Wir haben alle mal klein angefangen. Rainer Bartelt
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Doch selbst wenn es anders gewesen wäre, und man hätte Jens noch wegen Falschparkens zur Verantwortung ziehen können: Die fünf Mark, die er hätte haben müssen, um sein Knöllchen zu bezahlen, hatte er sich durch seine Zeugenaussage in dem Prozess ja schon verdient.
Fazit: Ein geständiger Sünder, aber keine Strafe, sondern stattdessen eine „ansehnliche“ finanzielle Belohnung vom Staat. Ja, es ist wahr, Jurist müsste man sein, dann schlägt man selbst aus der krummsten Tour noch Gewinn!
Man sieht sich immer zweimal
Trotzdem kam für den eigentlichen Bösewicht Carlo nach diesem sauber eingefädelten Coup beinahe noch ein dickes Ende nach: Genau dieser Richter, den er zusammen mit seinem Freund Jens so fein aufs Kreuz gelegt hatte, wurde zum Ende seines Jurastudiums Carlos Prüfer im ersten Staatsexamen.
Damit hätte es meinem guten Freund genauso ergehen können, wie in dem bekannten Witz:
„Treffen sich Prüfer und Prüfling nach der Prüfung auf dem Klo an der Pinkelrinne, sagt der Prüfer zum Prüfling (von oben herab): ‚Also hier ziehen Sie auch den Kürzeren...’”
Doch ganz so schlimm kam es glücklicherweise nicht, auch diese Geschichte hatte das gewünschte Happy-End, denn der auch die Prüfung ausführende Richter erwies sich trotz des vorangegangenen Dramas im Amtsgericht als fairer Verlierer: Mein Freund Karlchen kam am Ende ungeschoren durch die mündliche Prüfung und bestand sein juristisches Examen mit einer auch aus seiner eigenen Sicht ganz passablen Zensur.
Wilde Zeiten als Student
Im Wintersemester 1970, ein halbes Jahr nach dem bestandenen Abitur fing ich an, Mathematik an der alt-ehrwürdigen Georg-August-Universität in Göttingen zu studieren. („Nach Kiel zum Segeln, nach München zum Skilaufen, nach Göttingen zum Studieren...”)
Die wilden sechziger Jahre, Jahre der technischen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Innovation und Revolte wirkten noch einige Zeit nach, bis mit dem Ölpreis-Schock – Benzin kostete mit einem Male vierzig statt vorher nur zwanzig Pfennig pro Liter –, der Roten Armee Fraktion und den nachfolgenden Berufsverboten (vor allen Dingen, aber nicht nur für links gesinnte Lehrer) ab Mitte der siebziger Jahre erneut die politische Reaktion Einzug in Deutschland hielt.
Doch die Ölkrise war noch in weiter Ferne, und so war ich schon etwas enttäuscht, als ich in Göttingens Hörsälen nicht die erwarteten wild kiffenden, langhaarigen Hippies oder bärtigen und eine Mao-Bibel unter dem Arm tragenden Revoluzzer antraf. Sondern überwiegend ganz normale und in meinen Augen daher ziemlich stieselige Bürgertöchter und -söhne, die brav studierten und an ihrer zukünftigen Berufskarriere bastelten.
In der Geschichte ist Göttingen eben nie das Zentrum umwälzender Weltrevolutionen gewesen. Trotz der „Göttinger Sieben“ (Professoren), die gut hundert Jahre zuvor gegen ihren König in Hannover rebelliert hatten. Und dafür umgehend des Landes verwiesen wurden. Sogar die Gebrüder Grimm waren dabei und mussten ihre Märchen von da an woanders aufschreiben. Doch für das bürgerlich-brave Göttingen sind diese, den Aufstand gegen die Obrigkeit probenden Professoren eine absolute Ausnahmeerscheinung geblieben.
Tatsächlich war das mit Abstand Wildeste, das mir von den Göttinger Studentenprotesten ein, zwei Jahre vor meiner Zeit berichtet wurde, die ruchlose Schändung eines Kriegerdenkmals, das das seltene Pech hatte, zufälligerweise direkt vor dem Eingang zum alten Audi Maximum, dem ehemals größten Hörsaal der Universität, aufgestellt worden zu sein. Das Denkmal war damit ein ständiger Stein des Anstoßes für alle Studenten, die täglich daran vorbeigehen mussten.
Und so kam es, wie es kommen musste: Aus Protest gegen was auch immer wurden eines Nachts die Genitalien der überlebensgroßen nackten Männer, die auf ihren Händen gemeinsam einen gefallenen Soldaten zu seiner letzten Ruhestätte trugen, mit Leuchtfarbe angepinselt. Da das solchermaßen verunstaltete Kriegerdenkmal auch ohne diesen innovativen farblichen Akzent schon immer absolut potthässlich gewesen war, kann ich mir sehr gut vorstellen, wie hoch die Wellen der Empörung in der Göttinger Bürgerschaft damals geschlagen sind und wie sehr sich alle an diesem harmlosen Spaß beteiligten und unbeteiligten Studenten ins Fäustchen gelacht haben.
Von Anbeginn an stand über dem Eingang des alten Göttinger Audi Maximums eine Statue des sagenumwobenen Barons von Münchhausen. (In unmittelbarer Sichtweite des heutigen Heinz-Ehrhard-Denkmals!) In jener Nacht, als das graue Denkmal so farbenfroh verschönert wurde, so erzählt man sich noch heute in Göttingen, soll sich auch in das Gesicht des Barons, der zu den vier Gründungsvätern der Göttinger Universität gehörte, ein leises Lächeln geschlichen haben. Vielleicht war das die Geburtsstunde der berühmten Göttinger „klammheimlichen Freude“…
Zucker im Kaffee
Doch das Studentenleben, so wie ich es damals erlebte, war durchaus nicht immer nur Spaß und Hallodri-o. Schon im ersten Semester durfte ich erfahren, dass die Sorge um den schnöden Mammon auch in meiner harmlosen Studentenunterkunft schon ihr Unwesen trieb und Anlass genug war, selbst um kleinste Pfennigbeträge hart zu streiten – eine Unsitte, die mir aus dem eigenen Elternhaus, das wahrlich nicht auf Rosen gebettet war, so gut wie unbekannt war. Damals wie heute litten viele Studenten unter ständiger Geldknappheit und hatten daher im Allgemeinen weniger als (k)eine Mark zu verschenken.
Demgegenüber galt für mich bis zum Ende meiner Schulzeit, vor dem Studium also: Wer nichts hat, hat auch nichts, worum er sich Sorgen machen kann. Aber jetzt war nicht nur ich selbst in der Fremde ganz auf mich allein gestellt, auch die anderen jungen Erwachsenen um mich herum mussten ohne die praktische Hilfe ihrer Eltern zurechtkommen und hatten oft so ihre liebe Not damit.
In meinem ersten Semester waren die meisten Studenten sogar noch erheblich älter als ich und kamen mir daher sehr erfahren und weise vor. Bis ich bemerkte, dass sie sich bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten immer noch absolut kindisch benahmen. (Genauso wie es manche Erwachsene bis ins hohe Alter tun...) Und je geringfügiger der Anlass, desto kindlicher die Methoden:
Zum Wachwerden gehört auch bei Studenten reichlich Zucker in den ersten Morgenkaffee, und wenn man selber keinen hat, dann kann sich ja immer noch bei anderen bedienen. So dachte jedenfalls ein unbekannter Mitbewohner in unserem Studentenwohnheim. (Mitbewohnerinnen hatte ich in diesem ersten Studiensemester noch keine, denn es handelte sich wegen der Gemeinschafts-Toiletten und Waschräume bei meiner ersten Unterkunft sogar im Jahre anno 1970 noch um ein reines Männerwohnheim.) Heimlich, still und leise stibitzte er derart massenweise Zucker aus der Dose eines anderen Studenten, dass dieser sich zu Gegenmaßnahmen gezwungen sah. Er beriet sich mit einigen anderen, ihm vertrauenswürdig erscheinenden Heimbewohnern. Gemeinsam kann man auf die glorreiche Idee, den Zucker in der Dose komplett gegen Salz auszutauschen.
Am anderen Morgen wurden alle Mitstudenten, die ihren Frühstückskaffee im Gemeinschaftsraum tranken, aufmerksam und mit Argusaugen beobachtet. Jeden Moment erwartete man, dass einer der Studenten, der den versalzenen Kaffee trinkende Zuckerdieb nämlich, das Spucken anfangen würde.
Doch man hatte nicht mit der Abgebrühtheit dieses Gewohnheitsdiebes gerechnet. Keiner der morgendlichen Kaffeetrinker verzog eine Miene, obwohl sich der gesuchte Mitbewohner – wie man im Nachhinein schadenfroh feststellte – reichlich Salz in den Kaffee getan hatte. Der scheinbar so geniale Trick war aber dennoch vollkommen ins Leere gelaufen. Und er ließ sich dummerweise auch nicht mehr so ohne Weiteres wiederholen, denn ab sofort fand man auf dem privaten Zucker-, beziehungsweise Salzvorrat