenn ihr es nur könnt.«
Da hoben die Männer die Bahre wieder auf und wanderten weiter. Sie gelangten nun in den südlichen Teil der Stadt.
Die Straßen waren von derselben Beschaffenheit wie vorhin, aber jetzt waren sie mit Menschen angefüllt. Halvor hielt die Bahre auf einer Querstraße an und zeigte Birger die dunkelfarbigen Beduinen, die mit dem Gewehr auf der Schulter und dem Dolch im Gürtel umhergingen. Er machte ihn aufmerksam auf die halbnackten Wasserträger, die Wasserschläuche aus Schweinsleder auf ihrem Rücken trugen. Er bat ihn, die russischen Priester anzusehen, die das Haar in einem Knoten im Nacken aufgesteckt trugen, wie Frauen, und die mohammedanischen Weiber, die wie wandernde Gespenster aussahen, wenn sie ganz in Weiß gehüllt und mit einem schwarzen Stück Zeug vor dem Gesicht daherkamen.
Birger ward immermehr davon überzeugt, daß seine Freunde irgendeinen wunderlichen Scherz mit ihm vorhatten. Denn diese Leute sahen wirklich nicht aus, wie die Palmenträger des Friedens, die in den Straßen des richtigen Jerusalems wandern sollen.
Aber als Birger in das Menschengewimmel hineinkam, ergriff ihn das Fieber von neuem. Halvor und die andern, die die Bahre trugen, sahen, daß er immer kränker wurde. Seine Hände tasteten unruhig auf der Decke herum, die über ihn ausgebreitet war, und große Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn.
Sobald sie aber davon sprachen, heimzukehren, fuhr er auf und sagte, es würde sein Tod sein, wenn sie ihn nicht soweit trügen, daß er die Stadt Gottes sehen könne.
Mit solchen Worten trieb er sie an, bis er auf den Berg Zion hinaufgelangt war. Als er das Zionstor erblickte, rief er aus, er wolle dadurch hinausgetragen werden! Er setzte sich aufrecht auf die Bahre, in der sicheren Hoffnung, daß er jenseits der Mauer die herrliche Gottesstadt finden würde, nach der er sich sehnte.
Aber jenseits des Tores sah er nichts weiter, als ein versengtes, unfruchtbares Feld, das mit Steinen, Mauerbrocken und Kehrichthaufen bedeckt war.
Dicht neben dem Tor kauerten ein paar arme, elende Menschen. Sie schleppten sich an die Bahre heran und streckten ihre Hände, deren Finger abgefault waren, nach dem Kranken aus.
Sie riefen mit Stimmen, die dem Knurren eines Hundes glichen, ihre Gesichter waren halb zerfressen, der eine hatte keine Nase, der andere keine Wangen.
Birger schrie laut vor Entsetzen. Schwach, wie er war, fing er vor Angst an zu weinen und jammerte, daß sie ihn in die Hölle hineingetragen hätten.
»Das sind ja nur Aussätzige«, sagte Halvor. »Du weißt ja doch, Birger, daß es hier zu Lande Aussätzige gibt.«
Sie beeilten sich jedoch, ihn weiter auf den Hügel hinaufzutragen, damit ihn der Anblick der Ärmsten am Tore nicht weiter quälen sollte.
Dann setzte Halvor die Bahre nieder, trat an den Kranken heran und hob seinen Kopf vom Kissen auf. »Jetzt mußt du versuchen, aufzustehen, Birger«, sagte er. »Hier kannst du bis an das Rote Meer und den Berg Moab hinabsehen.«
Noch einmal schlug Birger seine müden Augen auf. Er sah über die einsame, wilde Berggegend östlich von Jerusalem hinaus. Weit, weit draußen in der Ferne schimmerte ein Wasserspiegel, und jenseits davon lagen Berge, die im Himmelblau, das mit goldenen Rändern verbrämt war, erstrahlten. Das war so schön, so leicht, durchsichtig und strahlend, daß man glauben mußte, daß dieser Anblick nicht der Erde angehöre.
Birger richtete sich in Verzückung von der Bahre auf, er wollte dem fernen Bilde entgegeneilen. Er schwankte ein paar Schritte vorwärts – dann brach er ohnmächtig zusammen.
Die Bauern glaubten anfänglich, daß Birger tot sei. Aber das Leben kehrte zurück, und er lebte noch zwei Tage. Aber bis zu seiner Todesstunde lag er da und phantasierte von dem wahren Jerusalem. Er jammerte darüber, daß es sich immer weiter und weiter zurückziehe, je mehr er sich anstrenge, es zu erreichen, so daß weder er, noch irgendeiner von den andern dahingelangen könne.
Gottes heilige Stadt Jerusalem.
Es verhält sich wirklich so, daß nicht alle Menschen stark genug sind, um das Leben in Jerusalem aushalten zu können. Selbst wenn sie das Klima ertragen können und nicht von den Krankheiten angesteckt werden, so kann es doch geschehen, daß sie unterliegen. Die heilige Stadt macht sie schwermütig oder wahnsinnig, ja, sie kann sie geradezu umbringen. Man kann dort nicht zwei Wochen wohnen, ohne die Leute von diesem oder jenem, der plötzlich gestorben ist, sagen zu hören: »Den hat Jerusalem getötet.«
Wer das hört, kann nicht umhin, sich höchlich zu verwundern. »Wie kann das nur möglich sein?« fragt man sich selbst. »Wie kann eine Stadt töten? Die Menschen denken sich wohl nichts bei dem, was sie sagen.«
Und während man dann in Jerusalem hierhin und dorthin wandert, kann man sich nicht des Gedankens erwehren: »Ich möchte doch wohl wissen, was die Leute damit meinen, daß Jerusalem tötet. Ich möchte wirklich wissen, wo das Jerusalem ist, das den Menschen den Tod bringt.«
Es kann ja z. B. geschehen, daß man sich entschließt, eine Wanderung rund um Jerusalem zu unternehmen. Man geht dann durch das Jaffator, biegt dann links ab, vorüber an dem mächtigen, viereckigen Davidsturm, und setzt den Weg auf dem schmalen Pfade fort, der neben der Stadtmauer hinläuft, auf das Zionstor zu.
Hart unter der Mauer liegt eine türkische Kaserne, wo man Waffenlärm und kriegerische Musik vernimmt. Dann kommt man an dem großen armenischen Kloster vorüber, das ebenfalls eine Festung ist, mit starken Mauern und Toren mit Schlössern und Riegeln davor. Eine Strecke weiterhin stößt man auf das schwere, graue Gebäude, das Davidsgrab genannt wird, und wenn man das sieht, fällt einem plötzlich ein, daß man auf dem heiligen Zion steht, auf dem Berge der Könige.
Da kann man nicht umhin, zu denken, daß der Berg unter einem ein großes Gewölbe ist, in dem König David in seinem goldenen Mantel auf einem Thron von Feuer sitzt und noch heutzutage das Zepter über Jerusalem und Palästina führt. Man muß daran denken, daß die Mauerreste, die die Erde bedecken, Ruinen gefallener Königsburgen sind, daß der Berggipfel gerade vor ihnen, der Berg des Ärgernisses ist, auf dem Salomo sündigte, daß das Tal, in das man hinabsieht, das tiefe Tal Hinnom, einstmals bis an den Rand mit den Leichen der Menschen angefüllt war, die in Jerusalem getötet wurden, damals, als es von den Römern zerstört wurde.
Es ist ein ganz wunderliches Gefühl, dort zu gehen. Man meint Kriegslärm