Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski - Ricarda Huch страница 4
Es gab aber in Deutschland einen unmittelbar gefährlicheren Feind der Kirche als die Verweltlichung, die sie von innen, und den Staat, der sie von außen bedrohte, das waren die gläubigen Christen. Einst wären vielleicht manche von ihnen Heilige geworden oder hätten Orden gegründet, jetzt lebten sie, Mystiker oder ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘ oder Ketzer oder Einsame im Schosse der Kirche oder außerhalb der Kirche, jedenfalls fern von ihr und sie nicht beachtend. Der unterirdische Strom der Sehnsucht nach dem Göttlichen konnte anschwellen und ihre Fundamente erschüttern, wenn unter ihrer Kuppel kein Raum für seine Hochflut war.
Jahrhunderte während vollzog sich die Auflösung und Umschmelzung des tragenden Weltgerüstes in schmerzlichem Untergang und verhängnisvollen, großartigen Befreiungen. Irdisches und Himmlisches, jenseitige und diesseitige Zwecke waren dabei so ineinander verschlungen, dass keins ohne das andere erstrebt und angegriffen werden, keins unbeschattet siegen konnte. Die Erhabenheit der Ziele, um die gerungen wurde, der Ernst und die Opferfreudigkeit, mit der viele von den Kämpfern ihr Leben einsetzten, das Schicksalhafte der Wendung und die Zwiespältigkeit aller Beteiligten, von denen keiner seine Idee rein vertrat, machen das 15., 16. und 17. Jahrhundert unvergleichlich groß und bedeutungsvoll und unheilbar tragisch.
* * *
Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert
Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert
König Nobel beruft einen Reichstag, zu dem sich seine Vasallen, große und kleine, geistliche und weltliche, gehorsam einfinden.
„Reineke Fuchs“
Da ist Braun der Bär, treuherzig brummend, obwohl er sich als der wahre König fühlt, Isegrim der Wolf, der unersättliche, Bellin der Schafbock, der des Königs Kanzlei, das Urkunden- und Schriftenwesen unter sich hat, Lampe der Hase, Hinze der Kater, Henning der Hahn und viele andere, und alle scharen sich in Ergebenheit um Nobel, der pompös auf dem Thron sitzt und eine von den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Fürsorge aufgeblähte Ansprache hält. Nicht erschienen ist Reineke Fuchs, weil er, vieler Missetaten und Gesetzesübertretungen sich bewusst, voraussieht, es werde ein übles Ende mit ihm nehmen. Alle Tiere, einige Fuchsverwandte, Dachs, Affe ausgenommen, hassen, fürchten ihn, der viel klüger und listiger ist als sie, und seine Listigkeit benutzt, um die kleinen zu fangen und die großen, plumpen Herrschaften in die ärgsten Ungelegenheiten zu verstricken. Es gelingt endlich, ihn zu Hof zu bringen, und schon ist ihm die Schlinge um den Hals gelegt, da kommt er noch einmal zu Worte und erweckt des Königs Gelüsten nach einem Schatz, den er irgendwo versteckt zu haben vorgibt. Argwöhnisch verlangt Nobel, dass Reineke selbst ihn zur Stelle geleite; aber Reineke wendet vor, dass er im Bann sei und dass es sich für die Majestät des Königs nicht zieme, sich mit einem Gebannten öffentlich zu zeigen; er wolle zuerst nach Rom gehen und sich vom Bann lösen. Das leuchtet Nobel ein; denn mit den römisch-päpstlichen Angelegenheiten ist nicht zu spaßen.
Nobel trägt seine Löwenperücke mit so viel Würde, und die gefährlichen Vasallen agieren ihre Dienstbeflissenheit und schwärmerische Verehrung für das Oberhaupt so glatt, dass wir ein Bild der Eintracht und wohlerworbener Rechte vor uns sehen. Im Grunde sind sie allesamt räuberische Bestien, je stärker, desto skrupelloser, während die Schwachen, Kleinen, die es gern den Mächtigen gleichtäten, durchzuschlüpfen suchen, wie es eben geht. Nobel treibt es in seinem Bezirk so wie sie; wenn er als König inmitten seiner Großen auftritt, deren er nicht Meister werden kann, hat er etwas Hohles, etwas von einer grimmigen Larve an sich, hinter der ein ratloser Schwachkopf steckt, und seine Neigung gilt eigentlich dem Schelm Reineke, dessen erfinderische Schliche ihm zugutekommen könnten, wenn es den großen Hansen einfallen sollte, die Zähne gegen ihn zu fletschen.
Eine bewundernswerte Dichtung ist das auf uralter Tiersage aufgebaute Epos von Reineke Fuchs, das um das Ende des 15. Jahrhunderts in niederdeutscher Sprache aufgezeichnet wurde. Kaum ist eine beißendere Satire denkbar, die die höchsten Gewalten im Reich im Bilde gefräßigen Viehs erscheinen lässt, zugleich aber so kindlich gutartig, so naturgemäß, so spielerisch treffend und vor allen Dingen so lustig, dass eine satirische Absicht kaum empfunden wird. Können doch Kinder das Gedicht wie ein Märchen lesen. Nur an einer einzigen Stelle trägt es den Zorn des Verfassers über den Künstler davon, als er Reineke sich über die verrotteten Verhältnisse am päpstlichen Hofe aussprechen lässt, und dem Affen Märten, der mehrere Jahre hindurch Schreiber bei einem Bischof war und in Rom gut bekannt ist, Beziehungen zum Doktor Greif, zu den Herren Losefund, Wendemantel, Schalksund hat, eine Schilderung des schändlichen Treibens an der Kurie in den Mund legt.
Man schwätzt dort wohl vom Recht sehr viel;
ja Quark! Geld ist das was man will!
Ist eine Sache noch so krumm,
mit Geld dreht man sie bald herum.
Wer blechen kann, für den wird Rat.
Weh dem, der nichts im Säckel hat.
Bei allem Spott und Zorn, die das Gedicht erfüllten, ist doch etwas ererbte Anhänglichkeit an Papst und Kaiser geblieben: der Papst ist ein armer alter Mann, der nichts von den Gräueln weiß, die um ihn her im Schwunge sind, der Kaiser ist fromm und gut, wenn auch zu schwach, um das Böse zu hindern.
Die beiden von Gott eingesetzten Mittelpunkte der Ellipse ließ man gelten, außer ihnen fast nichts mehr von dem, was einst unerschütterlich gültig gewesen war.
Ursprünglich aus den fünf Stammesherzogtümern Franken, Sachsen, Schwaben, Bayern, Lothringen bestehend, teilte sich das Deutsche Reich gemäß dem deutschen Hang nach individueller Besonderheit und Unabhängigkeit allmählich in einzelne selbstständige Herrschaften, deren es mehr als dreihundert gab. Aus der Reihe der Fürsten sonderten sich zuerst durch Gewohnheit, dann durch Gesetz als bevorzugt und einflussreich die sieben Kurfürsten, auf die sich das Recht der Kaiserwahl beschränkt hatte und denen gleich zu werden die Standesgenossen eifersüchtig strebten. Der niedere Adel der Grafen und Herren konnte hoffen, gefürstet zu werden; hatten doch mehrmals Grafen den kaiserlichen Thron bestiegen. Hoher und niederer Adel teilten sich in den Besitz der zahlreichen geistlichen Bistümer, Abteien und Propsteien, die sich reich und ansehnlich zwischen den weltlichen ausbreiteten. Überall verstreut hausten in ihren Burgen die Ritter, als Kinder schon mit dem Pferd verwachsen, mit der Waffe vertraut, verpflichtet, dem Kaiser auf seinen Kriegszügen zu folgen. Als ein im Rang niedrigeres, aber durch Tüchtigkeit und Reichtum ausgezeichnetes Element erblühten daneben die Reichs- und Freistädte, Sitze einer ebenso gebildeten wie gewerbstätigen und kriegerischen Bürgerschaft, mit denen manche Landstadt,