Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben

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Elduria - Runa oder das Erwachen - Norbert Wibben Elduria

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geschehen? Runa schreckt zusammen, als er bei einer dieser Aktionen stolpert. Der Junge versucht, sich an ihr festzuhalten, und stößt sie dadurch nach links in den Straßengraben. Er faucht erschrocken, bittet sie aber nicht einmal um Entschuldigung. Sie bemüht sich, in dem hohen Bewuchs des Grabens Halt zu finden, um herauskrabbeln zu können. Unter Schnaufen beschwert sie sich bei ihm.

      »Du wolltest mich doch vor Schwierigkeiten bewahren. Mist. Jetzt schau dir nur an, wie ich hier heraufkommen soll.« Sie hält ein dickes Büschel langes Gras in der Hand. Sie hatte es herausgezogen, als sie sich beim Hochklettern daran festzuhalten versuchte.

      Doch Dragon reagiert nicht auf sie, schaut nicht einmal zu ihr hinab. Sein Blick ist zum Ort zurück gerichtet.

      »HALLO! HIER bin ich. Hilf mir sofort heraus. Ich will mich nur ungern beklagen, aber meine Schuhe werden dem Wasser nicht lange standhalten!« Doch der Junge reagiert immer noch nicht. Er steht etwas vorgebeugt Richtung Homarket und scheint zu lauschen. Runa bemerkt, dass er nickt. Dann macht er einen Satz und landet neben ihr im Graben. Er hat dabei nicht genau achtgegeben oder den Sprung falsch berechnet. Er kommt zu nahe zu dem Mädchen an und versetzt ihm dadurch einen Stoß. Nur mit Mühe kann es verhindern, der Länge nach in den Kanal zu fallen. Obwohl es heute ein sonniger Tag ist, hätte Runas Kleidung viel Zeit benötigt, um wieder zu trocknen. Dadurch wäre ihre Wanderung zum Haus im Wald erheblich verzögert worden. Sie stemmt die Fäuste in die Seiten und blitzt Dragon an. »Bist du immer so tollpatschig? Wenn das ein Versuch werden sollte, mir aus dem Straßengraben zu helfen, mache ich das lieber allein. Du bringst es fertig …« Sie erschrickt. Der Junge zieht sie neben sich an die Böschung und presst eine Hand auf ihre Lippen. Gleichzeitig hält er einen Finger vor seine.

      »Pst!«, ist alles, was er sagt. Das Mädchen will protestierend auffahren und ihn zur Rede stellen. Doch die Kräfte des Jungen sind größer als ihre. Er drückt sie rücklings ins hohe Gras. »Gefahr!«, zischt er ihr leise ins Ohr.

      Runa fragt sich nicht nur, woher die in der Nähe des Örtchens kommen sollte, sondern auch, woraus er das folgert. Dann erstarrt sie.

      »Strauchdiebe?«, flüstert sie, erhält aber keine Antwort. Wenn ihr Begleiter schärfere Augen als sie hat, wen hat er dann wohl gesehen? Sind seine Sinne besser ausgeprägt als ihre? Jetzt hört sie lauter werdenden Hufschlag. Es klingt nach mindestens zwei oder drei Pferden, die sich rasch nähern. Reiter sind für diese Region des Landes nicht ungewöhnlich, obwohl die meisten Menschen zu Fuß gehen. Manche nutzen auch Kutschen, doch die Reise in ihnen kostet so viel wie ein üppiges Essen. Inzwischen lauschen beide angestrengt. Werden die Pferde hier anhalten und die Reiter in den Graben schauen? Sollten sie die Fußgänger verfolgen, könnten sie diese von ihrer erhöhten Position aus dem Sattel bereits von Weitem gesehen haben. Doch Runa kennt keinen Grund, weshalb ihnen jemand auf den Fersen sein könnte. Das Knarren des Ledergeschirrs der Pferde ist jetzt ganz nah und dem Mädchen fällt plötzlich eine Möglichkeit ein.

      Sollte die Rettungsaktion für Owains Sohn die Ursache sein? Dann würde sie vermutlich für eine Verbündete eines Attentäters gehalten. Möglicherweise war der nette, ältere Mann sogar ein Spion, der seine Information über ein neugieriges Mädchen unverzüglich ins Rathaus getragen hat. Sie hatte sich nicht mehr umgesehen, als sie den Marktplatz verließ. Das wäre also durchaus möglich!

      Runa fragt sich, ob sie jetzt genauso krankhaft misstrauisch wie der andere Mann auf dem Platz wird. Der hatte sich nur vorsichtig geäußert. Falls der Freundliche sie dagegen ausgehorcht haben sollte …?

      Dragon nimmt seine Hand von ihrem Mund, fordert aber gleichzeitig durch Gesten, ruhig zu bleiben. Der Hufschlag hat ausgesetzt. Sollten die Reiter schon weiter weg sein? Runa hat nicht genau darauf geachtet. Sie verändert die unbequeme Lage etwas, doch sie bleibt dicht an die Böschung gedrückt. Der Junge nickt ihr zu und deutet mit Zeigefinger und Daumen ein ok an.

      Das Mädchen fasst mit ihrer rechten Hand an den linken Unterarm. Dort ist nicht das manchmal auftauchende warme Gefühl, sondern ein kaltes, leicht schmerzhaftes Kribbeln zu spüren. Es gleicht dem Empfinden, wenn tausend Stecknadeln gleichzeitig hineingedrückt werden würden. Wird das durch ihre aktuelle Lage verursacht? Es könnte sein, dass ihr Arm bis soeben gequetscht und der Blutkreislauf abgedrückt war. Dann würde das jetzt ungehindert strömende Blut dafür verantwortlich sein. Passt das zu einem Gefühl der Kälte, oder ist das auszuschließen? Runa legt die Stirn in Falten. Sie weiß nicht, wie sie das sonst erklären sollte. Dragon hat ihre Bewegung genauestens verfolgt. Er hält sich bereit, ihren Mund erneut zu verschließen, falls sie etwas sagen, womöglich sogar schreien möchte.

      »Wo steckt das Mädchen?« Die Frage wird nur leise gestellt, trotzdem hören die zwei in ihrem Versteck sie deutlich. Ein kribbelnder Schauer läuft Runa den Rücken hinab.

      »Ich meinte, vorhin eine Bewegung gesehen zu haben. Das muss genau hier gewesen sein.« Die Stimme kommt von einem anderen Mann.

      »Bist du sicher? Mir ist nichts aufgefallen«, antwortet ein dritter. »Du könntest das auch mit Krähen verwechselt haben. Die suchen überall am Wegrand nach Nahrung. Sie durchwühlen mit Vorliebe die Pferdeäpfel, wie du hinter uns sehen kannst.«

      »Nein, ich irre mich nicht. Lasst uns absteigen und auf beiden Seiten im Graben nachsehen!« Die Pferde schnauben und das Knarren der Sättel verheißt nichts Gutes. Schritte nähern sich. Dragon und Runa drücken sich so tief wie möglich in den Bewuchs der Böschung.

      »Hier sind Spuren im Gras!« Das erklingt nicht von dort, wo sie die Straße verlassen haben, doch höchstens wenige Meter entfernt.

      »In diesem Graben auch!« Die Stimme ist leiser, kommt demnach von der anderen Seite.

      Zeitgleich mit einem Platschen ertönt ein lauter Fluch. Der stammt von einem der Reiter, der das Nass unter dem hohen Gras übersehen hat. Jetzt erklingt das aufgeregte Kreischen eines Fasans, der sich offenbar dort im Grün verborgen hatte. Das ist keine zehn Meter von ihnen entfernt. Gleichzeitig tritt der Vogel seine Flucht nach oben an und landet kurz darauf dicht vor den Versteckten. Das Tier bemerkt sie sofort und flattert erneut erschrocken hoch. Das schön gezeichnete Gefieder schillert in den frühen Sonnenstrahlen und Wassertropfen fallen glitzernd von dessen Füßen herab. Hoffentlich schreibt keiner der Reiter dem Verhalten des Tiers eine größere Bedeutung zu!

      »Hast du jetzt den Grund für deine Beobachtung entdeckt?« Die lachende Stimme gehört dem dritten Mann. Er hat den Sattel offenbar nicht verlassen. Runa stellt überrascht fest, dass die Sprechweise sie an Gwydion erinnert. Der wollte sie nach dem Vorfall vor dem Rathaus in Homarket festnehmen, als sie das Leben Brendans gerettet hatte. Sie weiß wegen ihrer Erkundigungen, dass er Wachtmeister und ein Vertrauter Owains ist. Das seltsame Gefühl, seine Stimme zu kennen, hatte sie bereits vorhin gehabt, jedoch nicht weiter beachtet. Sollten die Reiter unter seiner Leitung nach ihr suchen? »Lasst uns weiterreiten!«, fordert er sofort darauf.

      »Ich hatte recht«, murrt der Mann im Graben und kommt näher. Er will offenbar die Böschung schräg hinaufgehen. Hoffentlich erblickt er die Versteckten nicht zufällig. Doch die Gefahr geht vorüber. Die Sättel knarren, als sich die Reiter hineinschwingen. Sie schnalzen mit der Zunge und die Pferde setzen sich in Bewegung. Der trommelnde Hufschlag des Galopps entfernt sich schnell.

      Runa und Dragon atmen auf. Sie warten vorsichtshalber noch einige Minuten, bevor sie die Böschung hinaufkrabbeln. Erst nachdem sie sich überzeugt haben, dass weit und breit kein Reiter zu sehen ist, richten sie sich erleichtert auf.

      »Danke!« Das Mädchen weiß, nur das feine Gehör des Jungen hat sie davor bewahrt, gefangen zu werden. Es kennt zwar nicht den Grund, weshalb die Reiter nach ihm suchen. Dass sie es tun, ist ohne jeden Zweifel aus dem Gehörten zu folgern.

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