Tom Jones. Henry Fielding

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Tom Jones - Henry Fielding

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klopfte er einem neben ihm sitzenden Rechtsgelehrten auf die Schulter und schrie: »Was sagen Sie dazu, Herr Lizentiat? Ist das nicht gegen die Gesetze?«

      Der Jurist gab mit großer Ernsthaftigkeit folgendes Decisum von sich:

      »Falls der Fall ein Rebhuhn beträfe, so ist es zweifelsohne, daß eine standhafte Aktion stattfinden müßte. Denn, alldieweilen zwar sothanes Rebhuhn ferae naturae ist: so kann es doch als ein durch Lehn oder Kauf acquiriertes Eigentum zu Recht reklamieret werden; wenn aber andernfallsigenteils das Objectum litis ein Singvogel ist: so muß es, obgleich rechtsbeständig reklamiert, dennoch als ein seiner Natur und Wesen nach wenig bedeutendes Ding billig als nullius in bonis konsiderieret werden. In diesem Falle wäre, nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten, actor mit seiner Klage ab- und zurückzuweisen; und, falls ein solcher Kläger mich als seinen Rechtsbeistand konsultieren wollte, so würde mein zu Recht gegründetes Bedenken dahin gehen: einen solchen Prozeß sogleich in seiner Entstehung fallen zu lassen.«

      »Wohlan,« sagte der Junker, »wenn's denn nullus bonus ist, so lassen Sie uns 'nmal trinken und 'n bißchen vom Zustand der Nation sprechen; oder von sonst so was, das wir all' verstehn. Nein, mein Seel! Ich versteh kein Wort von euerm ganzen Tischkurse. Gelehrt und sehr klug mag's wohl sein; 'ch hab nichts dagegen; aber, mich sollt ihr's niemals weißmachen! der Hagel! seht! Da hat keiner von euch des armen Jungen mit einem einzigen Worte gedacht, der so brav ist und so viel Lob verdient. Der's wagte, sein'n Hals zu brechen, mein'm Fiekchen zu Gefallen. Das war mir 'ne großmutsherzige That! So gelehrt bin ich, daß ich das einsehen kann. Sapperment! Hier, uf Toms Gesundheit! Ich werde den Jungen lieb haben, und wenn ich auch noch hundert Jahre leben sollte.«

      Auf diese Art ward die gelehrte Debatte unterbrochen. Sie würde aber wahrscheinlicherweise sehr bald wieder angeknüpft worden sein, hätte nicht gleich darauf Herr Alwerth seine Kutsche vorrufen lassen und die beiden gelehrten Fechter mit sich genommen. So war der Ausgang des Abenteuers mit dem Vogel und der dadurch veranlaßte Dialog beschaffen, welchen wir unsern Lesern erzählen mußten; ob solcher gleich, oder vielmehr, ob die Geschichte gleich einige Jahre vor der Periode zutraf, bis zu welcher wir mit unsrer Geschichtserzählung fortgerückt sind.

Fünftes Kapitel.

      Enthält Materien, die für jedermanns Geschmack zugerichtet sind.

      Parva leves capiunt animos; »Leichter Sinn ist leicht gefangen;« war der Spruch eines großen Meisters in der Leidenschaft der Liebe. Und gewiß ist es, daß von diesem Tage an Sophie anfing, einige kleine Gewogenheit für den Tom Jones und eine nicht kleine Abneigung gegen seinen Schulkameraden zu empfinden. Verschiedene Zufälle verstärkten von Zeit zu Zeit diese Leidenschaften in ihrer Brust; welches der Leser eben auch ohne unsre Erzählung aus demjenigen schließen wird, was wir uns über die Verschiedenheit der Gemütsarten dieser Knaben, und wie sehr die eine mehr als die andre mit ihrer eignen übereinstimmte, haben merken lassen. Die Wahrheit zu sagen, so hatte Sophie, noch als sie sehr jung, bereits ausfindig gemacht, daß, obgleich Tom ein lockerer, windiger, tobender Zeisig wäre, er doch keines Menschen als nur sein eigner Feind sei. Und daß der Junker Blifil, obgleich ein kluger, vorsichtiger, stiller Jüngling, doch nur dem Vorteile einer einzigen Person auf stärkste ergeben wäre; und wer diese einzige Person war, das wird der Leser auch wohl ohne unsern Beistand erraten.

      Diese beiden Charaktere werden in der Welt nicht allemal mit der verschiedenen Achtung aufgenommen, welche ein jeder besonders für sich zu verdienen scheint, und welche, wie man glauben sollte, ihnen die Menschen aus Selbstinteresse widerfahren lassen müßten. Doch ist dazu vielleicht eine politische Ursache vorhanden: Die Menschen, wenn sie ein wahrhaft wohlthätiggesinntes Gemüt finden, so mögen sie wohl ganz vernünftigerweise denken: sie haben einen Schatz gefunden, den sie gern für sich behalten wollen, sowie alles übrige Gute, was sie besitzen. Daher mögen sie sich einbilden, das Lob einer solchen Person auszuposaunen, würde ungefähr ebensoviel heißen, als die gemeine Aufschrift auf einem Schilde: »Hier speist man nach Belieben,« und so gut, als Teilnehmer an einem Gute herbeizurufen, welches sie zu ihrem alleinigen Gebrauche aufbewahren wollen. Wenn dieser Grund dem Leser kein Genüge leistet, so weiß ich mir wenigstens die geringe Achtung auf keine andre Weise zu erklären, welche ich gewöhnlicherweise einem Charakter erzeigen gesehen habe, welcher der menschlichen Natur wirklich große Ehre macht und der bürgerlichen Gesellschaft so unendlichen Nutzen bringt. Mit Sophien war es indessen ganz anders. Sie hatte viel Hochachtung für Tom Jones und eine herzliche Verachtung für Blifil, sobald als sie nur mit diesen beiden Worten einen Begriff zu verbinden gelernt hatte.

      Sophie war beinahe drei Jahre mit ihrer Tante abwesend gewesen, während welcher Zeit sie keinen von beiden Jünglingen anders, als nur sehr selten, gesehen hatte. Unterdessen aß sie eines Tages mit ihrer Tante in Herrn Alwerths Hause zu Mittage. Dies war einige Tage nach der bereits erwähnten Geschichte mit dem geschossenen Feldhuhn. Sophie hörte die ganze Geschichte bei Tische, wo sie kein Wort sagte; auch konnte sogar ihre Tante nur wenige Worte aus ihr herausbringen, als sie wieder nach Hause fuhren. Als aber ihr Kammermädchen beim Auskleiden von ungefähr zu ihr sagte: »Nun, Fräulein! heute hab'n Sie doch Junker Blifil gesehen?« antwortete sie ganz ärgerlich: »Ich hasse den Namen Blifil so wie alles, was niederträchtig und verräterisch ist; und ich wundre mich, wie Herr Alwerth leiden kann, daß ein alter barbarischer Schulmeister einen jungen Menschen dergestalt um etwas züchtigen darf, was doch bloß die Wirkung seines guten Herzens war.« Sie erzählte hierauf ihrer Jungfer die ganze Geschichte und schloß mit den Worten: »Was meint Sie, ist es nicht ein Junge von recht edlem Gemüte?«

      Dies junge Frauenzimmer war nunmehr bei ihrem Vater wieder einheimisch geworden, welcher ihr die Führung seines Hauses anvertraute und ihr die oberste Stelle an seinem Tische anwies, an welchem Tom Jones (der durch seine große Liebe zum Jagen ein großer Liebling des Junkers geworden war) manche Mahlzeit einnahm. Junge Leute von einem offnen freien Gemüte sind von Natur zur Galanterie geneigt, die sich, wenn sie einen richtigen Verstand besitzen, wie bei Tom Jones wirklich der Fall war, durch ein gefälliges, verbindliches Betragen gegen das ganze weibliche Geschlecht überhaupt äußert. Hierdurch unterschied sich Tom Jones sehr vorteilhaft, auf einer Seite von der lärmenden Ungezogenheit und Grobheit der bloßen Strohjunker, und auf der andern Seite von dem feierlichen und etwas finstern Betragen des jungen Herrn Blifil. Und in seinem zwanzigsten Jahre nunmehr fing er an, bei allen Frauenzimmern in der Nachbarschaft ein artiger junger Mensch zu heißen.

      Tom spielte bei Sophien keineswegs den Verliebten, ausgenommen vielleicht, daß er ihr mit mehr Ehrerbietung begegnete, als irgend einem andern Frauenzimmer. Diesen Vorzug schien ihre Schönheit, ihr Vermögen, ihr Verstand und ihr liebenswürdiges Betragen ganz natürlicherweise zu verdienen. Absichten auf ihre Person aber hatte er keine. Für jetzt müssen wir's dulden, daß ihm das der Leser zur Unempfindlichkeit anrechnet; vielleicht aber sind wir in der Folge im stande, es auf eine ganz andere Art zu erklären.

      Sophie war beim höchsten Grade von Unschuld und Bescheidenheit von sehr aufgewecktem Gemüt. Diese Munterkeit ward, wenn sie mit Tom in Gesellschaft war, so sichtbarlich erhöht, daß er's hätte merken müssen, wär' er nicht zu jung und zu gedankenlos gewesen; oder daß auch beim Junker Western hätte Verdacht darüber entstehen können, wären nicht seine Gedanken fast immer im Felde, im Pferde- und Hundestalle beschäftigt gewesen. Aber dieser gute Junker war so weit entfernt, auf einen solchen Verdacht zu geraten, daß er dem jungen Menschen vielmehr alle Gelegenheit gab, mit seiner Tochter allein zu sein, die ein Verliebter sich nur immer hätte wünschen können; und diese Gelegenheit machte sich Tom in aller Unschuld weit besser zu nutze, indem er bloß den Eingebungen einer natürlichen Galanterie und eines guten Herzens folgte, als vielleicht geschehen sein möchte, wenn er die tiefsten Pläne auf das Herz des Mädchens angelegt gehabt hätte. In der That aber kann es eben keine Verwunderung verursachen, daß diese Sache der Bemerkung aller Uebrigen entwischte, weil die arme Sophie selbst kein Wort davon wußte und ihr Herz unwiederbringlich

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