Schatten der Anderwelt. Thomas Hoffmann
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Der Alte hielt mitten im Satz inne.
Leise meinte er: „Wie du meinst. Ich dachte nur, der Junge...“
„Das ergibt sich schon!“ knurrte Gordon.
Norbert wusste nicht, wovon die Rede war.
Sarah kam an den Tisch und setzte sich neben Norbert. Mit einer schnellen Kopfbewegung warf sie ihren Pferdeschwanz über die Schulter zurück. Sie betrachtete Norberts dreckige Wolljacke und rümpfte ganz leicht die Nase.
Eine blöde Bemerkung von dir kann ich jetzt gerade gebrauchen! dachte Norbert wütend.
Aber sie sagte: „Mark war hier, bis vor zwei Stunden. Er hat auf dich gewartet.“
„Aha? Ja, schade, dass ich ihn nicht mehr getroffen hab.“
Norbert war nicht in der Stimmung, über irgendwas zu plaudern.
„Er hat berichtet, der Markgraf verlangt, dass du auf die Burg kommst. Spätestens morgen. Der Markgraf will mit dir sprechen.“
Stern meiner Geburt! Der Markgraf!
Norbert war erst zweimal oben auf der Burg gewesen. Beim ersten Mal, als er auf eigene Faust den Burgschmied aufsuchte, war ihm vom Anblick der Geschundenen im Burghof, des in einem Käfig aufgehängten zum Tode Verurteilten, der bei lebendigem Leib von Krähen gefressen wurde, dermaßen übel geworden, dass er sich nach seiner Rückkehr zum Turm erbrechen musste. Beim zweiten Mal sollten Dreyfuß und er in einem Gerichtsverfahren vor dem Markgrafen die Schuld oder Unschuld einer Angeklagten beweisen. Die Gefolterte konnte nicht mehr stehen, als die Kerkerknechte sie hereinschleppten. Sie starb noch während der Gerichtsverhandlung an den Folgen der Folter.
Und jetzt befahl der Markgraf Norbert, vor ihn zu treten! Nach der Katastrophe, den Verwüstungen und den unzähligen Toden, die sein Lehrmeister in der Stadt verursacht hatte! Erschreckt starrte Norbert auf seinen Bierhumpen.
„Aha. Danke, dass du's mir ausgerichtet hast.“
Sarah bemerkte seine Wortkargheit und stand auf. Sie machte die Andeutung eines Schnupperns und rümpfte noch einmal die Nase.
Im Weggehen bemerkte sie: „Ich hab in der Waschkammer eine Kerze brennen lassen. Das Waschwasser ist noch warm. Wenn du Lust hast, kannst du dich waschen, bevor du ins Bett gehst. Keine Sorge, du hast die Kammer garantiert für dich allein. Jetzt stört dich da niemand!“
Norbert kochte innerlich.
Aufspringen, das Schwert rausreißen und ihr mit einem Kriegsschrei den Pferdeschwanz abschlagen!
Gordon und die Harfenspielerin sprachen miteinander über irgendetwas. Ihren unbeteiligten Gesichtern nach zu urteilen schienen sie nicht zugehört zu haben.
Die Bardin rückte vom Tisch ab, setzte die Harfe auf ihren Schoß und spielte leise ein paar Klänge, die sich zu einer verhaltenen Melodie über dunklen, tiefen Akkorden entwickelten. Immer wieder wollten die tiefen, schweren Klänge die schüttere Melodie übertönen, doch bei jedem Aufbranden dunkler Akkorde wurde die Melodie deutlicher, stärker. Endlich mischte sich eine andere, rhythmisch voranschreitende, klare Melodie in das Spiel. Die beiden Melodien erhoben sich über die dunklen Klänge, verdrängten sie, wurden zu einem Lied voller Siegesgewissheit und Freude.
Norbert lauschte mit geschlossenen Augen. Die Musik legte sich wie eine heilende Hand auf sein verbittertes, wundes und enttäuschtes Herz, linderte den Schmerz in seiner Brust. Er ließ die bitteren Gedanken und Erinnerungen fahren, ließ sich treiben mit der Musik. Als die letzten Harfentöne verklangen, stand er auf, nickte Gordon noch einmal zu und verließ den Schankraum, um schlafen zu gehen.
***
In der Waschkammer zog Norbert seine Sachen aus, benetzte seinen Körper mit Wasser und schrubbte sich Staub, Dreck und verkrustetes Blut von der Haut. Er schüttete sich warmes Wasser über den Kopf und massierte prustend sein Gesicht, als könnte er mit dem Schmutz der vergangenen Wochen auch die bösen Erinnerungen aus seinem Kopf spülen. Und es kam ihm wirklich so vor, als könnte er das noch immer an seiner Haut klebende Entsetzen von sich abwaschen und einen Schlussstrich ziehen unter das Vergangene: die Hölle von Darulans Haus, sein Sehnen nach Melanie und dem kleinen Zimmer bei Elena, die irrsinnigen Experimente und Anderweltfahrten im Gefolge seines Lehrmeisters. Als könnte er all diese Erinnerungen ein für alle Mal von sich abschütteln und neu anfangen.
Er wusch sein Leinenhemd mit der Kernseife, die auf dem Rand des Waschbottichs lag, wrang es aus und zog es sich nass über den Leib, drückte die wollene Schlupfjacke im Wasser durch, presste das Wasser heraus und breitete sie auf der Bank zum Trocknen aus. Sie war an der Schulter arg zerfetzt, aber andere Sachen hatte er nicht. Von der Lederhose wusch er den Dreck ab, bevor er sie anzog. Die Stiefel waren ihm gleichgültig. Im Schlamm der Gassen blieben sie ohnehin nicht sauber. Seine Lederjacke hatte er im Schankraum vergessen. Er mochte nicht zurückgehen und sie holen. In Hose und Hemd ging er hinauf in sein Zimmer. Er stellte das Schwert ans Kopfende des Bettkastens – habe immer deine Waffe bereit! So sehr war er bereits vom Abenteurerdasein geprägt - und warf sich ins Bett.
Er fand keinen Schlaf. Aufgewühlt von den Schrecken der vergangenen Tage warf er sich zwischen den Laken umher. Erst jetzt, da die fiebernde Anspannung nachließ, in der er sich befunden hatte, seit er auf der Landstraße die Rauchwolken über den Mauern Altenweils erblickt hatte, brach das Entsetzen über das Geschehene in ganzer Schwere über ihn herein.
Noch vorgestern früh nach dem Morgenimbiss hatte er vor der Herberge in Köhlershofen gesessen und geglaubt, er habe alles Grauen hinter sich, hatte sich Pläne voller Hoffnung zurechtgelegt. Und nun... was war ihm geblieben?
Visionen von splitterndem Glas und lodernden Flammen standen ihm vor Augen, dazwischen Schreie Verbrannter und das Kreischen von Dämonen. Das grässliche Geräusch, mit dem der Eisenleuchter sich haarscharf neben ihm in den Boden rammte.
Elenas boshafte Greisenstimme: „Hat ihren Traumprinz gefunden, das dumme Mädchen!“
Stöhnend vor Qual wälzte Norbert sich umher. Das nasse Hemd klebte ihm am Leib. Unvermittelt kam ihm Ruths entsetztes Gesicht in den Sinn, im nächsten Augenblick von seinem Schwert in einen Blutklumpen verwandelt. Ihr gurgelnder Schrei beim Sturz in den Abgrund. Norbert fuhr zusammen. Darulan! Würde der Hexer ihn nicht verfolgen? Würde er nicht Rache nehmen für den Mord, den Norbert verübt hatte, den Diebstahl des Ritualgesangs, die Flucht aus der Gefangenschaft in seinem Haus? Er hatte auch Lonnie verfolgt. Vor zwanzig Jahren in Köhlershofen hatte sie sich im Brunnen ertränkt, um nicht von dem Hexer in die Hölle zurückgeschleppt zu werden, der sie entkommen war. Erst vor wenigen Tagen hatte sie Norbert ihr Schicksal offenbart.
Mit einem Ruck setzte Norbert sich auf. Durch das halbgeöffnete Pergamentfenster fiel bleiches Mondlicht ins Zimmer. Jeden Moment glaubte er, die Lederschwingen eines großen Flughunds vor dem Fenster auftauchen zu sehen. Mit einem Satz war er beim Fenster und schloss die Fensterflügel. Mit rasendem Puls kauerte er sich zurück aufs Bett, lehnte sich mit angewinkelten Beinen mit dem Rücken gegen die Wand. Der Hexenmeister war alles andere als dumm. Schon bei Norberts Ankunft in seinem Haus hatte Darulan ihn für einen Abenteurer gehalten. Er würde wissen, wo er nach Norbert suchen musste!
Erst nach durchwachten Stunden, die Norbert wie eine Ewigkeit vorkamen, als das Licht des untergehenden Monds rötlich wurde, verwandelte sich das Entsetzen in Norberts Kopf in dumpfe Leere. Er legte sich zusammengekauert