Schatten der Anderwelt. Thomas Hoffmann

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Schatten der Anderwelt - Thomas Hoffmann

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hatte keinen Gedanken mehr, als: weiter! Geh weiter! Kämpfe es nieder!

      Vor der Tür gegenüber dem Erker hörte der Sturm urplötzlich auf. Norbert stolperte vornüber und musste sich an der Wand abstützen. Sofort hatte er sich wieder gesammelt. Seine Schwerthand zitterte. Er versuchte, es zu ignorieren.

       Das alles ist nur Vorspiel gewesen, nur Ablenkung. Jetzt beginnt der Kampf!

      Und da war niemand, der ihm beistehen konnte.

      Umkehren kam nicht in Frage. Er biss die Zähne zusammen, konzentrierte sich und öffnete die Tür.

      Dunkelheit. Um die Truhe an der gegenüberliegenden Wand glühte blaues Anderweltleuchten. Vorsichtig betrat Norbert den Raum. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

      Ein scharfer Knall. Die Fensterscheiben explodierten. Die Luft war voller Glassplitter. Sie bohrten sich in Norberts Ledermontur, rissen ihm Hände und Gesicht auf. Stechender Schmerz raubte ihm die Konzentration.

       Meine Augen!

      Er spürte Panik von der Brust durch die Kehle aufsteigen. Überall im Gesicht und in seinen Händen brannten Schmerzen. Im nächsten Augenblick hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er öffnete die zusammengepressten Augen.

      Den Sternen sei Dank – sie waren unversehrt.

      Blut rann ihm übers Gesicht.

      Das blaue Licht um die Truhe wuchs. Norbert konzentrierte sich auf einen Beschwörungszauber.

      Wolfsgrollen unmittelbar neben ihm ließ ihn aufmerken.

       Lonnie!

      Die Wölfin stand neben ihm, zum Sprung geduckt, mit aufgerissenem Rachen und hochgezogenen Lefzen. Mit gelb glühenden Augen knurrte sie ihn an. Ihr Nackenhaar war gesträubt.

      „Lonnie, was...“

      Weiter kam er nicht. Die Wölfin sprang ihn an mit heulend aufgerissenem Rachen. Die Wucht, mit der sie sich ihm gegen die Brust warf, ließ ihn zur Seite taumeln. Es kam völlig unerwartet. Er schaffte es nicht, das Schwert hochzureißen. Ein dumpfer Schlag unmittelbar neben ihm. Die Dielen zitterten. Wo er eben noch gestanden hatte, rammte sich der eiserne Deckenleuchter in die Dielen. Er war mitten durch die Geisterwölfin hindurch gefallen. Norbert wäre tot gewesen.

      Einem Moment stand er mit geschlossenen Augen und flatterndem Atem, am ganzen Körper zitternd. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen.

       Das schaffe ich nicht, es ist zu stark! Das bringt mich um! Ich habe es gleich gewusst! Stern meiner Geburt, hilf mir, lass mich hier heil wieder rauskommen!

      Die Wölfin knurrte an seiner Seite. Kleine Schmerzschläge jagten ihm durchs Bein, als sie sich gegen seinen Oberschenkel presste. Es reichte, um ihn zur Besinnung zu bringen.

       Reiß dich zusammen oder du stirbst! Es wird nur stärker, wenn du der Angst nachgibst!

      Seine Konzentration war wieder da. Er richtete sich auf, ignorierte die Schmerzen und öffnete die Augen erneut. Neben ihm grollte die Wölfin mit drohend hochgezogenen Lefzen die Truhe an. Ihre gelben Augen glühten. Auf der Truhe kauerte eine Gestalt im blauen Licht. Sie hielt sich schützend den Arm vors Gesicht, als wollte sie etwas abwehren. Ein brüllender Windstoß von der Truhe her wirbelte Glassplitter durch den Raum. Norbert achtete nicht auf die umherfliegenden Splitter. Es ging um Leben und Tod. Mit aller Willensmacht zwang er den Sturm nieder. Es wurde still. Er sprach die Beschwörungsformel.

      Die Gestalt bei der Truhe stolperte schreiend mit vorgehaltenen Armen zurück: „Nein, Nein, nicht!“

      Der nächtliche Raum war nicht mehr da. Um Norbert breitete sich eine grasbewachsene Ebene unter grauem Wolkenhimmel. Er spürte kühle, klare Luft. Vor ihm mitten auf dem Karrenpfad stolperte der junge Mann, den Norbert auf der Truhe hocken gesehen hatte, vor einem anderen zurück, der Norbert den Rücken zugekehrt hatte. Beide trugen lederne Reisejacken und hohe, schlammige Stiefel. Der Norbert den Rücken zugekehrt hatte, riss sein Schwert aus der Gürtelschlaufe. Der andere hob entsetzt die Arme.

      „Nein, Nein, nicht!“

      Sein Hilfeschrei erstickte gurgelnd, als das Schwert ihm auf Arme und Kopf herabfuhr. Sein Haarschopf klaffte blutig auseinander. Er sackte mit verdrehten Gliedern zu Boden, das Gesicht ertrank in einer Blutlache, die schnell größer wurde. Der andere schlug kein zweites Mal zu. Mit gesenktem Schwert stand er vor dem Erschlagenen und beobachtete dessen letzte Zuckungen.

      Die Stimme eines Mannes erklang hinter Norberts Rücken: „Er ist tot. Du hast ihn ermordet, Hartmut!“

      Der Angesprochene drehte sich um. Das blonde Haar hing ihm in schmutzigen Strähnen ins Gesicht. Er deutete mit dem blutigen Schwert auf jemanden hinter Norbert.

      „Ja, er ist tot. Jetzt müssen nur wir beide uns noch einig werden, Ulf!“

      Die Stimme in Norberts Rücken keuchte.

      „Alles gut, Hartmut, alles gut!“ Schwer atmend redete sie weiter: „Es gehört alles dir. Du hast ohnehin den Löwenanteil der Dreckarbeit erledigt. Es ist alles deins. In Ordnung?“

      Der Mörder senkte das Schwert. Unerbittlich blickte er an Norbert vorbei dem anderen entgegen.

      „Mach, dass du verschwindest, Ulf, bevor ich bereue, dass ich dich ziehen lasse!“

      In Norberts Rücken schnaubte ein Pferd.

      „Wenn wir uns eines Tages wiedersehen,“ erklang die Männerstimme, „dann wird alles sehr anders sein als jetzt, Hartmut!“

      Pferdeschnauben, Hufgetrappel entfernte sich. Der Mörder blickte dem davon Reitenden mit verkniffenem Gesicht nach. Die Vision verschwand.

      Das dunkle Zimmer war wieder da, die Schmerzen, das Blut. Norbert musste es sich aus der Stirn wischen, damit es ihm nicht in die Augen rann. Brennender Schmerz durchfuhr seine Schulter, als er den Arm bewegte.

      Die Gestalt des jungen Straßenräubers auf der Truhe hielt die Arme vor ihren blutig zerspaltenen Kopf, als wollte sie die Wölfin abwehren, die zum Sprung angesetzt der Erscheinung entgegen grollte.

       Lonnie hält ihn in Schach! Wir haben ihn!

      Seit gestern wusste Norbert, dass der Ritualgesang des schwarzen Hexers auf Untote dieselbe Wirkung hatte, wie Dreyfuß‘ komplizierte Apparate und Bannrituale: er konnte sie aus dem Diesseits verbannen. Norbert nahm alle Kraft zusammen, die er noch hatte, und stimmte den Ritualgesang an. Die Erscheinung gab ein Kreischen von sich. Norbert spürte den verzweifelten, wütenden Willen, der gegen seinen eigenen ankämpfte, sich ans Diesseits klammerte. Norberts Körper zitterte vor Erschöpfung. Die Sicht begann ihm zu verschwimmen. Dennoch spürte er, wie der Bannzauber begann, seine Kraft zu entfalten. Es war, als würde der Untote fort gesogen ins blaue Licht.

      Jemand keuchte bei der Tür in Norberts Rücken.

      „Heilige Jungfrau!“ flüsterte eine Stimme.

      Norbert brüllte: „Zurück! Weg von der Tür!“ ohne den Blick von dem Untoten zu wenden.

      Er

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