Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel

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Der unheimliche

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ausgereicht, ein so armes Land mit einer selbst für diese Zeit unterentwickelten gewerblichen Wirtschaft und geringer Handelstätigkeit auszubluten. Aber es hatte noch die Verschwendung des Volksvermögens durch die prunkvolle Lebenshaltung des Königs zu ertragen. Der Ausbau der Residenz Berlin, die kostspieligen Liebhabereien Friedrichs I, der Juwelen in halb Europa aufkaufen ließ, die Nachahmung französischer Etikette sowie die barocken Feste, die mitunter Tage oder Wochen dauerten, verschlangen Unsummen, die von intriganten Hofbeamten durch immer umfangreichere steuerliche Auflagen aus dem Volk herausgepresst wurden. Der Anspruch auf Macht und Größe, den diese Lebensführung dokumentieren sollte, stand in eklatantem Widerspruch zur Wirtschaftskraft des Landes.

      Gegen Ende des ersten Jahrzehnts befand sich das Land kurz vor der Katastrophe. Die Einnahmen aus Steuern und Domänen reichten zur Deckung der Heereskosten und der luxuriösen Lebenshaltung nicht mehr aus. Jahr für Jahr wuchsen die Ausgaben, die Einnahmen aber gingen zurück. Durch neue Steuern, vor allem die verhassten Kopfsteuern, und eine Erhöhung der indirekten Abgaben auf Lebensmittel sollte das Defizit gedeckt werden. Aber das Loch in der Staatskasse wurde größer. Die Verwaltung war desorganisiert und zum Teil korrupt. Die an der Spitze des Staates stehenden Beamten hielten sich nur, weil sie immer wieder Mittel und Möglichkeiten fanden, die finanziellen Ansprüche des Monarchen auf Kosten der Bauern und Bürger zu decken. Am meisten litten unter den katastrophalen Zuständen die Bauern, die damals mehr als vier Fünftel der Bevölkerung ausmachten.

      Die Situation spitzte sich vor allem im Osten des Königreiches zu. Schon 1707 war die Lage der Bauern im ehemaligen Herzogtum, der jetzigen Provinz Preußen, so schlecht, dass in einigen Gegenden sogar Brot- und Saatkorn fehlten. Steuern und Abgaben an die Feudalherren verschlangen selbst das Lebensnotwendigste. Eine Hungersnot begann. In ihrem Gefolge traten Ruhr und Hungertyphus auf. 1708 wurden die ersten Pestfälle bekannt. Der schwarze Tod, der sich - begünstigt durch den Nordischen Krieg - zu Beginn des Jahrhunderts erst in schwedischen Lazaretten breitgemacht und dann Polen erfasst hatte, griff nun auch auf Preußen über. Die Seuche traf auf eine durch Hunger geschwächte Bevölkerung. Viele führten ihr Umsichgreifen auf die Hungersnot zurück. Trotz unvorstellbaren Elends gingen die Steuereintreibungen und Zwangsexekutionen weiter. Die Bauern flohen in die Wälder, sobald sich wieder ein Trupp von Steuereinnehmern näherte. „Wartet ein wenig, wir werden doch sterben, dann könnt Ihr alles, nehmen", erklärten die Bauern nach den Worten eines Beamten gegenüber ihren Peinigern.

      Die staatlichen Instanzen leisteten in dieser Situation keine wirksame Hilfe. Im Gegenteil, auch 1710. noch wurde verfügt, die Ausgaben für die Hofhaltung des Königs vor allen anderen zu sichern. Die Steuereintreibungen wurden verschärft. Das Elend erreichte seinen Höhepunkt im Sommer 1710. 102 000 Menschen raffte die Seuche allein in diesem Jahr in der Provinz Preußen dahin. Insgesamt waren hier 202 000 Tote das Resultat der beiden Pestjahre. Die Steuereinnahmen mussten unter diesen Bedingungen zwangsläufig zurückgehen. Tote konnten nicht geschröpft werden. Vor verlassenen Bauernhöfen und wüst gewordenen Äckern versagte auch der gewiefteste Steuereintreiber. In anderen Provinzen, die nicht unmittelbar von der Pest betroffen waren, kam es gleichfalls zu Ausfällen. So berichtete man aus dem Magdeburgischen von Erscheinungen des Verfalls, die auf eine Überbürdung mit Steuern zurückgeführt wurden. Das Land war erschöpft. Es trug die Lasten nicht mehr. Die Seuche in Preußen hatte den Ruin nur beschleunigt. Im Sommer 1710 stand Brandenburg Preußen kurz vor dem finanziellen Bankrott. Bei jährlichen Einnahmen von eineinhalb Millionen hatte das Defizit bis zu diesem Zeitpunkt schon fast eine Million erreicht. Hinzu kamen mehr als eine Million Schulden aus früheren Jahren. Erst in dieser Lage entledigte sich Friedrich I. seiner einflussreichsten Beamten und leitete Maßnahmen ein, um die Katastrophe abzuwenden.

      Als der junge Friedrich geboren wurde, war die Pest zwar eingedämmt und das Land begann sich zu erholen, aber elend genug war es um Brandenburg-Preußens Bauern und Bürger noch immer bestellt.

      1713 starb Friedrich I. Sein Sohn Friedrich Wilhelm kam auf den Thron. Er war ein Mann von anderem Kaliber. Unter dem Einfluss seines kalvinistischen Erziehers hatte er das höfische Treiben nur mit Widerwillen ertragen. Zwei Bildungsreisen in die bürgerlichen Niederlande hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Seit sich mit dem Sieg der bürgerlichen Revolutionen in den Niederlanden und in England eine neue Welt herauszubilden begann, waren vielfältige Wirkungen von ihr auf die feudalen Staaten Europas ausgegangen. Der wirtschaftliche Aufschwung dieser Länder, seine Verwaltungseinrichtungen und sein Heerwesen erregten Bewunderung und veranlassten zur Nachahmung. Ein Prozess der Anpassung an die neuen Verhältnisse setzte in einigen Staaten ein. Er griff im Russland Peters I. ebenso um sich wie in Brandenburg-Preußen unter Friedrich Wilhelm I. Sparsamkeit, die Tugend des bürgerlichen Mannes, regierte nun am preußischen Hof, dessen Ausgaben radikal gekürzt wurden. Die einfachere Lebensführung, Ordnung in den Staatlichen Finanzen und die Neugliederung und Vereinfachung der Verwaltung kamen der Bevölkerung in Brandenburg-Preußen aber nur bedingt zugute. Wie die Gedanken seines Vaters kreisten auch die Friedrich Wilhelms um die Großmachtstellung seines Landes. Hauptinstrument zur Erringung einer solchen Position war für ihn die Armee. Ausreichende Finanzen und ein jederzeit einsatzbereites starkes Heer sollten ihn davor bewahren, ein Spielball in den Händen der Großmächte zu sein, wie sein Vater es in gewisser Hinsicht gewesen war. Militärische Neigungen hatte Friedrich Wilhelm ebenso früh entwickelt wie seinen Widerwillen gegen das höfische Leben. Nun als König machte er das Militär zum Angel- und Mittelpunkt des Staates. Er verdoppelte die Stärke der Armee von 40000 Mann im Jahre 1713 auf 81000 Mann im Jahre 1740. Unter ihm nahm das Leben der gesamten Gesellschaft jenen militaristischen Zuschnitt und jene barbarischen Züge an, über die fremde Beobachter mit Schrecken berichteten und die sich als unheilvolle Tradition in der deutschen Geschichte fortsetzten.

      Der junge Friedrich, über dessen erste Lebensjahre wir schlecht unterrichtet sind, wuchs anfangs unter der Obhut seiner Mutter Sophie Dorothea auf, ohne unter seinem charakterlich unausgeglichenen, zu Jähzorn und Gewalt neigenden Vater allzu sehr zu leiden. 1.716 erhielt er seinen ersten Erzieher, einen etwa dreißigjährigen Hugenotten, Jacques Egide Duhan de Jandun, dessen Vater - einst Sekretär des französischen Heerführers Henri de Latour d'Auvergne Turenne - 1687 aus Frankreich nach Brandenburg geflohen war. Auf Duhan aufmerksam geworden war Friedrich Wilhelm I. während der Belagerung Stralsunds im Jahre 1715. Die Tapferkeit des jungen Mannes bewog den Monarchen, diesem die Erziehung seines Sohnes anzuvertrauen. Duhan löste seine Aufgabe mit viel Geschick, aber nicht immer zur Zufriedenheit des Königs. Gleichwohl lautete das Urteil seiner Zeitgenossen über ihn ziemlich einhellig. Duhan galt als ein kluger und geistvoller Mann. Die ältere Schwester Friedrichs, Wilhelmine, rühmte Jahre später in ihren Memoiren die großen Kenntnisse und guten Grundsätze des Franzosen. Der Prinz achtete seinen Erzieher und bewahrte ihm auch später - als dieser beim König in Ungnade gefallen war - seine Anhänglichkeit.

      Der König wollte seinen Nachfolger vor allem im Rechnen, in biblischer Geschichte und in der Geschichte der letzten 100 Jahre unterrichtet wissen. Latein lehnte er aus persönlichen Gründen ab. Weil er selbst auch unter unsagbaren Mühen nicht in die Anfangsgründe dieser Sprache hatte eindringen können, strich er sie aus dem Lehrplan seines Sohnes. Ganz auf die praktische Tätigkeit eines künftigen Monarchen ließ er auch später den Unterricht des Kronprinzen abstimmen. Wirtschaft und Völkerrecht, „eine elegante und kurze Schreibart" im Deutschen und Französischen, Mathematik mit dem Ziel ihrer Anwendbarkeit im Militärwesen - das waren nach Friedrich Wilhelms Ansicht die Kenntnisse, die ein künftiger Monarch brauchte. Vor allem zum Soldaten wollte er den jungen Friedrich erziehen, weshalb er befahl, ihm „die wahre Liebe zum Soldatenstande" einzuprägen.

      Doch der Sohn geriet nicht nach dem Willen des Vaters. Dessen soldatische Neigungen teilte er vorläufig nicht; die Jagd - Friedrich Wilhelms größtes Vergnügen - verabscheute er. Stattdessen las er lieber, wenn auch vorerst nur Romane, die ihm seine Lieblingsschwester Wilhelmine zusteckte. Der Kronprinz war eher ein schwächliches Kind mit musischen Neigungen als ein körperlich robuster Draufgänger, wie ihn sein Vater wünschte. Schon früh führten die charakterlichen Gegensätze zwischen beiden zu Spannungen. Friedrich war zwölf Jahre alt, als sich dieser Gegensatz erstmals öffentlich entlud. Während einer

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