Wir haben alle mal klein angefangen. Rainer Bartelt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wir haben alle mal klein angefangen - Rainer Bartelt страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
Wir haben alle mal klein angefangen - Rainer Bartelt

Скачать книгу

musste also nach einem neuen Weg suchen, den mit allen Wassern gewaschenen Dieb zu täuschen, und dabei noch schlauer vorgehen als zuvor: Die Dose wurde wieder bis zum Stehkragen mit Salz gefüllt. Aber ganz zum Schluss kam oben drüber noch eine hauchdünne Zuckerschicht! Man kicherte leise über diesen genialen Einfall und wartete gespannt auf den nächsten Morgen.

      Grundsätzlich war die neue Strategie auch erfolgreich, denn tatsächlich – der fiese Zuckerdieb wurde erneut getäuscht: Wie beim ersten Mal tat er sich reichlich Salz in seinen Kaffee, und wie beim ersten Mal verzog er keine Miene beim Trinken. Daher führte selbst diese eigentlich hoch geniale Gemeinschaftsidee nicht zur Enttarnung unserer diebischen Elster.

      Um eine lange Geschichte abzukürzen, man hat den gemeinen Zuckerdieb am Ende doch noch überführt. Wie? Ganz einfach: Statt Salz tat man schließlich Waschpulver in die Zuckerdose, mit einem Hauch von Zucker darüber, und Bingo – der Schaum auf dem Kaffee war nicht zu übersehen und nicht zu leugnen. Und – Ende gut, alles gut – nach diesem preiswürdigen Geniestreich herrschte endlich wieder Friede in unserer studentischen Gemeinschaftshütte!

      Schwarze Milch

      Recht raue Sitten herrschten also im unmittelbaren Umfeld meiner allerersten Studentenbude in einem der letzten der damals in Göttingen noch verbliebenen Unisex-Wohnheime. Reine Frauen- und Männer-Wohnheime waren zu der Zeit allerdings nicht wirklich eine Besonderheit, denn bis zum Ende der sechziger Jahre galt der Kuppelei-Paragraph §180 in voller Schärfe auch für Erwachsene und war insbesondere bei privaten Vermietern von Studentenbuden entsprechend gefürchtet! (Bitte melden: Wer kennt den §180 StGB heute noch?)

      Aus Angst vor Strafe durften nach 22 Uhr abends und vor 6 Uhr morgens absolut keine weiblichen Wesen in unserem Heim gesehen werden. Was man dagegen tun konnte? Um der damals schon nicht mehr ganz zeitgemäßen Vorschrift nachzukommen, sperrte man die holde Weiblichkeit nach 22 Uhr einfach in das eigene Zimmer ein und entließ sie erst morgens nach 6 Uhr wieder in die Freiheit. Ausreichend Zeit für ein ausführliches körperliches Miteinander also. So wurde der Sinn und Zweck des Kuppelei-Paragraphen mit ein bisschen destruktiver Fantasie ganz einfach in das genaue Gegenteil verkehrt.

      Raue Sitten also. Mein erstes Weihnachten wollte ich nicht fern der Heimat, sondern natürlich zuhause bei meinen Eltern und Freunden verbringen. Vor der langen Heimreise mit dem damals noch größtenteils dampfbetriebenen Zug versuchte ich noch, mich mit einem selbst gekochten Teller Spaghetti, Tomatensoße und leckerem Parmesankäse zu stärken. (Alles vom billigen ALDI, versteht sich!)

      Ob’s am Reisefieber lag? Jedenfalls schaffte ich es nicht, die ganze Portion italienische Nudeln in einem Rutsch aufzuessen. Daraufhin dachte ich so bei mir, dass es doch bestimmt eine feine Sache sein würde, drei Wochen später wieder nach Göttingen zurückzukommen und dort im Gemeinschaftskühlschrank einen leckeren Essensrest vorzufinden. Schnell wieder warm gemacht, würde ich ihn mit großem Appetit und Genuss verspeisen, ausgehungert von der ebenso langen Rückreise mit der Bahn.

      So jedenfalls dachte ich mir’s und stellte meine Restspaghetti mitsamt Soße, Käse und Besteck in den Kühlschrank, optisch ansprechend auf einem wunderschönen, giftgrünen Plastikteller angerichtet. (Diesen todschicken und topmodischen Teller hatte ich gleich zu Beginn meines Studiums für kaum ´ne Mark günstig beim HERTIE um die Ecke erstanden.)

      Ich war nicht wenig überrascht, als ich gut drei Wochen später weder Teller noch Besteck, geschweige denn meine Spaghetti im Kühlschrank wiederfand. Die im Tagesraum anwesenden Mitbewohner sahen mich ratlos ins leere Kühlfach starren.

      „Du suchst deine Nudeln?“

      „Ja!“

      „Ach, du warst das!“

      „Ja, wieso? Das waren meine Spaghetti! Wo sind die denn jetzt?“

      „Die haben wir weggeworfen.“

      „Warum denn bloß?“

      „Die waren doch total vergammelt, Mann. Und gestunken haben die auch – zum Hundserbarmen!“

      „Ja, wirklich? Das ist dumm! Wo ist denn jetzt mein Teller?“

      „Den haben wir gleich mit weggeworfen!“

      „Was? Etwa mitsamt dem Besteck?“

      „Na klar, Mann: mitsamt dem Besteck!“

      Ich muss sagen, Mitleid oder tätige Reue sahen anders aus. Dabei war mir gerade dieser so schön giftgrüne Plastikteller – der erste Teller, den ich mir jemals von meinem eigenen Geld gekauft hatte – schon nach kürzester Zeit so ans Herz gewachsen, dass ich mich auch heute noch mit Schmerzen an diesen bedauerlichen Verlust erinnere.

      Wenn ich allerdings so recht darüber nachdenke, hat man Teller, Besteck und Spaghetti nach drei langen Wochen im Kühlschrank wahrscheinlich überhaupt nicht mehr voneinander trennen können – weder optisch noch mechanisch. Die Reaktion meiner Kommilitonen war im Nachhinein also irgendwie verständlich. Dumm gelaufen...

      Abschließende Verständnisfrage zum Thema „Studenten und ihre Essensvorräte”: Wie bekommt man schwarze Milch? Ganz einfach: In den Kühlschrank stellen und vergessen. Die Steinkohlebriketts der Neuzeit sind ursprünglich wohl auch auf diesem Wege entstanden. (Vielleicht gab’s ja schon in prähistorischen Zeiten Kühlschränke und Milchtüten!)

      Die Liebe und das Raucherbein

      Aber nicht nur Männer machen schräge Sachen, auch bei Studentinnen stieß ich gelegentlich auf recht merkwürdige Kausalzusammenhänge, die nicht so ganz in mein damals noch überwiegend logisch geprägtes Weltbild passen wollten:

      Eines schönen Tages hatte ich mich über beide Ohren in eine süße Medizinstudentin verliebt. Fast jeden Abend hing ich mit ihr zusammen auf ihrer Bude ab. Zu meinem großen Bedauern war sie im Umgang mit mir eigentlich immer sehr zurückhaltend. Vielleicht lag es daran, dass sie Kettenraucherin und ich ein überzeugter Nichtraucher war.

      Eines Abends war sie besonders wortkarg und niedergeschlagen.

      „Was ist mit dir los? Geht es dir nicht gut?“, fragte ich besorgt.

      „Nein, mir geht’s wirklich nicht so gut. Ich musste heute bei einer Operation zuschauen.“

      „Und was war? War die Operation besonders schlimm?“

      „Ja, einem Raucher musste das Bein amputiert werden.“

      „Oh!“

      „Sein letztes Bein: Das andere war ihm schon vor zwei Jahren abgenommen worden!“

      „Tatsächlich, sowas gibt’s? Warum hat dieser Verrückte denn nicht aufgehört zu rauchen? Er musste doch wissen, dass er auch sein letztes Bein noch verlieren würde! Wie kann man nur so dumm sein?“

      „Tja, heute – diese Amputation, das war wirklich ganz besonders schlimm!“

      „Und? Was hast du nach der Operation gemacht?“

      „Ich? Was ich getan habe? Um über den Schock hinwegzukommen, bin ich erstmal vor die Tür gegangen und hab mir eine Zigarette angesteckt!“

      Besagte

Скачать книгу