Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner
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![Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner Die Diener der Krone](/cover_pre1104041.jpg)
Der Mensch war eine recht dürre Gestalt, fast doppelt so groß wie er selbst. Einem kräftigen Schlag von ihm würde dieser nicht standhalten können, soviel stand fest. Zu dumm, dass er gefesselt war. Der Mann blickte nicht zu ihm hin, sondern betrachtete besorgt ein steinernes Objekt vor sich. Almar musste mit aller Kraft gegen die Fesseln ankämpfen, um sich überhaupt ausreichend erheben zu können, und so war er sich nicht sicher, was er dort sah. War es eine Statur? Zumindest wirkte es so und der Mann strich mit einer Hand über sie hinweg, als würde er einem Kind liebevoll über den Kopf streicheln.
Von Neuem erhob der Mann seinen Meißel und versuchte im schwachen Schein der Leuchten der Büste ein Lächeln aufzuzwingen. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Almars Körper gewöhnte sich an die Anstrengung und so konnte er das Gesicht der Statur ausmachen. Sie war recht gelungen, musste er gestehen und er merkte, dass ihm der Anblick für einen Augenblick sein eigenes trauriges Schicksal vergessen ließ. Es war ein Mädchen, noch jung an Jahren, doch tiefe Trauer lag in ihren Zügen. Obwohl aus Stein, schienen die Augen zu weinen.
Etwas Schweres lag in dem Ausdruck der Büste, etwas das nicht von dem Stein herrührte. Almar versuchte den Mann erneut einzuschätzen. Obwohl er dessen Gesicht nicht erkennen konnte, sah er, dass diesem die gleiche, tiefsitzende Schwere anhaftete. Als habe nicht einzig dessen Alter an dem gekrümmten Rücken gezogen. Almar empfand beinahe Mitleid für diesen Mann. Sollte er es wagen, ihn anzusprechen?
Sei kein Narr, ärgerte er sich im selben Augenblick über seinen irrsinnigen Gedanken. Er musste hart bleiben, nicht für sich, sondern für sein Volk. Eide hatte er geschworen – er, der sich in so vielen Gefechten bewiesen hatte – doch niemals hätte er gedacht, dass er sein Leben so sinnlos hergeben müsste.
Almar ließ sich erschöpft auf die Platte sinken, die Riemen waren doch stärker, als er es war.
Als würde er dem Zwerg sein Ende verkünden, schlug der Mann mit seinem Hammer auf den fein geführten Meißel ein. Nach jedem Schlag hielt der Mann inne, darüber verängstigt, wie viel Lärm er verursachte. Nur sein angespanntes Atmen war dann zu hören.
Armer Mann, dachte der Zwerg. Hier lag er, mit breiten Riemen gefesselt, maß selbst kaum mehr als die Hälfte des Mannes und doch fürchtete sich dieser Mensch vor ihm. Deshalb auch wandte sich Almar von dem Mann ab, leicht mitleidig und nicht minder angewidert. Nur der Stimme des Steines horchte er, ohne aber eine Regung von sich zu geben.
Wieder vergingen Ewigkeiten während einzig die Ausrufe des berstenden Steines die Stille durchbrachen. Wie eine träge Uhr kündete jeder Knall, Schlag um Schlag, von den letzten Stunden des Zwerges. Obschon der Mann hier weilte, bildete sich Almar nicht ein, dass sich auch nur das Geringste an seinem Schicksal ändern würde. Er war dazu verdammt hier unten seine letzte Reise anzutreten, und seine Geheimnisse würde er mitnehmen. Dieser unzerbrechliche letzte Wille versteinerte von Neuem seine Miene. Er war ein Soldat, einer aus der Garde der Königin und allein seine Anwesenheit ließ einen Menschen verängstigt in eine Ecke kriechen. Ha, sollte der Tod nur kommen, er würde ihm mit Würde folgen.
Allmählich begann der Mensch sich von seinem erlittenen Schock zu erholen, oder zumindest bei seiner Arbeit den Zwerg zu vergessen. Seine Schläge wurden schwungvoller und seine Bemühungen diesem Stein seinen Willen einzumeißeln leidenschaftlicher. Doch da mischten sich fremdartige, leise, aber doch störende Töne in die Musik der Arbeit des Mannes. Erneut waren es verhallende Schritte, die baldiges Eintreffen ankündigten. Der Mann bemerkte es zunächst nicht und ließ nichts von seinem neu erlangten Elan missen. Selbst als sich ein neues Lichtspiel an der Wand breitmachte, sah der Mann nicht von seiner Arbeit auf.
„Wie ich sehe, hast du Gesellschaft gefunden, verehrter Zwerg“, höhnte eine hohe, verächtliche Stimme von der Treppe her und die felsigen Wände waren begierig sie verzerrend zurückzuwerfen. In einiger Entfernung folgten zwei Soldaten lärmend herab.
Wenigsten waren seine pochenden Kopfschmerzen abgeklungen, denn diese Stimme war so schon schwer genug zu ertragen.
Der alte Mann hielt erschrocken inne. Der Zwerg aber ließ kein Zucken über sein Gesicht fahren.
Für den Handwerker interessierte sich der Ankömmling jedoch nur geringfügig. Ohne eine Begrüßung ließ er diesen vor dessen Büste unbeholfen und mehr als nur wenig verunsichert verharren.
Der Zwerg spannte seine Muskeln, während er die sich nähernden Schritte des Störenfrieds vernahm.
„Du wirst sicher nicht mit mir reden wollen?“, fragte der bleiche Ankömmling mit einem beinahe liebevollen Ton, der dem Zwerg das Gefühl gab, er müsse sich übergeben.
„Schade, und dabei bin ich doch froh solch hohen Besuch in dieser schlichten Halle empfangen zu dürfen“, fuhr die hagere Gestalt ihren Monolog fort. „Nicht wahr? Das bist du doch. Herr Almar, Wächter über die Hallen der Herrin der Welt der Regenwürmer.“ Der Mann lachte. Nicht nur dem verängstigten Steinmetz lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Dieses Lachen hatte nichts Menschliches an sich. Nicht, dass einen Zwerg so etwas stören sollte, und dennoch tat es dies. Es drang tiefer als jedes Messer und griff mit kalten Fingern nach dem Herzen. Es ließ ihn erahnen auf welch finsteren Pfaden er seinen Weg ins Totenreich beschreiten würde. Fast schon betete der Zwerg zur Mutter Erde, dass der Handwerker ihn foltern sollte. Denn so wenig er über diesen Neuankömmling wusste, eines war er sich sicher – dieser verstand sein grausames Handwerk.
So leicht, wie er es sich in den letzten Stunden vorgestellt hatte, würde er diesen Mann nicht hinters Licht führen können. Woher wusste dieser das alles? Keiner hatte seinen Namen erwähnt, dessen war er sich sicher. Nur an wortlose Schreie der Wut konnte er sich erinnern. Angst beschlich Almar, nicht wegen der Messer, sondern wegen des Wissens dieses Mannes.
„Du wunderst dich sicher, warum du hier bist“, fuhr der Mann mit einer Gleichgültigkeit fort, die allein schon furchterregend war. „Nun, nenn es Zufall. Einer meiner Schüler wollte meine Gunst gewinnen. Dachte du wärest nützlich – doch da hat er sich geirrt.“
Die dürre Gestalt in ihrem dunkelblauen langen Umhang schritt gemächlich um die steinerne Platte, auf der der Zwerg wie auf einer Totenbarre lag. Mit vorgetäuschtem Interesse fuhr er mit seiner leichenblassen Hand über den muskulösen Körper des Gefesselten. Dieser jedoch gab keine Regung von sich. Er würdigte seinen Peiniger mit keinem Blick. Ein solches Gesicht musste man nicht gesehen haben, soviel stand fest. Jemand, der eine solch unnatürliche Stimme, die seine nannte, konnte nicht von Schönheit gesegnet sein.
„Wie du dir nun sicher einredest, mir nichts zu verraten.“ Der Wortführende zwang sich zu einem mitleidigen Lachen. „Aber alles unnötig. Selbst dein Tod. Nicht einmal einen ehrenhaften Tod wirst du erleiden. Denn ich weiß bereits mehr als selbst du. Aber ...“, er hielt kurz inne, wobei er seine kalten Finger auf der Schulter des Zwerges ruhen ließ. „... ich will kein Unmensch sein.“ Ein markerschütterndes dünnes Lachen ertönte aus seiner Kehle. „Wenn du mich um einen schnellen Tod bittest, so werde ich ihn dir gewähren.“ Er beugte seinen Kopf über jenen des Zwerges um sein Gesicht zu so etwas Ähnlichem wie einem Lächeln zu verzerren. „Nur ein Wort und du kannst deinem Volk in die Welt der Toten vorausschreiten.“ Er fuhr über die Stirn des Zwerges. „Du wirst nicht lange auf sie warten müssen – dafür werde ich sorgen.“
Kein Zucken verriet, dass der Zwerg überhaupt am Leben war.
Der blasse Mann ließ einige Male seine Hand auf der Brust des Zwerges hüpfen, bevor er sich mit enttäuschtem Kopfschütteln abwandte.
„Schade, ich hätte mich dir gerne