Eine Frage der Macht. Hermann Brünjes
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»Okay. Sollen wir auch Interviews machen? Mit den Kandidaten und so...?«
»Klar. Was ihr wollt, Hauptsache, ihr kitzelt denen ihre wahren Motive und Absichten raus. Was wollen sie wirklich? Warum greifen sie tatsächlich nach der Macht und streben auf Deubel komm raus einen politischen Schleudersitzjob an?« Florian lacht jetzt schelmisch. »Ihr müsst keine Skandale aufdecken, dürft es aber natürlich gerne, wenn es sich ergibt!«
Typisch Florian. Er war vor seiner Zeit bei der Kreiszeitung Redakteur der BILD in Hamburg. Es ist uns bis heute nicht gelungen, unserem Chef gewisse Tendenzen der Boulevardpresse auszutreiben.
Ich habe noch ein Anliegen, weiß jedoch nicht, wie ich es vorbringe. Schade, dass ich darüber nicht schon vor der Sitzung mit Elske gesprochen habe. Sie hätte es vermutlich besser als ich einbringen können. Aber okay, ich hoffe, es gelingt mir, mein Anliegen vorsichtig zu formulieren.
»Chef, im Mai gibt es wieder einen kirchlichen Feiertag!«
Es war wohl doch nicht vorsichtig genug.
Er runzelt skeptisch die buschigen Augenbraunen. Allein das Wort »kirchlich« ist für meinen Chef ein Reizwort. Wie ich vor Jahren während eines feuchtfröhlichen Betriebsfestes herausbekommen habe, hat Florian Heitmann vor seiner Journalistenkarriere ein paar Semester Theologie studiert. Dann gab es einen Bruch in seiner Biografie. Die Hintergründe dazu kennt vermutlich nur er selbst. Seitdem stänkert er herum, wann immer es um Kirche, Glauben und Theologie geht. War also doch nicht so schlau mit dem »kirchlich«.
»Jens, das muss doch nun nicht auch noch sein! Weihnachten, Ostern und Pfingsten hast du nun durch – und nun auch noch Himmelfahrt?«
Ich wusste es. Florian weiß genau, welche Feiertage im Kirchenjahr wann dran sind.
»Ja, warum denn nicht? Meine vorigen Reportagen waren für unsere Zeitung doch recht erfolgreich, oder?«
Elske nickt aufmunternd und auch die anderen am Tisch scheinen dieser Meinung zu sein. Und wirklich, meine über die letzten Jahre verteilten Reportagen über die kirchlichen Feste passten jeweils supergut zu den Themen der Zeit, waren hochaktuell und brachten teilweise sogar sensationelle Auflagen. Es waren wohl die besten und aufregendsten Recherchen, die ich je gemacht habe.
Daran erinnert sich nun vermutlich auch der Chef.
»Okay, Jens. Ich gebe zu, dass du ein gewisses Talent hast, aus kirchlichen Festen Skandale und Kriminalgeschichten zu generieren. Bei Himmelfahrt allerdings weiß ich nicht, wie das gehen sollte!«
Nun springt Elske in die Bresche. Sie hat im Gegensatz zu mir eine geradezu fromme Vergangenheit. In Ostfriesland war sie Gruppenleiterin im EC, bei den »Entschiedenen Christen«.
»Oh, Chef, das würde ich nicht sagen. An Himmelfahrt geht es um nichts anderes als bei den Wahlen und im Wahlkampf.«
Wieder Stirnrunzeln, jetzt nicht nur beim Chef, sondern rundum, auch bei mir. Wieso das?
»Für mich ist Himmelfahrt vor allem Vatertag!«
Steini spricht wieder schneller, als er denken kann.
»Da ziehen wir mit dem Bollerwagen durch die Heide und geben uns die Kante! Freu’ mich riesig drauf. Musste wegen Corona zwei Jahre ausfallen!«
Elske nickt.
»Stimmt. Weil wir mit Himmelfahrt nichts anfangen können und Muttertag uns zu einseitig erscheint, haben wir einen Vatertag draus gemacht. Aber das ist tiefsinniger, als ihr glaubt.«
Der Chef nickt. Ich sag´s ja, er weiß Bescheid. Aber er will mit der Sitzung weiterkommen und unterbricht Elske jetzt.
»Ist schon gut, Kollegin. Wir wollen hier jetzt nicht in Theologie und Zeitgeschichte einsteigen. Ihr macht also auch was über Himmelfahrt – aber nur, wenn ihr es mit aktuellen Themen verbindet und nicht einfach nur frommes Geschwafel! Einverstanden?«
Wir nicken.
»Einverstanden!« sagen wir gleichzeitig.
Ich bin schon gespannt, wie Elske einen Zusammenhang zwischen den Wahlen und Himmelfahrt herstellt. Meine Erfahrung mit diesem Feiertag geht eher in Richtung Steini: Bollerwagen und Besäufnis. Oder mir fällt ein, dass der Flugplatz nahe unserer Kreisstadt dann immer ein riesiges Fest feiert. Himmel und Fliegen passt ja auch gut!
Es wartet viel Arbeit auf uns.
»Ein Thema übernehmt ihr noch!«
Noch mehr Arbeit. Aber ich ahne schon, womit Florian jetzt kommt.
»Ihr steigt tiefer in die Wolfsthematik ein als bisher! Ich will wissen, wer der Wilderer ist, der unsere Wölfe killt. Überlasst das also nicht der Polizei oder den Lüneburger Kollegen. Die Abschüsse sind alle in unserem Revier passiert. Also sind sie unser Thema! Und achtet darauf: Nicht Partei ergreifen, nur recherchieren und sachlich berichten!«
In Elske regt sich Widerstand.
»Aber die Wölfe sind streng geschützt!«
Steini murmelt etwas wie »Auch die Schafe wollen leben! Also abschießen!« vor sich hin. Florian geht dazwischen.
»Genau deshalb! Das Thema polarisiert hier bei uns wie kaum ein anderes. Wir brauchen sachliche Information, keine Stimmungsmache – egal in welche Richtung! Okay?«
Elske und ich nicken auch diesmal wieder synchron.
*
»Am Sonntag kommen die Kinder!«
Maren strahlt. Ihre Tochter mit Enkel und ihren Sohn Benni hat sie seit Weihnachten nicht gesehen.
»Bruno ist nun schon sieben! Ich bin echt gespannt auf ihn. Mir kommt es vor, als habe ich in den fast zwei Jahren Coronabeschränkungen völlig den Anschluss an seine Entwicklung verpasst. Nicht mal bei seiner Einschulung war ich.«
Für mich ist Maren mit ihren 58 Jahren eine tolle, begehrenswerte Frau. Tatsächlich aber ist sie Oma. Und sie ist es gerne. Sie liebt Kinder und findet es schade, dass ich keines und sie nur ein Enkelkind hat. »Mit deinen 63 hättest du längst einige Enkel haben können!« hat sie mir mal ins Stammbuch geschrieben. »Aber du hast ja nicht einmal Kinder!«
Mir gefällt ihr Humor.
Ich erzähle, was in der Redaktion los war. Sie lacht.
»Typisch Chef. Verteilt die Arbeit. Was macht er eigentlich, wenn die Sitzung vorbei ist? Sitzt vermutlich im Sessel und trinkt heimlich seinen Simpel-Dimple?«
Maren hat von diesem offenen Geheimnis gewissermaßen zwangsweise von mir erfahren. Wann immer einer seiner Leute ihn glücklich gemacht hat, schenkt Florian Heitmann von seinem hinter Akten versteckten Whisky ein. Wer privilegiert ist, seinen Spruch »Jedem Simpel einen Dimple« zu hören, muss damit rechnen, ganz furchtbar zu versacken. Maren musste mich leider während unseres zweijährigen Zusammenlebens in Himmelstal schon zweimal spät abends und völlig fahruntüchtig aus der Redaktion abholen.
Ich sehe