Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Elduria - Runa oder das Erwachen - Norbert Wibben страница 11
Während diese Gedanken in rasender Schnelle durch ihren Kopf jagen, stemmt sie sich mit aller Kraft gegen den unwiderstehlichen Drang, einfach nachzugeben. Warum nicht im Nebel von der Anstrengung ausruhen? Das wäre eine große Erleichterung. Ihre Anspannung lässt etwas nach. Dragon bemerkt das und schüttelt den Kopf. Runa schaut auf den Waldboden. Es trennt sie lediglich ein Viertelschritt vom Waldsaum. Wie kann sie gegen diese Zugkraft ankommen, was vermag zu helfen? – Magie! – Genau. Damit könnte es gelingen. Aber woher soll sie wissen, welchen Spruch sie anwenden muss.
»Abrakadabra« wirkt lediglich auf einer Bühne oder in Märchen, genauso wie »Simsalabim«. Hm. In dem Buch über die Dracheninsel gibt es einen Anhang, in dem Zaubersprüche aufgelistet sind. Ob die helfen könnten? Muss sie aber nicht zusätzlich magische Fähigkeiten besitzen?
Ein prüfender Blick zeigt, es trennt sie nur noch eine Handbreite von der Nebelwand! Dragon ist inzwischen komplett in den Dunst gehüllt.
»Jetzt mach schon, erinnere dich!«, ermahnt sich Runa. Ihre Augen gleiten in Gedanken die Liste nach unten. Dann stutzt sie. »Einen gesprochenen Zauber aufheben oder jemand anhalten, stoppen.« Sobald sie diese Zeile sieht, ist sie überzeugt, den notwendige Spruch gefunden zu haben! Obschon sie vor Anstrengung keuchen muss, bringt sie das magische Wort über ihre Lippen.
»Inhibeo, Inhibeo, INHIBEO!«, schreit sie. Doch der Erfolg bleibt aus. Warum klappt das nicht? »Weil du nicht zaubern kannst!«, schießt ihr die Antwort durch den Kopf. Das will und kann sie nicht akzeptieren. Es liegt vermutlich daran, dass sie den Zaubernebel nicht aufgerufen hat und ihn deshalb auch nicht beenden kann. Welcher Spruch könnte stattdessen helfen? Ihr Auge ist blicklos auf die drohende Gefahr gerichtet. Es trennt sie kaum ein Millimeter von dem Nebel. Sie durchforstet erneut die Liste der Zaubersprüche.
»Könnte eine Feuerzunge helfen, die in eine Zielrichtung geschickt wird?« Sie muss sich beeilen und besinnt sich nicht lange. Sie spricht das entsprechende Wort. »Lasair!« Doch auch das bleibt ohne Erfolg. Das könnte daran liegen, dass sie nicht auf den Nebel zeigen kann. Ihr linker Fuß hat die Linie bereits überschritten und Runa merkt, wie ihre Kräfte erlahmen. Der zweite Fuß rutscht über den Waldboden, dessen erdiger Geruch in ihre Nase steigt. Bei ihrer Suche nach Atropaia hat sie das nicht bemerkt. Da regnete es schließlich wie aus Kannen.
»Ich hab’s«, jubelt sie auf. »Regen! Am Ende der Liste, in der letzten Zeile, steht doch ein Spruch, mit dem Regen aufgerufen oder ein Schwall Wasser auf ein Ziel geschickt werden kann.« In diesem Moment rutscht der zweite Fuß über den Waldrand hinaus. Noch im Vorwärtsstolpern brüllt das Mädchen laut: »Uisge!« Das Wort wiederholt es immer wieder und stoppt auch nicht, als es bereits bis auf die Haut durchnässt ist.
»Es ist genug!« Dragon blickt sie erleichtert und ernst an. Runa lacht befreit, vermag es offensichtlich nicht zu stoppen. Sie tanzt sogar etwas in dem immer noch fallenden Regen und patscht wie ein Kleinkind durch die sich bildenden Pfützen. Muss sich der Junge Sorgen machen, dass sie verrückt geworden ist? Dass sie zaubern kann, wusste er bisher nicht. Ganz sicher ist er jedoch nicht. Weshalb schaute sie ihn sonst so an, als durchschaue sie ihn? Er wischt die Gedanken beiseite. Das zu klären hat noch Zeit. »Du musst mich in den Elfenwald ziehen«, fordert er eindringlich. »Irgendein Magier steckt hinter dem Nebel. Und das ist sicher keiner, der dir Gutes tun will! Er wird inzwischen wissen, dass sein Versuch, dich festzuhalten, fehlgeschlagen ist. Entweder er versucht etwas anderes, oder die drei Reiter erscheinen in Kürze hier. Wenn wir erst im Wald verschwunden sind, werden sie unserer Spur nicht mehr folgen können. Der Regen wird sie fortgewaschen haben.«
»Dann komm mit mir. Du siehst doch, der Schritt über die Waldgrenze ist ganz leicht.« Runa macht einen und schaut auffordernd zu ihm zurück.
»Aber nicht für mich. – Ich erkläre es dir später. Jetzt mach schon!« Der Junge hebt seinen Arm Richtung Mädchen. Bis in den Bereich der Bäume kommt er nicht. Runa blickt ihn verständnislos an. Doch endlich erfasst sie seine Hand und führt ihn über die unsichtbare Grenze in den Wald.
Die Vogelstimmen verstummen, dafür sind ein Raunen und Ächzen zu hören, das vorhin noch nicht vorhanden waren. Ein heftiger Wind faucht durch die Zweige der großen Bäume und schüttelt sie. Haare wirbeln durcheinander. Hellgrüne Blätter werden abgestreift und segeln zu Boden. Sobald Runa und Dragon einen weiteren Schritt machen, verstummen die Geräusche und der Wind legt sich so schlagartig, wie er gekommen ist.
Der Weg zum Haus im Wald
Runa bleibt nach einigen Schritten stehen, um den Anblick des Frühlings im Wald zu bestaunen. Doch Dragon zieht sie vorwärts.
»Du siehst, dass hier ein nur kaum erkennbarer Pfad verläuft. Wir konnten es im Nebel nicht bemerken, aber die Straße von Homarket wird lange vor Erreichen des Waldrandes abgebogen sein und wir bewegten uns demzufolge auf einem abzweigenden Weg. Die Verfolger waren uns weit voraus und werden sicher zuerst dem breiten Verkehrsweg gefolgt sein. Ob sie dann im Nebel umgekehrt sind? Sie hatten auch vorher kaum erkennen können, wo wir gelaufen sind. Das ist aber anders, wenn ein Magier nachträglich zu ihnen gestoßen ist.«
Runa erschauert. Weshalb sollte ein Zauberer versuchen, sie zu fangen? Kann das mit ihrer Aktion vor dem Rathaus zusammenhängen? Dabei hat sie lediglich einem jungen Mann das Leben gerettet. Die Erkundigung auf dem Marktplatz mag vielleicht verdächtig erscheinen, ist nach ihrem Empfinden aber harmlos. Es ist doch natürlich, wenn sie sich nach dem Mann erkundigt, dessen Name sie dort gehört hat. Andererseits blickte sein Sohn verwundert auf ihr Mal am linken Unterarm. Könnte das der Grund sein? Owain hatte Atropaia entführt, könnte dieser Brendan nicht genauso …
»Wir müssen schneller gehen!«, wird sie aus ihren Gedanken gerissen. »Kannst du noch etwas Regen herbeirufen? Es ist nicht so, dass ich unbedingt auf Wasser stehe, aber die Tropfen können helfen, unseren Weg zu verschleiern. Und das ist überlebenswichtig!«
Runa will aus Verärgerung stehenbleiben. Doch der kräftigere Junge zieht sie weiter. Dabei entgeht ihr, dass Dragon niemals zuvor derart viele Worte gesprochen hat, wie seit ihrem Aufbruch im »Fuchs und Gans«.
»Was fällt dir ein? Ich kann und will allein laufen!« Sie kraust die Stirn und widersetzt sich mit aller Macht seinem Bestreben, sie weiterzuziehen.
»RUNA! Das ist KEIN Spiel!« Seine eindringlichen Worte erzeugen ein Kribbeln auf ihrem Rücken. In seinen hellbraunen Augen, mit denen er sie beschwörend und ernst anschaut, bewegt sich etwas. Sollte das eine lodernde, kleine Flamme sein? Das Mädchen grübelt. Wo hat es beim Blick in eine dunkle Pupille bereits Derartiges gesehen? Die Wärme in ihrem linken Unterarm bemerkt sie kaum. In Gedanken prüft sie die Worte ihres Gefährten. Alles spricht dafür, seinem Vorschlag zu folgen. Wortlos nimmt sie ihre wetterfeste Jacke aus dem Rucksack. Sie zieht das Kleidungsstück aber nicht an, sondern will es über sich und Dragon halten.
»Uisge!«, murmelt sie, ohne die Reaktion von vor wenigen Momenten zu erwarten. Doch sofort fallen dicke Regentropfen auf sie herab. »Ich kann zaubern!«, stellt sie erstaunt fest.
»So sieht es aus!«, bestätigt der Junge. »Das sollte dir der Beweis sein, dass es Zauberer gibt. Nach unserem vorhin Erlebten ist zu folgern, dass sich ein böser Magier auf unserer Spur befindet, zumindest einer.« Er folgt der Aufforderung des Mädchens, sich unter den Schutz der Jacke zu begeben.
»Aber warum sollte das so sein? Ich habe doch nichts verbrochen!« Runa legt die Stirn in Falten und versucht, eine logische Erklärung zu