Schaum-Welt-Komfort. Paul-Heinz Schwan

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Schaum-Welt-Komfort - Paul-Heinz Schwan Begleittext zu Peter Sloterdijk Sphären Band III: Schäume

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Sinn-Raum oder einen „Haushalt“, der in seiner jeweiligen eigenen, nur von ihm und in ihm selbst erlebbaren Animationen schwingt.

      Wo sich Orte dieses Typs formen, ist das Aufeinander-hin-Existieren der nahe Vereinigten jeweils als das eigentliche Agens (gestaltende) der Raumbildung wirksam; die Klimatisierung des koexistentiellen Innenraums erfolgt durch die reziproke (wechselseitige) Extraversion (aufeinander hin) der Symbioten (Beteiligten), die wie ein Herd vor dem Herd (es wird zweimal gekocht: in der gemeinsamen Stimmung und auf dem Feuer) das gemeinsame Interieur temperieren.

      Im Schaum gilt das Prinzip der Ko-Isolation, nach dem ein und dieselbe Trennwand jeweils zwei oder mehr Sphären als Grenze dient und im menschlichen Feld ebenso eine reziproke Isolation, Trennungen und Immunisierungen bewirkt. Gerade hier gehört es zu den Besonderheiten, dass die Vielfach-Ko-Isolation der Blasenhaushalte in ihren multiplen Nachbarschaften ebenso gut als Abschließung wie als Weltoffenheit beschrieben werden kann: benachbart und unerreichbar, verbunden und entrückt.

      „Gesellschaften“ sind nur als unruhige und asymmetrische Assoziationen aus Räume-Vielheiten und Prozess-Vielheiten verstehbar, deren Zellen weder wirklich vereint noch wirklich getrennt sein können.

      Wie im intra-systemischen einzel-Gehirn die Assoziationen sekündlich-minütlich, stündlich, täglich ihre Purzelbäume schlagen, so im Größeren und Großen -Familien, Gruppen, Gesellschaften die in ihrem schaumigen Verbund zum Aufgehen und Platzen der lokalen und globalen Assoziationsblasen führt.

      Nur solange „Gesellschaften“ sich als genetisch oder theologisch substanzielle Nationalvölker hypnotisieren, betrachten sie sich als Monosphäre: leben sie in verzauberten Räumen mit imaginärer Immunität und mit magischer Erwählungs-gemeinsamkeit. Der Anfang von Wissen liegt dann in der Entscheidung, diesen Zauberkreis zu verlassen. Denn wer über „Gesellschaft“ reden will, muss diesen Zauberkreis, diese Wir-Benommenheit, verlassen um zu „sehen“ das Völker flüssiger, hybrider, undichter, promiskuitiver verfasst sind, als ihr homogener Name suggeriert.

      Sloterdijk versteht unter Gesellschaften: Aggregate aus Mikrosphären (Paare, Haushalte, Betriebe, Verbände) die wie einzelne Blasen in einem Schaumberg aneinander grenzen und sich über- und untereinander schichten, ohne füreinander wirklich erreichbar noch voneinander effektiv trennbar zu sein. Sie haben keine Türen, vielleicht nur Blindfenster die auf einer Außenszene gemalt sind. Die Blasen im Schaum sind selbstbezüglich verfasste Mikrokontinente. Scheinbare Gemeinsamkeiten sind gemeinsame Nachahmungswellen und analoge Medienausstattungen. Zwischen ihnen herrscht -hinter „Masken“- Isolation, denn

      -„wahre“- Kommunikation würde Kollision bedeuten.

      Ihre Abstimmung geschieht nicht im direkten Austausch zwischen den Zellen, sondern durch die mimetische Infiltration von ähnlichen Mustern, Erregungen, infektiösen Waren und Symbolen in jede einzelne Zelle.

      Die Zelle besteht aber nicht aus einem abstrakten Individuum, sondern in einer dyadischen –in jedem stecken zwei (s. Band I) – oder multipolaren Struktur. Ihre Monaden (Einzeller) sind Dyaden (mindestens zwei) oder komplexere Seelen-räumliche, gemeindliche und mannschaftliche Gebilde. Die Schaumzellen- “gesellschaft“ ist ein trübes Medium, das eine gewisse Leitfähigkeit für Informationen und Durchlässigkeit für Stoffe besitzt. Ausgießungen unmittelbarer Wahrheiten werden von ihm nicht weitergeleitet.

      Umfassende Übersichten stehen nicht zur Verfügung. Nachrichten sind selektiv übertragbar, Ausgänge ins Ganze gibt es nicht. Super-Visionen auf die Eine Welt unmöglich – und recht verstanden auch nicht wünschbar. Jede Lage im Schaum schafft eine Verschränkung von Umsicht und Blindheit. Jedes In-der-Welt-sein eröffnet eine Lichtung im Undurchdringlichen.

      Die Wendung zur pluralistischen Ontologie wird vorbedacht von der modernen Biologie und Metabiologie.

      „Jedes Lebewesen besitzt eine Spezialbühne, die genauso real ist wie die Spezialbühne des Menschen“…(Jakob von Uexküll)…eine polykosmische Agglomeration, eine Versammlung von Versammlern als semi-opaker Schaum aus weltbildenden Raumkonstruktionen.

      „Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen“ hieß eine 1888 erschienene Gedichtsammlung von Edwin Bormann.

      Die Schäume in der Zeit des Wissens

      Die zarten Dinge werden spät Objekt. Das ist es, was sie mit den zahlreichen Selbstverständlichkeiten gemeinsam haben, die erst zur Auffälligkeit reifen, wenn sie verloren sind, und verloren sind sie in der Regel von dem Augenblick an, in dem sie in Vergleiche gezogen werden durch die sie ihre Gegebenheiten einbüßen:

      die Luft die wir gedankenlos atmen, die von Stimmungen gesättigten Situationen, in denen wir unbewusst existieren, die offenkundigen Atmosphären in denen wir leben, weben und sind sie alle stellen Spätankömmlinge im thematischen Raum dar, weil sie eine stumme Hintergrundausstattung im thematischen Raum bilden und bildeten.

      Bisher als diskrete Vorleistungen des Seins hingenommen, mussten sie Gegenstände der Sorge geworden sein, bevor sie zu solchen der Theorie gerieten.

      Sie mussten als fragil, verlierbar und zerstörbar erlebt werden, ehe sie zu bearbeitbaren Aufgabenfeldern avancierten. Der Hintergrund bricht sein Schweigen erst, wenn Prozesse im Vordergründigen seine Tragkraft überfordern.

      Wie weit musste es kommen, das Resonanzphänomene und interpsychische Verschränkungen in Beseelungsräumen zur Sprache gebracht werden konnte? Wieviel Verwüstung hingenommen werden, bis die konstitutiven Bedeutung von hinreichend guten Paarbeziehungen und Familienverhältnissen mit Respekt beschrieben werden konnten?

      Alles sehr Explizite wird dämonisch.

      Wehe dem, der Wüsten birgt: jetzt muss künstlich nachgebaut werden was früher als natürliche Ressource gegeben schien. Nun wird der Bedarf für Kulturwissenschaft für die Arbeit in Kulturtreibhäusern manifest.

      Um absolut zeitgenössisch zu sein, müssen wir voraussetzen, dass kaum noch etwas vorauszusetzen ist. Den Selbstverständlichkeiten wurde der Garaus gemacht. Sie werden zur sozialpolitischer Dauersorge. Wo „Lebenswelt“ war muss Klimatechnik werden.

      Revolution, Rotatation, Invasion

      Die Dämonie des Expliziten wächst in dem Maße, wie die Moderne den Fortschritt im Bewusstsein der Künstlichkeit vollzieht. Wenn Hintergründiges, bisher Unerwähntes zur Vorlage gebracht und ausgewalzt werden, dann zeugen diese Vorgänge von der radikal veränderten Stellung der Wissenden zu den jetzt gewussten Gegenständen, die früher anders oder nicht gewusst wurden.

      Was in diesem Zusammenhang „Revolution“ bedeutet, kann mit einem Blick auf die Durchbrüche und Freilegungen der Anatomen hinsichtlich des menschlichen Körpers erfasst werden. Dem herkömmlichen Dunkel der Eigenleiblichkeit werden nun die Organkarten und Bau-Zeichnungen der inneren Maschinenwelt gegenübergestellt. Ich muss jetzt auf anatomische Karten schauen um ihre Botschaft annehmen: Das bist du!

      Und von nun an kann nichts mehr zurück in die Naivität des Daseins vor dem Operieren-Können. Neuzeit ist Anatomenzeit, Zeit der Schnitte, der Invasionen, der Penetrationen, der Implantationen in den dunklen Kontinent, die ehemalige Lethe. Das E x p l i z i t m a c h e n ist kein reiner Diskurs.

      In der „Neuzeit“ operieren Subjekt sich selbst mit Karten über das eigene die ihnen Angriffspunkte des Selbst-Eingriffs vorzeichnen. Ein unvermeidlich unvollkommenes doch stets erweiterbares Durchgreifenkönnen in den eigenen somatischen und psychosomatischen Innengrund.

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