Bis die Gerechtigkeit dich holt. Ute Dombrowski
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Читать онлайн книгу Bis die Gerechtigkeit dich holt - Ute Dombrowski страница 6
„Ja, meine Freundin Nele war zuständig, aber die Ermittlungen laufen nicht mehr in Richtung der Familie. Sie war sich sicher, dass er der Täter war.“
„Anscheinend hat ihn jetzt jemand dafür bestraft.“
„Die Rose war weiß. Wenn sie rot gewesen wäre, könnte man an ein Verbrechen aus Leidenschaft denken, aber sie war weiß und weiß steht für Unschuld, Reinheit, aber auch Abschied.“
„Ach ja, da spricht die hochsensible Frau. Nun guck nicht schon wieder so böse, ich bin doch froh, dass es dich gibt und du diejenige von uns beiden bist, die mit dem Herzen denkt.“
„Das hast du aber nett gesagt. Dankeschön.“
„Ich bin immer nett.“
Bianca begann zu lachen und rief dann in der Gerichtsmedizin an, um zu fragen, was es Neues gab. Sie brummte ab und zu in den Hörer, hörte lange und geduldig mit verkniffenem Gesicht zu und legte dann auf.
„Und?“, fragte Michael.
„Ein Stich in die Schulter, mit großer Kraft ausgeführt, Täter ist in etwa gleich groß, also eher klein, aber kräftig. Dann ein zweiter Stich in den Hals und der Doktor hat mir gerade erklärt, wie der Täter mit dem Messer in der Wunde herumgerührt hat. Widerlich. Ansonsten war er wohl danach sofort tot, weil es ihm die Halsschlagader zerrissen hat. Da hatte jemand Kenntnisse der Anatomie.“
„Nein, das muss man dafür nicht, denke ich, weil jedes Kind weiß, wenn man einem die Halsschlagader durchschneidet, ist man ziemlich tot.“
Bianca sah ihn grimmig an und erwiderte: „Kinder denken nicht an solche Dinge, nur Erwachsene. Tu nicht immer so überheblich, das bist du nämlich gar nicht.“
7
Lisa war am Nachmittag zum Supermarkt unterwegs. Es war Wochenende gewesen und am Montag der erste Mai, nun konnten die Leute endlich wieder einkaufen gehen. Dementsprechend voll war der Parkplatz und Lisa musste ihr Auto weit entfernt vom Eingang abstellen. Als sie die Tür öffnete, tat das der Fahrer des benachbarten Fahrzeugs, das rückwärts in der engen Lücke stand, auch gerade und die Türen schlugen krachend gegeneinander.
„Ach du Scheiße!“, rief ein sportlicher Mann Mitte zwanzig. „Meine Schwester erschlägt mich. Haben Sie keine Augen im Kopf?“
„Oh, es tut mir leid, ich habe nicht gesehen, dass da jemand im Auto sitzt. Sie haben mich ja auch nicht gesehen. Was nun? Rufen wir die Polizei?“
Der junge Mann lächelte Lisa aus sanften, grauen Augen an und strich sich eine kastanienbraune, mittellange Haarsträhne hinter das Ohr. Seine schmalen Lippen öffneten sich leicht und er zischte durch die weißen Zähne hindurch, als er die Beule in der Tür sah.
„Mist, das gibt Ärger. Sie müssen wissen, meine Schwester hat mir das Auto heute geliehen, weil ich noch Hundefutter holen will. Sie ist Staatsanwältin und sehr genau. Wir müssen die Polizei holen, sonst macht sie mir die Hölle heiß. Obwohl ich einer so hübschen Frau das gerne ersparen würde.“
Lisa senkte den Blick und errötete. Noch niemals hatte ein Mann so offensiv mit ihr geflirtet und wenn einer damit angefangen hatte, dann war sie schnell weggelaufen. Männer waren ihr im Allgemeinen suspekt, dieser hier war forsch und er gefiel ihr sehr gut. Als sie wieder aufschaute, sah sie sein unwiderstehliches Lächeln und nickte nur. Die Streife kam nach dreißig Minuten und nahm den Unfall auf, dann gab ihr der junge Mann seine Visitenkarte, denn es konnte nicht festgestellt werden, wer die Tür zuerst geöffnet hatte, also sollten sich die Versicherungen damit auseinandersetzen.
„Trinken Sie noch eine Tasse Kaffee mit mir auf den Schreck?“
„Ich … ich … muss einkaufen und … ich weiß nicht.“
„Nicht so schüchtern, das Schicksal hat uns zusammengeführt, es muss etwas bedeuten. Geben Sie sich einen Ruck, ich bin Sascha.“
„Ich bin Lisa, na gut, ich trinke mit Ihnen Kaffee.“
Sie liefen in Richtung Supermarkt und Sascha holte vom Bäcker zwei große Tassen Milchkaffee. Lisa hatte an einem Stehtisch gewartet. Sie unterhielten sich über belanglose Dinge wie das Wetter und den vollen Supermarkt, wobei Lisa zuhörte und Sascha redete. Er sah gut aus in seinem legeren, dunkelgrauen Jackett mit dem schwarzen Shirt darunter, dazu trug er Jeans und Turnschuhe. Außerdem war er locker und unterhaltsam, was man von Lisa nicht sagen konnte, denn sie war in seiner Gegenwart vollkommen eingeschüchtert. Sascha konnte seinen Blick nicht von der kühlen Schönheit mit den blauen Augen abwenden.
„Es wäre sehr nett, wenn wir uns mal wiedersehen könnten, aber Sie scheinen Angst vor mir zu haben. Oder finden Sie mich aufdringlich?“
„Entschuldigung, ich bin sonst nicht so. Sie haben mich eine wenig … ziemlich … durcheinandergebracht.“
„Sehr gut“, sagte er lachend und zwinkerte. „Geben Sie mir auch Ihre Telefonnummer, damit ich Sie anrufen kann, wenn ich noch Angaben für die Versicherung benötige?“
Lisa nahm einen alten Kassenbon aus der Handtasche und schrieb mit dem Kugelschreiber, den er ihr hingehalten hatte, ihre Telefonnummer drauf. Dann erklärte sie, jetzt endlich einkaufen zu müssen und verabschiedete sich. Sascha hielt ihre Hand ein wenig zu lange fest.
Im Supermarkt eilte sie durch die Gänge und suchte die wenigen Sachen zusammen, die sie benötigte. Dann bezahlte sie, nachdem sie eine halbe Stunde an der vollen Kasse warten musste und warf alles in den Kofferraum. Mit einem Seufzen stieg sie ein und fuhr heim nach Erbach, einem kleinen Weinbauort im Rheingau. Sie schloss die Tür auf, trug die beiden Einkaufstaschen in die kleine Wohnung und stieß mit dem Fuß die Tür zu. Ihre kleine Wohnung in dem Haus am Ortsrand war ihre Zuflucht, ihre Ruheinsel, denn hier wohnte nur noch die alte Frau Leisinger, ihre Vermieterin.
Die Wohnung befand sich im Dachgeschoss und hatte zwei Zimmer, eine Küche und ein Bad mit schrägen Wänden. Den Blick aus dem Fenster auf die endlosen Weinberge liebte Lisa sehr. Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, in der Stadt zu wohnen, eine tief im Inneren verborgene Erinnerung war das Leben auf den Lande, aber sie hatte nach dem Unfall alles darüber vergessen. Gerne hätte sie gewusst, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte.
Die Mutter hatte gesagt: „Wir sind weggezogen, weil du nicht an den Unfall und das alles denken solltest.“
Lisa hatte wie immer genickt, wenn die ihr so fremd gebliebene Frau etwas erklärte, denn sie hatte aufgegeben, alles zu hinterfragen. Sie räumte die Lebensmittel weg, öffnete ein Fenster und schaute hinaus. Langsam schlich die Dämmerung über den Horizont und setzte sich zwischen den Reben mit den grünen Blattspitzen fest. Die Sonne hatte sich heute nicht blicken lassen, nun saugte der Abend den Rest des Lichtes in sich auf.
„Sascha“, sagte Lisa mit einem Lächeln zu sich selbst.
Sie schloss das Fenster wieder, ging in die Küche mit den weißen Möbeln und kochte sich eine Tasse Tee zu den zwei Broten, die sie zusammen mit zwei kleinen Tomaten auf einem Brett ins Wohnzimmer balancierte. Dort ließ sie sich auf der breiten, schwarzen Couch nieder und schaltete den Fernseher ein. Der kleine Holztisch vor der Couch war überfüllt mit Büchern, den Fernbedienungen, dem Handy, einer Fernsehzeitung und einem Glas.
Plötzlich