Wir haben alle mal klein angefangen. Rainer Bartelt
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Danach ging der Wirt zur Tür, schloss zu, damit kein Engländer mehr herein konnte, und wir alle feierten fröhlich weiter bis zum Morgengrauen...
Der Überfall der Eselbande
Nachts mit dem Auto auf der Überlandstraße, das war im ländlichen Irland auch ohne terroristische Bombenleger immer mit dem Risiko eines tödlichen Unfalls verbunden: Als Autofahrer musste man nachts außerhalb geschlossener Ortschaften jederzeit mit plötzlich auftauchenden, stark betrunkenen Radfahrern rechnen, die, auf einem von einer Straßenseite zur anderen schwankenden, unbeleuchteten Fahrrad sitzend, von Kopf bis Fuß in schwarzes Ölzeug gekleidet und damit aus der Ferne praktisch unsichtbar waren. (Wenigstens war die Bekleidungsfarbe „Schwarz“ absolut passend gewählt für einen jeden plötzlich und unvermutet eintretenden, verkehrsbedingten Todesfall!)
In so einer finsteren Nacht passierte mir das Unglaublichste, was ich jemals mit Tieren erlebt habe: Wir wurden ausgeraubt. Von zwei Eseln. Auf offener Straße! Unglaublich, aber wahr. Und das geschah so:
In absolut fröhlicher Stimmung kamen wir mit unserem neuen R4-Kastenwagen von einem der legendären irischen „Singing Pubs“ (= Gaststätte mit Musik und/oder Gesang). Ich saß am Steuer und fuhr wegen des unbekannten Geländes und der unbeleuchteten und kurvenreichen Straße äußerst vorsichtig, um nicht plötzlich eine neue, Fahrrad fahrende Kühlerfigur auf der Kühlerfront unseres Autos zu haben.
Was wir dann allerdings im Licht unserer Scheinwerfer sahen und was mich sofort zu einem scharfen Bremsmanöver zwang, war kein Radfahrer, nein, es war auch kein Fußgänger: Vor uns stand ein ausgewachsener, von oben bis unten grau behaarter Esel. Quer zu unserer Fahrtrichtung stehend blockierte er die gesamte Straßenbreite. Stur wie Esel nun mal sind, rückte und rührte er sich nicht, obwohl wir direkt auf ihn zuhielten und unser die Straße taghell ausleuchtendes Fahrzeug erst ein, zwei Meter vor seiner grauen Fellbehaarung zum Stehen kam.
Was nun? Was tut man als Autofahrer normalerweise, wenn man solchermaßen unvermutet an der Weiterfahrt gehindert wird? Sehr richtig! Man macht genau das: Nachdem man zum Stehen gekommen ist und einen Moment überlegt hat, was zu tun ist, kurbelt man die Autoscheibe herunter und versucht, das störrische Vieh, das wie angewurzelt vor uns stand und keinerlei Anstalten machte, die Straße zu räumen, durch gutes Zureden zu verscheuchen. Was ich dann auch tat, genauer gesagt, was ich dann auch versuchte zu tun.
In just demselben Moment, in dem ich die Fensterscheibe auf meiner Seite soweit herunter gekurbelt hatte, dass ich meinen Kopf hätte herausstecken können, um dem störrischen Esel ein paar aufmunternde Worte zuzurufen, schoss ein riesiges und übelriechendes graues Monster durch die Scheibe und an mir vorbei. Es dauerte mehr als eine Schrecksekunde, bis ich im Halbdunkel des Wageninneren realisierte, was mir da mit seiner Größe und seinem Gestank fast die Luft zum Atmen nahm: Es war der grau behaarte Kopf eines zweiten Esels – so groß, dass er kaum durch das geöffnete Fenster passte. Trotzdem war der Kopf mit so einer Schnelligkeit, Gewalt und Präzision durch die schmale Fensteröffnung geschossen gekommen, dass es dafür nur eine mögliche Erklärung gab: Er wusste genau, was er tat und was er mit seinem Tun bezweckte!
Und was bezweckte dieser überaus zielstrebig agierende Esel?
Jetzt schlägt’s Dreizehn: Er wollte Kekse! Kekse! Schöne leckere Touristen-Kekse. Er schien genau zu wissen, dass es zumindest in Autos mit einem ausländischen Kennzeichen davon immer wenigstens einen kleinen Vorrat als Wegzehrung gab.
Nachdem er sich selbst mit unserem letzten, zwischen den Vordersitzen abgelegten Vorrat an süßem Gebäck versorgt hatten, zog er ohne zu zögern bereitwillig seinen ungetümen Kopf aus dem Wageninneren zurück, und auch der zweite Esel, der zuvor die Straße blockiert hatte, trollte sich langsam, nachdem er befriedigt festgestellt hatte, dass der gemeinschaftlich ausgeführte Überfall von seinem vierbeinigen Kumpel erfolgreich abgeschlossen worden war.
Selbst nachdem wir unseren ersten Schreck über diesen dreisten Raub überwunden hatten, waren wir immer noch absolut fassungslos: Wo hatten diese Tiere ihr diebisches Handwerk bloß gelernt? Und beim wem hatten sie sich diese geniale Überrumplungs-Strategie nur abgeschaut? Bei den einheimischen Zweibeinern jedenfalls nicht! In Irland konnte man damals, Mitte der siebziger Jahre, alles – Haus, Auto, Koffer und so weiter – in aller Öffentlichkeit unverschlossen herumstehen lassen. Kein normaler Ire wäre damals auch nur im Entferntesten auf die Idee gekommen, sich an irgendwelchem fremdem Eigentum zu vergreifen, denn es galt schon damals: Je ärmer, desto ehrlicher!
Also: Wo hatten diese Esel sich ihr räuberisches Tun nur abgeschaut? Wer hatte sie auf die Idee gebracht, ahnungslose Touristen systematisch um ihre Proviant-Vorräte zu erleichtern? Unglaublich, zu welchen Intelligenzleistungen diese angeblich stockdummen Tiere tatsächlich fähig sind. Und doch ist diese Geschichte genauso wahr wie <fast> alle anderen Geschichten in diesem Buch!
Fridolin, unser Kater
Jahre später, ich war inzwischen verlobt und wohnte mit Petra, meiner Verlobten, immer noch im Studentenwohnheim, inzwischen allerdings höchst komfortabel in einem geräumigen Penthouse mit einem unverbaubaren, direkten Blick auf den Göttinger Universitätscampus. Von Zeit zu Zeit fuhren wir heim zu unseren Eltern. Längere Autofahrten hin und zurück waren die Folge.
Ich weiß nicht mehr warum, aber bei einer dieser langen Fahrten über Land war ich mit unserem grau getigerten Kater Fridolin allein in unserem weinroten VW Golf. Ich hatte ihn in seinen Katzenkorb gesperrt und auf die Rücksitzbank verbannt, aber das gefiel ihm überhaupt nicht. Statt zu schlafen machte er so ein Geschrei, dass ich mich schließlich erbarmte, den Korb öffnete und ihn im Auto frei herumlaufen ließ.
Die erste Zeit schien ihm seine frisch gewonnene Freiheit auch sehr zu gefallen: Er machte es sich auf der Hutablage unmittelbar unter der Heckscheibe gemütlich und genoss die Aussicht. Interessiert schaute er den vorbeifahrenden Autos hinterher. Nach einiger Zeit wurde ihm dieses Spiel aber zu langweilig und er fing an, genervt zu maunzen. Erst leise, dann immer lauter. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Radio einzuschalten und zu versuchen, sein Gejaule mit Musik zu übertönen.
Tatsächlich hatte ich auch einige Zeit Erfolg mit dieser Methode, aber unser Kater Fridolin war nicht dumm: Als er merkte, dass ich ihn austricksen wollte und zu ignorieren versuchte, erhob sich von seinen bequemen Ruhesitz auf der Hutablage und sprang auf den Rücksitz. Dort blieb er aber nicht etwa sitzen, nein, er machte einen noch weiteren Satz nach vorn und positionierte seine Vorderpfoten so auf der Rückenlehne meines Fahrersitzes, dass er mit seinen Hinterpfoten auf dem Polster der Rücksitzbank aufrecht stand wie ein Zweibeiner.
Dann streckte unser total gefrusteter Kater sein kleines, feuchtes Schnäuzchen nach meinem Kopf, bis er mein rechtes Ohr traf. In dieser Position jaulte er mir mit voller Lautstärke direkt in meine Ohrmuschel. Nach dem Motto: Wer nicht hören will, muss fühlen! Ich war ungemein erleichtert, als ich endlich das Ziel unserer Reise erreichte. Mein rechtes Ohr war fast taub, und Kater Fridolin war heiser.
Fridolin an der Leine
Als die Autofahrt glücklich überstanden war, ergab sich ein neues Problem: Fridolin war gewohnt, draußen frei herumlaufen zu können, er war kein reiner Stubentiger. Doch die Umgebung der Wohnung meiner Eltern war ihm natürlich fremd. Wir waren in großer Sorge, dass er aus dem Mietshaus laufen und nicht wieder zurückfinden würde. Was tun? Glücklicherweise hatte Petra vorgesorgt und eine Katzenleine besorgt. Ich hatte