Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner

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Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner Die Diener der Krone

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Zimmer hellte sich auf, als der Alte sich vom Kamin entfernte. Sein ritusähnlicher Weg führte ihn zu dem Fenster, gegen das der Regen klatschte. Mit dem Finger strich er über das Glas als suchte er einen unbekannten Ort auf einer riesigen Landkarte.

      Dann endlich, als er sicher war, dass nirgends draußen mehr ein fremdes Licht leuchtete, zog er seinen Körper auf einen mächtigen Sessel neben dem Bett.

      Der Junge wurde unruhiger. Seine Finger spielten mit dem ausgefransten Saum der obersten Decke.

      Aber noch ließ der Narr sich Zeit mit seiner allabendlichen Geschichte.

       „Weißt du, mein Junge“, erlöste der Narr das Kind schließlich. „Habe ich dir schon die Geschichte erzählt ...“ Der Alte sprach gedehnt und doch klang jedes Wort auf seine Art melodisch.

      „Nein“, antwortete der Knabe prompt.

      Der Mann lächelte gutmütig. Der Kleine hatte recht. Noch nie hatte der alte Mann eine Geschichte zweimal erzählt. Und im ganzen Reich würde man keinen finden, der diese Geschichten einem Jungen verraten würde. Eigentlich wäre es schwierig genug einen zu finden, der sie überhaupt kannte. Es waren Erinnerungen aus Büchern, die längst nicht mehr gelesen wurden.

      Für sich genommen war keine davon unsagbar böse oder gar gefährlich. Nein, eigentlich war jede Erzählung, wie sie in einem Geschichtenbuch hätte stehen können – aber dem war nicht so. Zusammen ergaben sie das, womit alles anfing, oder womit alles einmal anfangen würde – die Wahrheit. Eingraviert in die ver­schlungenen Pfade all derer, die gescheitert waren. Es zeigte, wie Verrat Mitleid belohnte. Dass Schmerz der Preis der Gefühle war. Vor allem zeigte es, dass der Friede deshalb verwehrt blieb, weil keiner den Mut und das Opfer aufzubringen in der Lage war, den Weg zu Ende zu gehen, den schon so viele begonnen hatten. Ein Leben voller Qual und der Bann wäre durchbrochen. Ein Jahr­hundert voller Finsternis und die Welt wäre befreit.

      Mal erzählte der Narr von dem alten König, der starb, weil er keine Angst hatte. Von dem Thronbesteiger, der sein Reich verlor, weil sein Volk den Glauben an seine Güte verloren hatte. Von Magiern, die ihrer Gier nach Macht erlagen. Von Freunden, die zu Feinden wurden, weil der eine den Weg nicht zu Ende gehen wollte.

      Alles in allem, so befand das Prinzenkind, konnte er viel von dem Narren lernen. So etwa, dass Wissen und Unwissen jeweils Fluch und Segen sein konnte. Hoffnung und Wut ebenso Gift wie Heilung versprechen konnte.

      Die Stimme des Alten verebbte und das Knistern des Kamins und das Prasseln des Regens erfüllte von Neuem den Raum. Der Junge lag schweigend da und stierte gegen den Baldachin seines Bettes.

      „Ich habe Angst davor“, hauchte das Kind.

       „Wovor?“ Die Stimme des Narren klang einfühlsam und warm.

      „Davor, dass ich zu schwach sein werde.“ Er suchte nach einer Antwort in dem über ihm hängenden Stoff.

      „Wenn deine Zeit gekommen ist, mein Junge?“

      „Ja, wenn ich König bin.“

      „Du kennst dein Schicksal. Genauso kennst du die Gefahren.“ Der alte Mann strich über die Decke des Jungen. „Das Volk braucht dich. Es wird dir vertrauen.“

      „Aber, wenn ich dieses Vertrauen nicht verdiene?“ Die Sorgen des Jungen waren groß für jemanden seines Alters.

      „Du weißt, was ich dir erzählt habe.“

      „An allem zweifeln, aber niemals an mir!“ Der Junge betete den Satz hinunter, ohne ihn wirklich zu glauben.

      Er liebte das Volk seines Vaters. Er liebte sein Volk und er wollte alles tun, damit es diesem gut erging. Alles!

      „Du weißt, es kommen dunkle Zeiten.“ Das Gespräch nahm altbekannte Züge an. Der Junge würde nicht aufhören die gleichen Fragen wieder und wieder zu stellen, genauso, wie der Narr niemals müde wurde, ihm zu antworten.

      „Aber mein Vater sagt doch, dass das Hirngespinste sind!“

      „Dein Vater sieht es nicht, weil er es nicht sehen will! Die Zeichen der dunklen Mächte bleiben ihm verborgen, weil er in seinem tiefsten Inneren weiß, dass er ihnen nicht gewachsen sein würde. Vor langer Zeit hat er eine Entscheidung getroffen – und was immer auch geschieht, er wird nie etwas tun, was diese nichtig werden lässt.“

      Wie immer an dieser Stelle, so schwieg der Junge auch diesmal.

      „Und mir verbietet er dieses Wissen, da er mich schützen will.“ Der Junge klang nachdenklich.

      Der Narr konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. Diese Wendung war neu und es hatte ihn beinahe einen ganzen Winter gekostet, bis der Gedanke sich bei dem Jungen hatte ein­nisten können.

      „Er liebt dich, vergiss das nie!“ Der Alte beschwor tiefe Falten der Sorge auf seine Stirn. „Wenn es etwas gibt, das der König mehr liebt als sein Volk, dann ist das seinen Sohn.“ Eine Pause setzte ein. „Lass niemals zu, dass er sich zwischen dir und deinem Volk entscheidet.“

      Stille.

      „Aber die Feinde von denen du sprichst, Großvater, warum habe ich noch nie einen von denen zu Gesicht bekommen?“

      „Dunkles weilt, wo es dunkel ist. Böses graust im Verborgenen. Wären sie gut, warum sollten sie sich verstecken?“

      „Vielleicht sind sie schwach. Vielleicht haben sie Angst!“ Der Königssohn konnte es nicht lassen, in jedem etwas Gutes zu sehen.

      „Glaubst du, Hochgeborener, dass du einem Feind der Krone gewachsen bist?“

      „Nein.“

      „Denkst du, Prinz, du könntest einen Verräter überwältigen, bevor er dir sein Messer in den Rücken rammt?“

      „Nein.“

      „Ah, siehst du!“ Der Alte setzte eine gutmütige Miene auf. „Und doch zeigst du jeden Tag dein Gesicht in der Öffentlichkeit. Du begibst dich auf die Straßen, auf denen dich Gesindel jederzeit ermorden könnte.“

      Der Knabe wollte eben ansetzen, Widerspruch zu geben, doch der Alte unterbrach ihn.

      „Und das alles bloß, weil dein Herz rein ist, weil du bereit bist, in jedem das Gute zu sehen.“

      Der Junge schluckte. Seine Gegenwehr brach zusammen.

      „Ich glaube, ich möchte jetzt schlafen, Großvater. Es war ein langer Tag.“

      „Sehr wohl mein Kind.“

      Der Junge drehte sich um und zog die Decken eng an sich.

      „Großvater?“

      „Mein Kind?“ Ein Lächeln stahl sich dem Mann ins Gesicht, da er die Frage bereits ahnte.

      „Warum bist du eigentlich Narr, wenn doch mein Vater König des ganzen Reiches ist?“

      „Angst, mein Junge!“ Der Alte lachte verlegen, als versuchte er seine Trauer zu überspielen. „Auch ich war König einst.“ Zwischen jedem Satz fügte er eine Pause ein. „Genauso wie dein Vater

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