Eine Frage der Macht. Hermann Brünjes
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Читать онлайн книгу Eine Frage der Macht - Hermann Brünjes страница 4
Maren schmunzelt wissend.
»Toll. Also Telefon, Sektempfänge und kaltes Büffet.«
»So ähnlich. Aber wie gesagt, das kann er gut. Unser Blatt ist bisher durch alle Krisen unbeschadet hindurchgekommen.«
»Und du kannst also euren Leserinnen und Lesern nun wieder einen kirchlichen Feiertag nahebringen. Die hübsche Ostfriesin und der clevere Reporter als Himmelfahrtskommando.«
Sie lacht. Ich berichte ihr vom Strategiegespräch mit Elske, das wir gleich nach der Sitzung geführt haben.
Meine Kollegin hat mir den Zusammenhang von Himmelfahrt und Wahlkampf plausibel gemacht. Es klang einfach, birgt aber vermutlich doch dicke Fragezeichen. »Jens«, hat sie lachend erklärt, »Himmelfahrt bedeutet, dass Jesus Christus die Macht übernommen hat. Erst tot, dann auferstanden, dann im Himmel bei Gott, also auf dem Herrscherthron über alle Welt. Jesus ist der Chef von allem, könnte man auch sagen. Er hat ›alle Macht im Himmel und auf Erden‹ – vermutlich kennst ja sogar du als ehemaliger Religionsbanause das Zitat aus Matthäus! Also, was verbindet den Wahlkampf mit Himmelfahrt? Das Thema Macht!«
Als ich Maren davon erzähle, strahlen ihre braunen Augen ähnlich wie die von Elske heute Nachmittag.
»Jens. Deine Kollegin trifft den Nagel auf den Kopf! Immerzu geht es um Macht. Klar, es geht auch um Geld und Ansehen, und manchmal vielleicht sogar um Verantwortung oder Liebe. Aber die Kernfrage in all dem ist oft genug: Wer hat die Macht? Wer bestimmt? Wer kann machen, was er will? Wer setzt sich am Ende durch? Und deine hübsche blonde Lieblingskollegin trifft den Kern: Jesus Christus ist der Chef. Die Politiker, und eigentlich wir alle, tun allerdings gerne so, als wären wir nicht nur unser eigener, sondern auch Chef der anderen.«
Höre ich da einen leisen Ton von Eifersucht auf Elske aus Marens Worten? Nein. Ich weiß, dass Maren viel von meiner Kollegin hält. Die beiden Frauen sind sich mehrfach begegnet und haben sich immer super verstanden. Hoffentlich bleibt es so. Vielleicht spürt Maren aber doch, dass ich Elske sehr sympathisch finde. Hätte ich sie als junger Mann getroffen... Aber nun gibt es wahrlich keinen Grund zur Eifersucht. Ich liebe Maren und nur sie! Aber Frauen...
»Jens, ich kann dir sogar sagen, was die Wölfe mit Himmelfahrt zu tun haben!«
Sie schiebt sich keck ihre braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Seltsam, wie gewisse Gesten irgendwie erotisch wirken.
»Na, da bin ich aber gespannt.«
»Nun, der Wolf ist doch ein Symbol für Stärke, Klugheit und, wenn man so will, auch für Macht.«
»Aber doch wohl eher für die Macht des Bösen!«
»Ja, meistens wird es so gesehen. Fressen und gefressen werden. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Wolf als Metapher für Aggression und existenzielle Bedrohung.«
»Vermutlich ist es genau dies, was die Wolfsgegner motiviert, ihn zu bekämpfen, oder?«
Maren schüttelt mit dem Kopf.
»Ich glaube nicht, jedenfalls nicht nur. Zumindest die Schäfer kämpfen teilweise ums Überleben. Was jedenfalls auch in diesem Fall eine Rolle spielt: Sie kämpfen. Es geht also wieder um Macht. Wer setzt sich durch? Wer ist der Stärkere? Da hast du wieder die Verbindung.«
Mir ist schon fast ein bisschen unheimlich zumute. Heute Morgen dachte ich noch, Himmelfahrt sei ein freundlich frühlingshaftes und etwas geheimnisvoll-skurriles kircheninternes Thema – jetzt, am Abend desselben Tages, ist es mit Wahlkampf, Wolfsabschüssen und Machtkämpfen verbunden. Ich bin gespannt, was sich noch ergibt.
Donnerstag, 5. Mai
Ich rufe Schorse an. Mein alter Freund Georg Martens ist Hauptkommissar bei der Lüneburger Kripo. Leider hat er keine Ahnung, was es mit den illegalen Abschüssen auf sich hat.
»Mensch Jens«, meint er lachend, »wenn wir von der Mordkommission uns auch noch um tote Viecher kümmern sollen, bräuchte ich zehn Schreibtische und täglich zwanzig Stunden Arbeitszeit! Nee, das machen die Kollegen. Ich kümmere mich um die tote Großmutter, aber nicht um den bösen Wolf – es sei denn, der hat sie gefressen.«
Schorse kichert ins Telefon.
Wer jemals in seinem Büro war, kann sich die Sache mit den Schreibtischen sofort bildhaft vorstellen. Seinen sieht man vor lauter Akten, Kartons und Papierstapeln schon nicht mehr. Auch wenn man es der lieblichen Lüneburger Heide nicht zutraut: Die zu überprüfenden Todesfälle in dieser Region sind überaus zahlreich. Bei fast dauerhafter Unterbesetzung der Kripo hat es Schorse manchmal schwer. Er hat sogar schon überlegt zu wechseln und schimpft vor allem auf die Politik, von der sich die Polizei oft im Stich gelassen fühlt.
»Kannst du mir denn einen Kontakt machen?«
»Klar. Ich spreche mit den Kollegen, kriege heraus, wer den Fall bearbeitet und melde mich. Okay?«
»Danke! Wir sollten mal wieder ein Bierchen trinken.«
»Oh Jens, das ist Musik in meinen Ohren!«
Etwa eine halbe Stunde später ruft mich eine Kollegin von Schorse an und gibt mir Namen und Durchwahl des Beamten, der die Sache mit den Wölfen bearbeitet. Ich rufe an. Der Beamte, ein Oberkommissar Hansen, ist nicht anwesend. Ich kann jedoch einen Termin für heute Nachmittag machen.
Gut, dass ich ein Dach über dem Kopf habe, denke ich. Der Wonnemonat Mai präsentiert sich in den letzten Tagen, und besonders heute, gänzlich anti-wonnig. Ein Sturmtief aus Südwesten zieht über die Heide. Stark- und Dauerregen wechseln sich ab. Die Sonne versucht zwischendurch zwar zögernd, ein paar Strahlen auf die Erde zu schicken, die Löcher zwischen den Wolkenbergen zeigen in solchen Momenten auch blauen Himmel und versprechen Licht und Lebensfreude – es bleiben jedoch leere Versprechen.
Seit ich in Himmelstal wohne, habe ich das häusliche Arbeitszimmer von Oliver übernommen, Marens verstorbenem Ehemann. Es liegt mit dem Fenster nach Westen im Keller. Es ist schon ein bisschen komisch, in die Fußstapfen des ehemaligen Besitzers dieses gemütlichen und gut ausgestatteten Büros zu treten. Selbst einige seiner Bücher stehen noch in Schränken und Regalen. Maren hat ihren Mann geliebt. Es ist ihr Haus und ihr Keller, nicht meiner. Manchmal komme ich mir vor wie ein Kuckuck. Ich setze mich ins gemachte, fremde Nest. Maren tut ihr Bestes, mir bei der Aneignung dieses neuen Lebensraumes zu helfen. Doch auch im dritten Jahr fühle ich mich immer wieder etwas fremd und komme mir vor wie ein Schnorrer. Obwohl ich natürlich kräftig mithelfe, mein Reportergehalt einsetze und in Haus und Garten anpacke.
Für einen Moment reißt die Wolkendecke auf. Als könnte mich das flüchtige Blau des Himmels motivieren, nehme ich mir unsere To-Do-Liste vor.
Elske will mit den Interviews einiger Politiker beginnen und Kandidaten der SPD, CDU und der Grünen befragen. Sie wohnt in der Kreisstadt und wird die Vertreter dieser Parteien in ihren Büros besuchen. Die schwierigeren Bewerber um die Macht im Staate wollen wir uns dann zusammen vornehmen. Allemal den Spitzenkandidaten der DZP, der rechts außen für immer mehr Furore sorgenden Deutschen Zukunfts-Partei. Liest man das Parteiprogramm und hört man die Reden der meist männlichen Vertreter der DZP, weiß man, was sie am liebsten wollen: Zurück in die Zukunft eines vierten Reiches.