Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben
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»Kannst du den Dauerregen abstellen? Ich denke, das ist genug Wasser gewesen.«
»Wenn ich wüsste wie, würde ich das machen. Am Waldrand hörte er doch schon auf, sobald wir die ersten Schritte in den Wald gemacht hatten.«
»Das hatte den Grund, dass von außen nichts Magisches in ihn eindringen kann. Alte Schutzzauber vermutlich.«
Runa schaut den Jungen erstaunt an. Woher weiß er das? Parallel dazu geht sie in Gedanken erneut die Liste der Zaubersprüche durch.
»Inhibeo!«
Dieses Wort beendet tatsächlich den Regen. Erleichtert senken beide die Arme und Runa schüttelt die Jacke aus. Ob die anderen Sprüche in ihrem Buch auch von Erfolg gekrönt sein werden, wenn sie sie spricht? Etwas Wärme wäre jetzt nicht schlecht. Die große Luftfeuchtigkeit lässt sie frösteln. Im Wald dringen die Sonnenstrahlen nicht durch das hohe Blätterdach. Soll sie versuchen, ein wärmendes Feuer zu entzünden? Doch Runa schüttelt den Kopf. Sie ahnt instinktiv, dass das Probieren der verschiedenen Sprüche in einer Katastrophe enden könnte. Bewegung wird zu dem gleichen Ergebnis führen, ist sie überzeugt, und dabei völlig ungefährlich.
Die Wanderung durch den Wald geht schon über Stunden. Die Vogelstimmen, die zu Beginn wie eine Begrüßung geklungen hatten, haben nur kurzzeitig durch den Sturm eine Unterbrechung erfahren. Doch sie hörten mit Einsetzen des Regens auf. Seitdem der vorbei ist, sind sie nicht wieder zu hören. Liegt das an der einsetzenden Dämmerung? Der Junge horcht in wechselnden Abständen nach hinten. Zuerst irritiert ihn das Geräusch, wenn Tropfen von den Blättern zu Boden fallen, doch das ändert sich schnell. Wenn hinter ihnen Reiter kommen, könnten sie die Huftritte erst spät wahrnehmen, weil der Waldboden sie dämpfen wird. Deshalb ist größte Vorsicht angebracht!
Runa hat bei diesen Gedanken sofort wieder das Ereignis von vor sieben Jahren vor Augen. Damals erfolgte das Eindringen der Entführer ins Haus nur wenige Augenblicke später, nachdem die Huftritte im Inneren zu vernehmen waren. Sie sieht den grellen Blitz und die berstende Tür, und wie ein silbern glänzendes Netz über die Amme geworfen wird. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sich zu dem Zeitpunkt ihre Gestalt bereits geändert haben musste. Die Sicht auf das Geschehen war aus einer niedrigeren Position heraus erfolgt. Atropaia muss sie in die Haselmaus verwandelt haben! Also besaß ihre Amme magische Kräfte! – Warum konnte sie sich dann nicht gegen die Eindringlinge wehren? Die Erkenntnis über Atropaias Fähigkeit einerseits, aber deren nahezu widerstandslose Fesselung andererseits, trifft sie wie ein Schlag.
Da sie stehenbleibt, dreht sich Dragon nach ihr um.
»Bist du müde?«
»Nein. – Wenn ich ehrlich bin, aber doch. Ich weiß aus der Erinnerung, dass wir das Haus heute nicht mehr erreichen werden. Mit fünf Jahren waren meine Schritte sicher kleiner als die, die wir jetzt machen. Das wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass ich damals die ganze Nacht wanderte. Ich traute mich nicht, den Abstand zu den Reitern zu groß werden zu lassen. – Wir sollten abseits von unserer bisherigen Wanderrichtung ein Plätzchen im Laub suchen.«
Bis hierher hat das Regengebiet offenbar nicht gereicht. Der Boden ist trocken. Die auch hier wachsenden Buschwindröschen scheinen ihnen im schwachen Restlicht den Weg zu weisen. Sie entdecken schon bald eine kleine Lichtung, auf der zwei große Laubhaufen liegen. Das wirkt wie für sie vorbereitet. Sie zögern trotzdem nicht, sie zu nutzen, dafür sind sie zu müde. Derart viel Laub in einem sonst frühlingshaften Wald müsste ihnen seltsam fehl am Platz erscheinen. Sie überlegen nicht, ob das eine für sie aufgestellte Falle sein könnte, sondern wühlen sich jeweils eine Vertiefung in einen der Haufen. Am Lichtungsrand rupfen sie zusätzlich einige Farnwedel ab und breiten sie als Unterlage in die Mulden. Völlig erschöpft legen sie sich darauf und häufeln die Blätter von den Rändern über sich.
»Schlaf gut!«, flüstert Runa. Doch das hört Dragon schon nicht mehr. Er ist bereits eingeschlafen. Die Auseinandersetzung mit dem Zaubernebel hat ihn stärker in Anspruch genommen, als er zu erkennen gegeben hat. Er wollte aus Vorsicht möglichst schnell einen großen Abstand zum Waldrand gewinnen, sonst hätte er schon eher eine Rast vorgeschlagen.
Ob eine Wache in ihrer Situation nicht dringend angebracht wäre, hat er noch kurz überlegt. Sollten die Reiter bemerkt haben, dass sie ihnen nicht mehr auf der Spur waren, würden sie bestimmt umkehren und auf den abzweigenden Wegen suchen. Er ist nicht sicher, ob der Regen alle Hinweise auf ihre Anwesenheit am Waldrand genügend verwischt hat. Er will sich erheben und die Reihenfolge der Wachablösung mit Runa besprechen. Zuvor muss er sich nur kurz ausruhen, aber dann will er sofort zu ihr hinübergehen. Nur schnell etwa fünf oder besser zehn Atemzüge im Liegen? Das sollte seine Kraftreserven etwas erneuern. Doch die Müdigkeit ist übermächtig und lässt ihn bereits beim zweiten Einatmen in tiefen Schlummer sinken.
Runa liegt dagegen noch eine Zeit lang wach. Sie vernimmt das »Schuhu« einer Eule, der aus entgegengesetzter Richtung eine zweite antwortet. Das Knacken im Unterholz deutet auf kleinere Tiere hin, die dort nach Nahrung suchen. Weitere nächtliche Tierstimmen versetzen sie in ihre Kindheit zurück. Sie meint, das vertraute Angesicht ihrer Amme zu sehen, die sie an ihrem Bett sitzend zudeckt.
»Paia«, murmelnd, schläft auch sie ein.
Runa erwacht vom Zwitschern eines Vogels. Sie weiß im ersten Moment nicht, wo sie ist. Sie wähnt sich in ihrem Bett, aber warum sollte das in Atropaias Haus stehen? Ein Sonnenstrahl kitzelt sie in der Nase, schaut der durchs Fenster herein? Sie schlägt die Augen auf und erblickt einen kreisförmigen, blauen Himmel über sich. Auf einem der unteren Zweige der Bäume, die den runden Ausschnitt des Firmaments bilden, sitzt ein Buchfink. Die leuchtend rote Brust ist vorgestreckt und sein fordernder Gesang soll offenbar eine Partnerin herbeirufen. Das wirkt so friedlich, dass Runa nicht fassen kann, sich noch gestern vor Reitern versteckt und gegen einen Zaubernebel gekämpft zu haben.
Sie will mit einem Satz aus ihrem kuscheligen Lager aufstehen, doch das misslingt. Sie purzelt mehr seitlich aus der tiefen Kuhle, als dass sie sich hinausschwingt. Das Mädchen richtet sich lachend auf. Es ist nur gut, dass Dragon das nicht mitbekommen hat! Bei dem Gedanken an ihn kraust es die Stirn. Sollte er noch schlafen? Ohne ihn schon weiterzugehen, kommt nicht infrage. Er würde sie vermutlich kaum finden.
Auf dem Weg zum zweiten Laubhaufen grübelt Runa darüber, weshalb der Junge gestern nicht aus eigener Kraft den Elfenwald betreten konnte. Könnte ein Zauber das verhindert haben? Er deutete im Zusammenhang mit dem heraufbeschworenen Regen an, dass Magie nicht von außen in den Wald eindringen könne, sollte etwas an ihm magisch sein? Besitzt er vielleicht einen Zauberstab oder Ähnliches? Sie erschrickt. Wer garantiert ihr, dass der Junge sie nicht in eine Falle locken will? Er könnte sich als ihr Freund und Helfer ausgeben, dabei aber irgendeinem Geheimnis folgen, mit dem nur sie …
Weiter kommen ihre Grübeleien nicht. Sie ist nicht besonders vorsichtig gelaufen. Der eine oder andere Zweig knackte unter ihren Füßen und hat ihn vermutlich aufgeweckt. Dragon versucht offenbar, wie sie aus dem Laubhaufen aufzustehen, und rollt mit Schwung auf sie zu. Ehe sie sich vorsehen kann, stößt er gegen ihre Beine, und beide liegen am Boden. Der Junge reibt sich die Seite, auf die das Mädchen unsanft gefallen ist.
»Ich wollte dir eigentlich einen guten Morgen wünschen!«, beschwert sich Runa.
»Das scheint nicht so funktioniert zu haben, stimmt’s«, grinst Dragon. Er steht auf, reicht ihr die Hand und zieht sie hoch.
»Ein Frühstück wäre nicht schlecht. Du hast doch Proviant von der Köchin …« Den Satz beendet er nicht. Seine