Im Schatten der Dämmerung. Marc Lindner
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![Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner Die Diener der Krone](/cover_pre1104041.jpg)
Gegen Morgen bemächtigten sich dunkle Träume des Mädchens. Die Wirkung des Trankes war verflogen und sein Unterbewusstsein ließ es die letzten wachen Minuten wieder und wieder durchleben. Es sah die sterbende Mutter blutüberströmt zu Boden sinken, während ihr Mörder dunkel auflachte.
Es hatte dies alles aus nächster Nähe gesehen. Es hätte sich verstecken sollen, doch es konnte es nicht. Als der Mörder abermals auf ihre Mutter einstechen wollte, war sie aus der Hütte hervorgesprungen und auf ihn zugestürmt. Dieser lachte aber nur dunkel auf und trat es mit einem kräftigen Hieb zur Seite. Es stürzte gegen die Wand und verlor sein Bewusstsein.
Im Osten war der Morgen längst noch nicht zu sehen, als das Mädchen aus einem Albtraum erwachte. Es richtete seinen Oberkörper auf und lehnte sich gegen den Stamm. Es wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Es war noch erschöpft, aber es fürchtete sich zu sehr einzuschlafen. Der alte Mann war seit zwei Stunden zurück und ruhte sich aus. Schlaf fand er aber keinen. Er versuchte sich einen Reim daraus zu machen, doch die vergangenen Wochen ergaben keinen Sinn. Auch nicht das Gelächter der Männer, als er sie schließlich eingeholt hatte. Sie waren wie von Sinnen und selbst die Letzten hatten bis zum Tod gekämpft obwohl ihnen da bewusst sein musste, dass sie nichts gegen ihn ausrichten konnten. Er gab dem Mädchen ein Stück Brot zum Kauen, damit es etwas zu tun hatte. Davon, dass er weggewesen war, sprach er kein Wort.
Der Alte musterte das Mädchen mit durchdringenden Blicken und so trafen sich ihre Blicke gedankenschwer. Der einsame Pilger und das Mädchen waren sich fremd, doch gab es etwas, das sie verband. Legarus konnte es nicht zurücklassen.
Am Morgen brachen sie sehr früh auf. Das Mädchen war unruhig und konnte nicht sitzen bleiben. Ständig stand es auf und ging hin und her. Ihr Kopf musste immer noch schmerzen, doch es war zu traurig und zu wütend, um es zu merken. Legarus hätte es besser gefunden, wenn das Mädchen noch liegen geblieben wäre, doch da es dies wohl nicht konnte, fand er es besser sie würden hier weggehen. Mit dem anbrechenden Morgen würde das Mädchen sicher zurück ins Dorf wollen. Aber dort gab es nichts, das es sehen sollte. Sie ließen den Ort des Grauens schweigend hinter sich. Nur einmal, als das noch immer glimmende Dorf am Horizont unterzugehen drohte, drehte sich das Mädchen um, und blickte mit gemischten Gefühlen auf die einstige Heimat. Es wusste, dass es nicht blieben konnte und es wollte es auch nicht.
Der einst einsame Pilger hatte nun Gesellschaft. Darüber wunderte er sich wohl selbst am meisten. Es war schon lange her, dass er unter Menschen weilte. Dennoch hatte er viel Trauer und Leid gesehen und oft auch Mitleid gefühlt, aber er hatte sich nie einer verlassenen Seele angenommen. Er half, wenn er sah, dass seine Hilfe notwendig war, aber dann verschwand er so wie er gekommen war. Er wusste zu welchen Forderungen es führte, wenn er irgendwo länger blieb. Aber das Mädchen würde diese Wünsche nicht äußern und vielleicht fand er auch einen sicheren Ort für es.
Lange durchstreiften sie das Land, ohne dass ein überflüssiges Wort fiel. Unruhig hielt der alte Mann den Horizont im Blick. Er suchte nach Zeichen, die er eigentlich nicht sehen wollte. Nach einem weiteren Tagesmarsch gegen Osten, entzündete Legarus ein kleines Lagerfeuer an das sie sich setzten.
„Wer bist du?“ Das vom Schicksal getroffene Mädchen gab erstmals ein Wort von sich. Legarus hatte sich an das Schweigen des Mädchens gewöhnt, und war sichtlich überrascht von der unvermittelten Frage. Er dachte eine Weile nach und wog seine Worte genau ab.
„Ich bin Legarus, Feind aller Verräter, Freund, dem der einen braucht.“ Ein Glitzern in seinen Augen verriet, dass er nicht viel von sich preisgeben wollte. Seine zerschlissenen und von der Sonne geblichenen Kleider standen in groteskem Gegenteil zum restlichen Erscheinungsbild. Ihn umgab eine kraftvolle Aura, die Willenskraft und Weisheit ausstrahlte. Sein bis jetzt nachdenkliches Gesicht nahm weichere Züge an, als er die Frage erwiderte. Durch ein weiteres Lächeln des alten Mannes wurde das Mädchen redseliger und begann zaghaft von sich zu erzählen.
„Mein Name ist Asylma und mein Vater war Manarus.“ Stolz erwachte in den traurigen Augen des Kindes, als es fortfuhr. „Er war ein großer Krieger.“
Legarus nickte und versuchte sich an einen solchen Namen zu erinnern. Doch er fand keine Erinnerung an einen Mann, der infrage kommen konnte. Doch das sorgte ihn nicht, ohnehin waren die Namen, die es bis zu ihm schafften, von einem schlechten Ruf begleitet. Wahrscheinlich war ihr Vater einer der vielen Bauern, die aus Not zum Dienst an den Waffen bereit waren. Und die Geschichten eines großen Kriegers wurden gerne erzählt, um den Kindern das Gefühl von Sicherheit zu schenken.
In Tränen sprach Asylma von ihrem Vater und ihrer Mutter. Über den einen Tag aber verlor es kein Wort. Sie redete und verdrängte, was sie nicht verkraften konnte. Legarus war ein guter Zuhörer. Er ließ Asylma ohne viele Unterbrechungen reden. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, aber Asylma verdrängte das und wischte sie weg. Jedes Wort, das ihrem Mund und gleichsam ihrer Seele entwich, schenkte ihr neue Kraft und ihre Muskeln entspannten sich. Asylma versuchte mit ihren Lippen ein Lächeln zu formen, doch die Augen blieben dabei leblos. Legarus bereute es nicht, sich ihrer angenommen zu haben. Doch Gedanken setzten sich bei ihm in Gang, die er nicht mehr zum Verstummen bringen konnte. Es durfte nicht so weitergehen. So oder so, er musste einen neuen Weg einschlagen.
Asylma fürchtete sich vor dem Einschlafen und so versuchte sie sich der Müdigkeit zu widersetzen. Mehrmals versuchte Legarus, dass sie schlafen sollte, doch jedes Mal stellte sie eine andere Frage oder erzählte etwas, das ihr Vater ihr erklärt hatte. Legarus verstand sie nur zu gut und kochte ihr einen Tee, der ihr half einzuschlafen. Legarus beschloss eine Stadt aufzusuchen, um Asylma ein Pferd zu besorgen und den Proviant aufzustocken. So wurde Lasyla, eine kleine Provinzstadt am Rande des Einflussgebietes Masborns, zu ihrem neuen Ziel. Asylma hatte sich ihrem neuen Schicksal ergeben. Was blieb ihr anderes übrig? Der schweigsame Fremde war der einzige, den sie hatte. Die Sterne schimmerten schon lange durch die schützenden Äste der Eiche, unter der sie lagen, bevor der Schlaf sie überwältigte.
Asylma war froh, als die Nacht vorbei war und sie aufbrachen. Sie erhaschten neugierige Blicke, wenn sie an vereinzelten Höfen vorbeikamen. Auch wenn Legarus abseits der Wege ritt, so konnte er es nicht überall vermeiden gesehen zu werden. Die Bauern versteckten sich und schielten hinter zerschlissenen Gardinen hervor. Noch hielten sich die meisten in ihren Hütten auf. Viele waren nach dem Winter eben erst von ihren Söldnerdiensten zurückgekehrt und kümmerten sich nun um ihre Werkzeuge, damit sie ihren letzten Sold, den sie oft genug in Form von Saatgut erhielten, bald in die Erde bringen konnten. Einzelne Reiter bedeuteten auf dem Land selten etwas Gutes. Insbesondere wenn es sich nicht um einen Ackergaul handelte. Besonders diese Zeit kurz vor der Aussaat war überlebenswichtig.
Gegen Mittag sahen sie unter der hellstrahlenden Frühlingssonne eine kleine verfallende Stadt, die aus einem ungeordneten Haufen von dicht stehenden Häusern bestand. Am Stadttor angelangt, wurden sie von schlecht gelaunten Wachsoldaten begrüßt, die bis gerade eben friedlich unter einem Schatten spendenden Strauch ihren Rausch ausgeschlafen hatten.
„Wer seid ihr? Was wollt ihr?“, raunte sie ein mürrischer Soldat an, ohne sich die Mühe zu machen seine Missachtung zu verheimlichen. Legarus suchte ein möglichst unbedeutendes Erscheinungsbild abzugehen.
„Wir sind Pferdezüchter aus Horjza und wollen hier Lebensmittel erwerben und ...“
Einer der Soldaten wank ab.
„Ja ja, ist schon gut!“ Darauf gaben sie den Weg durch das Tor frei. Als sie passierten, begutachteten die Soldaten sie mit bösen Blicken. Sie waren schon ein Stück weit gegangen und merkten so nicht, wie sich einer aus dem Wachtrupp auf den Weg zur Stadtmitte begab.
In der Stadt