Schatten der Anderwelt. Thomas Hoffmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schatten der Anderwelt - Thomas Hoffmann страница 15
Er schloss die Augen. Um die Anderwelterscheinung aus dem Diesseits zu verbannen, musste er sie dazu bringen, sich zu... zeigen, oder so ähnlich. Dreyfuß hatte für alle diese Dinge andere, gelehrte Worte gehabt, die Norbert sich nicht merken konnte. Aber das wichtige war, es durchführen zu können, nicht, es erklären zu können. Wenn Norbert die wirkliche Gestalt – oder so ähnlich - der Geistererscheinung erkannte, konnte er hoffentlich herausfinden, was sie ans Diesseits fesselte. Und dann konnte er sie vertreiben – für eine Weile, hoffte er. Und schließlich konnte er den Hausbewohnern erklären, hoffentlich, was sie tun mussten, um die Ursache für die Heimsuchung zu beheben, damit sie nicht wiederkam. So hatte Dreyfuß es immer gemacht.
Dreyfuß hatte vor einem solchen Ex..., Exor..., Norbert konnte sich das Wort nicht merken – vor einer solchen Geisteraustreibung alle möglichen Hinweise darauf gesammelt, worum es sich handeln könnte. Auch die nebensächlichste Beobachtung konnte wichtig sein, um auf die richtige Spur zu kommen, hatte er immer betont. Wenn man erst einmal im Kampf war mit was auch immer es war, dann war es überlebenswichtig, so viel darüber zu wissen wie möglich. Was hatte Norbert also an Hinweisen erfahren? Da war diese alte Truhe. Melanie hatte einmal heimlich mit dem Sohn des Ratsherrn hineingeschaut. Sie hatte ihm gesagt, was darin lag. Er hatte es sich nicht gemerkt. Was hatte er noch herausgefunden? Sein Kopf war leer. Er konnte das nicht, was Dreyfuß „recherchieren“ nannte. Er war unter Siedlern im Wald aufgewachsen. Er hatte nie eine Schule besucht. Recherchieren, das war das Wort! Aber das half ihm auch nicht weiter.
Seufzend stand er auf. Vor dem Küchenfenster lag die Nacht. Gegenüber im Fenster des Nebengebäudes brannte Licht. Die Dienstleute waren anscheinend nicht schlafen gegangen. Vermutlich saßen sie da drüben, wo sie sich in Sicherheit wähnten, und warteten darauf, wie das Ganze ausgehen würde. Norbert war es recht. Im Herrenhaus wären sie ihm nur im Weg gewesen. Dreyfuß hatte den Hausbewohnern immer streng verboten, auch nur in die Nähe einer Geisteraustreibung zu kommen.
Die Stille wurde von dumpfem Poltern unterbrochen, wie wenn oben im Haus ein schwerer Gegenstand zu Boden stürzte. Stiefelschritte hallten auf den Dielen.
Es ging los. Norbert holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen.
Stern meiner Geburt, steh mir bei!
Er löschte die Kerze, ging auf den Gang hinaus und schloss leise die Küchentür hinter sich. Mit einem Zauberspruch ließ er magisches Licht aufleuchten. Er wollte die Stiege zum Hochparterre hinaufsteigen, als er ein Knarren von der Küche her hörte. Leise ging er zurück und legte das Ohr an die Tür. Tatsächlich, es war das Knarren einer Tür - der Küchentür, der einzigen anderen Tür, die in die Küche führte. Geflüster drang aus der Küche hinüber. Das Dienstpersonal hatte offenbar doch nicht vor, die Sache im Nebengebäude abzuwarten. Sie hatten ihn nur glauben machen wollen, sie würden nicht im Haus sein! Vielleicht hatten sie auch nur vermeiden wollen, dass er ihnen Fragen stellte. Norbert richtete er sich auf. Langsam, die Hand am Schwertgriff, ging er den Gang entlang zur Stiege. In diesem Haus waren alle verrückt! Es war ein Irrenhaus - ein von dämonischen Mächten heimgesuchtes Irrenhaus.
***
Die Kerzen im Hochparterre waren noch nicht heruntergebrannt und Norbert benötigte kein magisches Licht. Vor dem Heiligenbild in der Halle kniete die Hohenwarterin. Mit wiegendem Oberkörper und gefalteten Händen murmelte sie Gebete. Als Norbert durch die Halle schritt, fuhr sie zusammen und starrte ihm mit von Entsetzen verzerrten Gesichtszügen nach. Norbert versuchte, sie nicht zu beachten.
Im ersten Stock öffnete Norbert vorsichtig die Tür zum Kaminzimmer. Sehr wachsam und konzentriert trat er durch die Tür, die Hand am Schwertgriff, bereit, sofort einen Bannzauber zu wirken. Das Bild über dem Kamin war herabgestürzt und lag mit zerbrochenem Rahmen am Boden. Die Kerzen auf den Leuchtern neben dem Kamin flackerten in einem kalten Luftzug. Eisige Finger tasteten Norbert übers Gesicht, krochen ihm den Rücken herunter. Ein hohles Stöhnen drang wie von weit her an seine Ohren. Es hatte ihn bemerkt. Es wusste, dass er kam. Und sehr wahrscheinlich wusste es auch, wozu.
Hinter der Flügeltür knarrten schwere Schritte auf den Dielen, begleitet von einem Klirren, das Norbert nicht deuten konnte, weil er keine Stiefelsporen kannte.
Im Raum hinter der Flügeltür war niemand. Der ausgestopfte Bär gähnte verloren ins Leere. Die Tür zum Kabinett war geschlossen. Mit geschärften Sinnen trat Norbert durch die Doppeltür. Ein Hauch fuhr seine Wange entlang. Hohles Kreischen hallte durch das Stockwerk. In einem plötzlichen Windstoß erloschen die Kerzen. Norbert riss das Schwert aus der Scheide. Mit vorgehaltenem Schwert blieb er stehen. Mit aller Macht versuchte er, seinen Atem zu kontrollieren. Sein Puls raste. Die Schwertklinge strahlte hell auf. Schatten schienen im Raum zu tanzen.
Nicht ablenken lassen! Weiter! Zu spät, zu fliehen! Geh weiter!
Magisches Licht hervorzubringen hätte ihm nur die Konzentration geraubt. Auf alles gefasst, mit allen Sinnen auf jegliche noch so kleine Regung in der Dunkelheit achtend ging er weiter. Jeden Moment erwartete er den Angriff.
Da war es! Kehliges Grollen eines Raubtiers unmittelbar an seinem Ohr, übler Brodem eines aufgerissenen Mauls.
Er wirbelte herum, schrie den Bannzauber heraus: „Rhe!“
Sein Schwert blitzte auf. Scharfer Schmerz in seiner linken Schulter. Er fühlte warmes Blut herabrinnen. Im selben Atemzug schlug er zu. Ein krachender Lichtblitz leuchtete im Dunkeln auf.
Stille. Nichts war zu hören, außer Norberts eigenem, heftigem Atem, dem Pochen des Bluts in seinen Schläfen. Für den Moment hatte er es vertrieben, mit dem magischen Schwert und dem Bannzauber. Aber es konnte jeden Moment erneut losschlagen. Vorsichtig bewegte er die linke Schulter, dann den Arm, die Hand. Außer brennenden Schulterschmerzen war alles in Ordnung. Nur ein Kratzer! Die Lederjacke war zerfetzt, aber sie hatte das meiste abgefangen. Er ignorierte das in den Ärmel herabrinnende Blut und konzentrierte sich erneut auf seine Aufgabe.
Nicht nachdenken, du bekommst sonst Panik. Weiter! Weiter durch den Gang in den Raum gegenüber dem Erker, zur Truhe! Dort kannst du es stellen!
Vorsichtig, mit hellwachen Sinnen einen Fuß vor den anderen setzend, ging er mit vorgehaltenem Schwert voran. In der Tür zum Gang tanzte ein fahles Licht. Ein blutiges Schwert schwebte mitten in der Luft. Blut tropfte auf die Schwelle.
Nicht ablenken lassen! Geh weiter!
Die Erscheinung verschwand.
Im kalten, strahlenden Licht der Schwertklinge warfen alle Dinge unruhige Schatten durch den Raum. Durch die Fenster sickerte fahles nächtliches Halblicht. Von weit her drang Röcheln an Norberts Ohren wie von einem Sterbenden. Er trat über die Schwelle in den Gang. Das Röcheln wurde zum Brüllen. Ein heftiger Windstoß fuhr Norbert entgegen, steigerte sich zum Sturm. Fensterscheiben klirrten. Mit aller Macht stemmte Norbert sich gegen den Sturmwind, um nicht von den Füßen gerissen zu werden. Das Leuchten seiner Schwertklinge flackerte, als wollte es erlöschen.
„Rhe!“
Unendlich langsam schob er sich gegen den Sturm den Gang entlang. Es war, als müsse er eine unmögliche Steigung erklimmen. Der Sturm wollte ihm den Atem