Wir haben alle mal klein angefangen. Rainer Bartelt
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Irgendwie verstand ich die ganze Aufregung nicht. Wieso sollte ich eine Fehlbelegung sein? Auf die naheliegende Idee, dass die schwedische Schiffsbesatzung, die wohl eher Englisch als Deutsch verstand, meinen Vornamen irrtümlicherweise für weiblich gehalten und mich nur deshalb (versehentlich!) in diese Frauenkabine gesteckt haben könnte, kam ich nicht.
Da man in dieser kleinen Kabine sowieso nichts anderes anstellen konnte, hatte ich mich schon halb ausgezogen und ins warme Bett gekuschelt. Obwohl oder gerade weil ich so unfreundlich angeraunzt wurde, verspürte ich überhaupt keine Lust, noch einmal aufzustehen und nach draußen auf die ungemütlichen und feucht-kalten Schiffskorridore zu gehen: Wenn die gute Frau ein Problem mir hatte, warum ging sie dann nicht selber zur Rezeption?
Irgendwie musste sie meine Gedanken erraten haben, denn sie verschwand für längere Zeit aus unserer Mehrbettkabine. Wahrscheinlich hatte sie die Hoffnung, dass ich nicht mehr da sein würde, wenn sie zurückkam.
Ich war aber tatsächlich noch da, als sie zurückkam, wurde wieder wach und wunderte mich sehr, warum die gute Frau sich bei halboffener Tür im Dunkeln aus- und umzog. Auch aus ihrer Sicht gesehen kamen mir ihre gymnastischen Übungen fast ganz ohne Licht doch ziemlich unbequem vor. Schließlich gab es in unserem Zimmer eine durchaus einwandfrei funktionierende, ausreichend helle Deckenbeleuchtung.
Wieder kam ich nicht auf die Idee, dass ich der Grund für das heimliche Gemunkel im Dunkeln sein könnte. Dabei lag ich ganz tief im untersten Etagenbett und hatte deshalb natürlich einen ausgesprochen exquisiten Ausblick auf alles, was um mich herum und über mir passierte.
Wenn die arme Frau, die meinte, sich im Dunkel umziehen zu müssen, nur gewusst hätte! Ich war an dem, was sie da vor meinem Bett für Verrenkungen anstellte, herzlich wenig interessiert. Nach der anstrengenden und umständlichen Bahnreise von meiner Heimatstadt „Heide in Holstein“ über Hamburg und Cuxhaven nach Bremerhaven wollte ich mich eigentlich nur ausschlafen. Ihr unter den BH oder gar unter das knappe Höschen zu schauen, war für den Moment absolut ohne jedes Interesse für mich. Denn gut und geschmackvoll angezogene Frauen habe ich Zeit meines Lebens immer für deutlich attraktiver gehalten als die nackten, langweilig zart-rosanen Tatsachen. Und, wie schon erwähnt, ich war damals in jeder Hinsicht noch Jungfrau und deshalb absolut rein im Geiste.
Irgendwann war das Gehampel vor meinem Bett endlich vorbei, und in der kleinen Kabine leuchtete nur noch die Notbeleuchtung. Nach einer kurzen Nacht sah ich meine Widersacherin am anderen Morgen nur noch von hinten: Ihre Sachen packen und raus aus der Kabine waren eins.
Mir konnte es egal sein, denn die anderen beiden Mädels hatten mich dafür umso mehr in ihr Herz geschlossen und begleiteten mich in der Bahn noch bis London, wo sich unsere Wege dann leider für immer voneinander trennten.
Willkommen in Europas „Dritter Welt“
Reisen sind anscheinend eine gute Gelegenheit für unfreiwillige sexuelle Abenteuer. Ein anderes Abenteuer dieser Art erlebte ich sechs Jahre später auf der schönen grünen Insel Irland:
Mit meiner Reisebegleitung Marion verband mich nichts weiter, als dass sie wie ich aus dem nicht nur im Sommer von Kohlköpfen aller Art bevölkerten Landkreis Dithmarschen stammte, in Göttingen Mathematik studierte und ich sie schon mehr als einmal mit meinem Nachthimmel-blauen VW-Käfer gegen eine bescheidene Benzinkosten-Beteiligung nachhause gefahren hatte. Ein, zwei Jahre später hatte ich dann die besondere Ehre, von ihr als ihr exklusiver persönlicher Begleiter auf eine selbstorganisierte Kreuzfahrt kreuz und quer durch ganz Irland eingeladen zu werden.
Gerade erst war sie stolze Besitzerin eines eigenen Vehikels geworden. Mit ihrem quietsch-grünen, nagelneuen Renault R4, der wesentlich geräumiger war als meine eigene, alte Schrottkiste, gingen wir zu zweit auf große Tour. Und trafen nach einer ziemlich langen Fahrt mit ihrem Auto per Schiff eines schönen Sommernachmittags anno 1976 im irischen Fährhafen Rosslare ein – ohne uns vorher über die genaue Route, über Übernachtungsmöglichkeiten oder über andere Notwendigkeiten einer derartigen Entdeckungsreise irgendwelche Gedanken gemacht zu haben.
Und so traten wir auch nicht gleich die Suche nach einer nächtlichen Bleibe an: Zu faszinierend war das, was vor uns lag. Gleich hinter dem Fähranleger bogen wir von der Hauptstraße ab und landeten sofort in der „Pampa“ – im wahrsten Sinn des Wortes. Schon England und der Süden Wales hatten auf uns zwei, vom stahl-kalten technischen Wohlstand der BRD verwöhnten Rotznasen nicht gerade den Eindruck absoluter Modernität gemacht, aber hier, so schien es, waren wir von jetzt auf gleich in einem Dritte-Welt-Land gelandet: Autos wie aus dem Museum, mickrig schmale Landstraßen und Häuser, die eher wie Notbehausungen aussahen, nach unseren hochfliegenden Maßstäben ziemlich primitiv aus grobem Naturstein zusammengehauen und danach bis auf das ebenfalls aus einfachsten Materialien bestehende Hausdach fast ausnahmslos weiß getüncht. Fast alle Häuser wurden bewacht von wolfsgroßen Hütehunden, deren größter Spaß es war, das halbe Dutzend motorisierter Fahrzeuge, das über den lieben langen Tag verteilt vorbei zu kommen geruhte, anzufallen, zu jagen und zu verbellen.
Das Ritual war immer dasselbe: Wir fuhren durch die fast leere grüne Landschaft auf ein Haus zu – außer ein paar Schafen, einer Handvoll Möwen und einigen stumpf wiederkäuenden Kühlen weit und breit keine lebende Seele zu sehen. Aber in demselben Moment, in dem wir das allein stehende Haus erreichten, brach die Hölle los: Mit ohrenbetäubendem Gebrüll schoss ein braunes, graues oder schwarzes haariges Monster aus seinem hinter einer Mauer gelegenen Versteck hervor und schmiss sich so vor unseren Kühler, dass wir kaum noch den Schwanz sehen konnten. Jeden Moment musste es zum Aufprall kommen! Aber nein, stattdessen tauchten plötzlich hässlich gelb-weiße, wütend gefletschte Zähne neben unserem Auto auf und spritzten einzelne Speichelfetzen an die Seitenscheiben. Wenige Sekunden später war der Spuk schon wieder vorbei, denn nach anfänglichen Irritationen zogen wir es vor, besser nicht zu bremsen, sondern einfach weiterzufahren. Und so gab sich das wütend bellende Monster für uns erst mit einiger Entfernung im Rückspiegel als ein immer kleiner werdendes Exemplar der Gattung „Hund“ zu erkennen.
Endstation Rumpelkammer
Ich weiß nicht mehr, ob es tatsächlich Rosslare oder nur eines der vielen namenlosen Dörfer war, die weit verstreut in der menschenleeren irischen Landschaft lagen, jedenfalls trafen wir nach kurzer Zeit auf eine größere Ansammlung gemauerter Behausungen, in der die Straßen nicht nur von Hunden, sondern auch von dem einen oder anderen Exemplar der Gattung Mensch bevölkert waren. Überraschend schnell fanden wir ein Haus mit einem einigermaßen anheimelnden Aussehen, in dessen Vorgarten neben einem hellblau gestrichenen Gartenzaun und ein paar Blumen das ersehnte Schild mit der Aufschrift „Bed and Breakfast“ stand.
Marion klopfte an die Haustür, und ohne jede Verzögerung wurde uns aufgetan. Anscheinend waren wir aus dem Haus schon einige Zeit neugierig beäugt worden. Das erste, was uns aus dem halbdunklen Hausinneren sofort ins Auge sprang, war ein großes Kruzifix, das direkt über dem Treppenaufgang hing. Da nicht anzunehmen war, dass man sich hier vor Vampiren fürchtete, war klar: Jetzt sind wir im erzkatholischen Herzen Irlands angekommen!
Die Hausherrin persönlich hatte uns die Tür geöffnet, also überließ ich Marion das Reden. Mit dem Ergebnis, dass wir nach einer kurzer Abstimmung über die Zimmermiete und die Frühstückszeit unser Zimmer beziehen konnten.
Das Zimmer, das uns als Schlafstelle für unsere