Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch

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Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski - Ricarda Huch gelbe Buchreihe

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wie aus einem gleichen Samen und gemeinsamer Erde hervor. Alle Äußerungen des menschlichen Geistes wurzelten in ihr und waren von ihr durchdrungen. Ihr dienten die Künste und Wissenschaften, die Denker und Dichter, von ihr erfüllt war das staatliche und wirtschaftliche und häusliche Leben. Wenn auch Krieg, Verbrechen und Irrsal, woran es unter Menschen nie fehlt, das mittelalterliche Abendland wild durchtobten, es war umleuchtet von der Glorie eines einheitlichen erhabenen Glaubens. Die Gebilde der Kunst, die Gesänge in der Kirche, die ernsten und heiteren Spiele des Volkes, alles wies aus der unruhvollen Erde auf die Herrlichkeit Gottes, die dem gläubigen Glied der Kirche zuteilwerden sollte. Es wölbte sich über der Erde ein fester Goldgrundhimmel, den die Kirche errichtet hatte. Über ihn hinaus sollte der menschliche Gedanke sich nicht wagen; unter ihm war Frieden. Zweifler und Verzweifelnde beruhigte die Kirche, in ihrem Schoss gab es Antwort für die Gottsucher und Heilung für die an den Rätseln des Daseins Erkrankten. Außerhalb der Kirche waren das Chaos und die Hölle; aber es gab kein Chaos und keine Verdammnis, denen die Kirche den Unseligen nicht hätte entreißen können, der sich ihr gläubig anvertraute.

      Was konnte diese Weltanschauung erschüttern? Das Grandiose selbst, das darin lag, war eine Gefahr; denn es erforderte eine ständige Anspannung menschlicher Kraft. Lange Zeit hindurch wurde das natürliche Sinken der religiösen Inbrunst ausgeglichen durch das Auftreten begeisterter Führer, die die Kirche mit neuer Glaubensglut erfüllten. Seit dem 14. Jahrhundert blieben diese Aufschwünge aus; es begann eine Umwälzung im Sinne von Verweltlichung, die fortwährend zunahm. Die Bestimmung des Menschen zum Jenseitigen wich einer skrupellosen Vertiefung in das Irdische. Immer waren die Menschen sinnlich und genusssüchtig gewesen, und sie wurden es desto mehr, je mehr die Möglichkeit bequemer, sogar üppiger Lebenshaltung zunahm; der Unterschied war, dass auch die Geistlichkeit an den Ausschweifungen teilnahm, sich mit Behagen darin gehen ließ, so dass, wo einst an Bischofshöfen, in Stiften und Klöstern, ein Vorbild der Heiligkeit geleuchtet hatte, nun ein Beispiel sinnlicher Lust und sittlicher Verworfenheit gegeben wurde. Das untergrub die Achtung vor dem Klerus und löste den Schimmer von Unantastbarkeit auf, der die Kirche umgeben hatte; sie wurde für das Volk der Laien ein Gegenstand des Hohnes und der Verachtung. Damit wuchs für den mächtigen Gegner der Kirche, den Staat, die Möglichkeit, sie zu besiegen.

      Wenn der Mensch zum Bewusstsein kommt, findet er sich in Beziehung zu Gott und in Beziehung zu den Menschen: aus diesen Beziehungen entstehen die Kirche und der Staat. Weil die Beziehung zu Gott die höchste ist, pflegt die Kirche einen Vorrang vor dem Staat zu fordern, wogegen der Staat seine näherliegenden und greifbareren Ansprüche geltend macht. Im Mittelalter gab es einen Staat im eigentlichen Sinne nicht; die Beziehungen zwischen Lehnsherren und Vasallen bildeten das den Körper der Nation zu einem bewussten Ganzen einigende Netz, dessen Mittelpunkt der Kaiser war. In den gewaltigen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser, die das Mittelalter erfüllten, erwies sich das Band der Treue als zu schwach gegenüber der Kirche, der Erbin römischer Staatskunst, und der Kaiser unterlag. Inzwischen aber hatte sich, zuerst in den Städten, denen dann die Territorien folgten, ein festeres Regiment herausgebildet, und der Staat, die in einem Punkt zusammengefasste Gesamtkraft einer Nation oder eines Gebietes, nahm den Kampf erfolgreich auf. Wie die Kirche beide Schwerter, das der geistlichen und das der weltlichen Herrschaft, in ihre Hand bringen wollte, so trachtete auch der Staat nach beiden. Für die Staatsmänner war die Kirche, die sich so viele Blößen gab, nicht die Führerin der Seelen zu Gott, sondern eine Art Gegenstaat, ein Block, der ihre Bestrebungen, alle Kräfte des ihnen unterstellten Gebietes in einem Mittelpunkt zu sammeln, hemmte. War ja doch die Kirche ein Staat und zwar ein ungemein verfeinerter, mit einem Beamtenapparat und einer Finanzverwaltung, wie die weltlichen Staaten sie noch nicht besaßen, aber inständig anstrebten.

      Die Verstaatlichung wie die Verweltlichung überhaupt empfing Nahrung von der Antike. Keine Weltanschauung vermag weder ihren eigenen Gehalt vollkommen auszuprägen, noch den unendlichen Gehalt der Geisteswelt vollkommen zu umfassen, deshalb ist einer jeden der Trieb zur Wandlung eingeschlossen. Für das Abendland ist eine von der christlichen verschiedene von Bedeutung: die der Antike. Sie kennt nicht die Spannung zwischen Gott und Mensch, zwischen Gottesreich und Welt, zwischen Gut und Böse, kennt den Gott nicht, der zum Menschen spricht: Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig! Was es hier an Forderungen gab, war die Entfaltung des Natürlichen in schöner Harmonie. Nicht das Sittliche, aus dem Keim der Liebe erwachsend, war der Maßstab bei der Erziehung des Menschen, sondern die Tüchtigkeit, das Schöne und Maßvolle. Da nicht das Jenseits, sondern die Erde als Heimat des Menschen betrachtet wurde, wandte sich der strebende Geist ganz ihr zu, und da man an die unbegrenzte Kraft und die Zuständigkeit der menschlichen Vernunft glaubte, überließ man sich der Durchforschung des Universums und dem Aufbau einer vernunftgemäßen Gedankenwelt. Das freie und stolze Sichhingeben an die Vernunft und die Sinne hatte eine Kultur von hoher Vollendung geschaffen, die in Italien unter christlichen Idealen und Formen verborgen weitergelebt hatte und immer mächtiger, wenn auch nicht unverändert, hervorzubrechen begann. Niemals war die antike Bildung in Italien ganz verlorengegangen; sie hatte sich in den Schulen, in der Kirche und auch in einer für die Italiener charakteristischen klaren, auf das Wesentliche und Praktische gerichteten Denkweise erhalten. Nachdem die germanische Flut, die Italien überschwemmt hatte, aufgesogen war und aus verschiedenen Bestandteilen ein italienisches Volk, ein unerhört begabtes, sich gebildet hatte, besann dies Volk sich auf seine ruhmvolle Vergangenheit, und zwar mit umso leidenschaftlicherer Hingebung, als seine politische Zerrissenheit und Machtlosigkeit in der Gegenwart es nicht befriedigte.

      Aus diesem politisch ohnmächtigen Volk gingen im 14. und 15. Jahrhundert so viel herrliche, vorbildliche Schöpfungen auf dem Gebiet der Kunst, Musik, Dichtung und Wissenschaft hervor, wie sie kaum jemals außer Griechenland ein verhältnismäßig so kleiner Bezirk in so kurzer Zeit hervorgebracht hat. Das zum großen Teil von Fremden teils beherrschte, teils verwüstete Land beherrschte und speiste geistig mit dem leuchtenden Gehalt seiner Kultur das Abendland.

      Italienische Denker und Künstler lenkten den Blick der abendländischen Menschen von dem jenseitigen Himmel ab, zu dem die kirchliche Erziehung ihn hingewendet hatte, so dass es war, als sehe er nach langem Schlaf und Traum zum ersten Mal die Erde im Morgenglanz. Der Zauber der Schönheit überströmte das Tal der Tränen. Die Herrlichkeit göttlicher Marmorleiber, die mit den heidnischen Tempeln versunken waren und nun ausgegraben wurden, führte einen Menschen vor Augen, dessen Urbild einst, so meinte man, auf diesem Boden gewandelt hatte, dem ähnlich zu werden die heutigen Bewohner dieses Bodens berufen waren. Wie vielseitig und harmonisch erschien der antike Mensch, verglichen mit dem einseitig der himmlischen Verklärung entgegengezüchteten gotischen! Dieser erschien als ein unnatürlich verrenktes Gewächs gegenüber dem, der sich frei nach dem Maß seiner angeborenen Wachstumskraft entfalten konnte. Ausbildung aller Keime, die die Natur zur Gestaltung eines vollkommenen Menschentums dem Menschen verliehen hat, erkannte man als Aufgabe und nannte diese Richtung Humanismus. Nicht dass man den Menschen seinen natürlichen Trieben überlassen wollte; nur sollte nicht mehr Gut und Böse, Heilig und Weltlich die Norm seines Werdens sein, sondern man glaubte ihn den Mächten der Schönheit, der Weisheit, Freiheit, Tüchtigkeit anvertrauen zu dürfen. Es war etwas Gewaltiges, dass neben der christlichen Kultur, die bisher die einzige gewesen war, eine neue erstand, die sich durch die Fülle wertvoller Erscheinungen überzeugend beglaubigte, dass Menschen wie aus einer heidnischen Taufe auftauchten, die stolz auf sich selbst gestellt, nicht nach der Palme des Überwinders, sondern nach dem Lorbeer des Siegers strebten. Die antike Weltanschauung wurde in Italien und auch in Deutschland, wohin von dieser Bewegung zuerst nur ein verwehter Duft wie aus fernen Gärten drang, nicht als Gegensatz, vielmehr als Ergänzung des Christentums aufgefasst. Waren doch mit dem auf dem Boden der Antike erwachsenen Kirchenglauben zugleich edle Trümmer antiker Kultur in die von der Kirche beherrschten Länder eingedrungen, die man verehrend übernahm und weiterbildete. Überall kam die Christenheit den Einflüssen der Renaissance vertrauensvoll entgegen, überzeugt, sie könne sich ihre Schätze aneignen, ohne ihr eigenes Wesen aufzugeben. In Deutschland war das umso mehr der Fall, als eine aus dem Norden des Reiches kommende Lebensrichtung die Empfänglichkeit für die fremden Anregungen vorbereitet hatte. Die Reformideen der Brüder vom gemeinsamen Leben, die im 14. Jahrhundert in den Niederlanden wirkten, hatten sich allmählich, von geistvollen jungen Männern getragen, über ganz Deutschland,

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